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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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geborