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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Gewand, faltenreich von den Hüften bis auf die Füße herabwallend, aus
Gold. In der Rechten schwebte, dem Weltherrscher zugewendet, eine Sieges¬
göttin mit einer Binde in den Händen; in der Linken trug er das als Sym¬
bol seiner Herrschaft über die Erde aus verschiedenen Erzen geschmiedete
Scepter, auf dessen Spitze der ruhende Adler saß. Unter der mächtig gewölb¬
ten, aber heiteren und klaren Stirn, zu deren Seiten in reicher Lockenfülle
das dichte Haar Herabsiel, vollendeten, in tiefer Hohle zurückliegend, die weit
geöffneten Augen das Antlitz voll Würde, mit Güte und Milde gepaart, und
ein kräftiger Bartwuchs umschloß das Kinn des Herrscherhauptes, das als
Krone einen aus goldenen Oelzweigen geflochtenen Kranz trug. Der Körper
athmete Kraft und tiefe innere Ruhe. An den Seiten des Thrones und an
dessen Lehne waren tanzende Hören und Grazien angebracht; an dem Fu߬
schemel zwei Löwen, wovon der eine den Schild in den Klauen hielt, worauf
der Kampf des Theseus mit den Amazonen dargestellt war.

Das kolossalste griechische Erzgcbilde war der von Chares aus Lindos
um 273 vor Chr. zu Stande gebrachte Sonnenkoloß zu Rhodos, der eine
Höhe von 70 griechischen Ellen (über 100 Pariser Fuß) erreichte und dessen
Gliederformen so ungeheuer waren, daß nur Wenige die Daumen zu umfassen
vermochten. In seinem Innern hohl, barg dieser Koloß Felsstücke, welche
das Ganze zu halten dienten. Seine Erzmasse war so bedeutend, daß, nach¬
dem un Jahre 222 vor Chr. ein Erdbeben das Wunderwerk zertrümmert
halte, 932 Jahre später (so lange hatte man den zerbrochenen Koloß liegen
lassen) nicht weniger als 900 Kameele beladen werden mußten, um das Erz
fortzuschaffen.

Mit besonderer Bevorzugung gedenkt Homer der phönicischen Metall¬
arbeiten, vornehmlich aus Sidon, "der Stadt voll schimmernden Erzes"
(Odyssee XV. 424), unter Anderm einen silbernen Krug, "voll von Kunst¬
werk, an Schönheit alles aus der Erde besiegend", als einen solchen bezeich¬
nend, den "kunstersahreneSidonier sinnreich geschaffen" (Ilias XXIII, 740--744),
Ivwie einen zweiten, einen Mischkrug "von unvergleichlicher Arbeit, ganz aus
Silber geformt und mit goldenem Rande gezieret, ein Geschenk von Phädi-
wos. dem Könige der Sidonier", als "ein Werk des Hephästos (Odyssee IV,
614--lis); daher es von Wichtigkeit ist, bei dem phönicischen Volke specieller
ju verweilen, nachdem zu dessen Erwähnung schon mehrfach uns Anlaß
geworden.

Sidon. bereits zu Joseph's Zeit, 1850 vor Chr., durch Handel mit
Aegypten verbunden, zur Zeit der jüdischen Auswanderung aus Aegypten
eine weithin herrschende Stadt, und Tyrus, zur Zeit der Könige David und
Salomo die mächtigste Stadt in Borderasien, beides die vorzüglichsten Hasen-


Gewand, faltenreich von den Hüften bis auf die Füße herabwallend, aus
Gold. In der Rechten schwebte, dem Weltherrscher zugewendet, eine Sieges¬
göttin mit einer Binde in den Händen; in der Linken trug er das als Sym¬
bol seiner Herrschaft über die Erde aus verschiedenen Erzen geschmiedete
Scepter, auf dessen Spitze der ruhende Adler saß. Unter der mächtig gewölb¬
ten, aber heiteren und klaren Stirn, zu deren Seiten in reicher Lockenfülle
das dichte Haar Herabsiel, vollendeten, in tiefer Hohle zurückliegend, die weit
geöffneten Augen das Antlitz voll Würde, mit Güte und Milde gepaart, und
ein kräftiger Bartwuchs umschloß das Kinn des Herrscherhauptes, das als
Krone einen aus goldenen Oelzweigen geflochtenen Kranz trug. Der Körper
athmete Kraft und tiefe innere Ruhe. An den Seiten des Thrones und an
dessen Lehne waren tanzende Hören und Grazien angebracht; an dem Fu߬
schemel zwei Löwen, wovon der eine den Schild in den Klauen hielt, worauf
der Kampf des Theseus mit den Amazonen dargestellt war.

Das kolossalste griechische Erzgcbilde war der von Chares aus Lindos
um 273 vor Chr. zu Stande gebrachte Sonnenkoloß zu Rhodos, der eine
Höhe von 70 griechischen Ellen (über 100 Pariser Fuß) erreichte und dessen
Gliederformen so ungeheuer waren, daß nur Wenige die Daumen zu umfassen
vermochten. In seinem Innern hohl, barg dieser Koloß Felsstücke, welche
das Ganze zu halten dienten. Seine Erzmasse war so bedeutend, daß, nach¬
dem un Jahre 222 vor Chr. ein Erdbeben das Wunderwerk zertrümmert
halte, 932 Jahre später (so lange hatte man den zerbrochenen Koloß liegen
lassen) nicht weniger als 900 Kameele beladen werden mußten, um das Erz
fortzuschaffen.

Mit besonderer Bevorzugung gedenkt Homer der phönicischen Metall¬
arbeiten, vornehmlich aus Sidon, „der Stadt voll schimmernden Erzes"
(Odyssee XV. 424), unter Anderm einen silbernen Krug, „voll von Kunst¬
werk, an Schönheit alles aus der Erde besiegend", als einen solchen bezeich¬
nend, den „kunstersahreneSidonier sinnreich geschaffen" (Ilias XXIII, 740—744),
Ivwie einen zweiten, einen Mischkrug „von unvergleichlicher Arbeit, ganz aus
Silber geformt und mit goldenem Rande gezieret, ein Geschenk von Phädi-
wos. dem Könige der Sidonier", als „ein Werk des Hephästos (Odyssee IV,
614—lis); daher es von Wichtigkeit ist, bei dem phönicischen Volke specieller
ju verweilen, nachdem zu dessen Erwähnung schon mehrfach uns Anlaß
geworden.

Sidon. bereits zu Joseph's Zeit, 1850 vor Chr., durch Handel mit
Aegypten verbunden, zur Zeit der jüdischen Auswanderung aus Aegypten
eine weithin herrschende Stadt, und Tyrus, zur Zeit der Könige David und
Salomo die mächtigste Stadt in Borderasien, beides die vorzüglichsten Hasen-


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[0161] Gewand, faltenreich von den Hüften bis auf die Füße herabwallend, aus Gold. In der Rechten schwebte, dem Weltherrscher zugewendet, eine Sieges¬ göttin mit einer Binde in den Händen; in der Linken trug er das als Sym¬ bol seiner Herrschaft über die Erde aus verschiedenen Erzen geschmiedete Scepter, auf dessen Spitze der ruhende Adler saß. Unter der mächtig gewölb¬ ten, aber heiteren und klaren Stirn, zu deren Seiten in reicher Lockenfülle das dichte Haar Herabsiel, vollendeten, in tiefer Hohle zurückliegend, die weit geöffneten Augen das Antlitz voll Würde, mit Güte und Milde gepaart, und ein kräftiger Bartwuchs umschloß das Kinn des Herrscherhauptes, das als Krone einen aus goldenen Oelzweigen geflochtenen Kranz trug. Der Körper athmete Kraft und tiefe innere Ruhe. An den Seiten des Thrones und an dessen Lehne waren tanzende Hören und Grazien angebracht; an dem Fu߬ schemel zwei Löwen, wovon der eine den Schild in den Klauen hielt, worauf der Kampf des Theseus mit den Amazonen dargestellt war. Das kolossalste griechische Erzgcbilde war der von Chares aus Lindos um 273 vor Chr. zu Stande gebrachte Sonnenkoloß zu Rhodos, der eine Höhe von 70 griechischen Ellen (über 100 Pariser Fuß) erreichte und dessen Gliederformen so ungeheuer waren, daß nur Wenige die Daumen zu umfassen vermochten. In seinem Innern hohl, barg dieser Koloß Felsstücke, welche das Ganze zu halten dienten. Seine Erzmasse war so bedeutend, daß, nach¬ dem un Jahre 222 vor Chr. ein Erdbeben das Wunderwerk zertrümmert halte, 932 Jahre später (so lange hatte man den zerbrochenen Koloß liegen lassen) nicht weniger als 900 Kameele beladen werden mußten, um das Erz fortzuschaffen. Mit besonderer Bevorzugung gedenkt Homer der phönicischen Metall¬ arbeiten, vornehmlich aus Sidon, „der Stadt voll schimmernden Erzes" (Odyssee XV. 424), unter Anderm einen silbernen Krug, „voll von Kunst¬ werk, an Schönheit alles aus der Erde besiegend", als einen solchen bezeich¬ nend, den „kunstersahreneSidonier sinnreich geschaffen" (Ilias XXIII, 740—744), Ivwie einen zweiten, einen Mischkrug „von unvergleichlicher Arbeit, ganz aus Silber geformt und mit goldenem Rande gezieret, ein Geschenk von Phädi- wos. dem Könige der Sidonier", als „ein Werk des Hephästos (Odyssee IV, 614—lis); daher es von Wichtigkeit ist, bei dem phönicischen Volke specieller ju verweilen, nachdem zu dessen Erwähnung schon mehrfach uns Anlaß geworden. Sidon. bereits zu Joseph's Zeit, 1850 vor Chr., durch Handel mit Aegypten verbunden, zur Zeit der jüdischen Auswanderung aus Aegypten eine weithin herrschende Stadt, und Tyrus, zur Zeit der Könige David und Salomo die mächtigste Stadt in Borderasien, beides die vorzüglichsten Hasen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/161>, abgerufen am 23.07.2024.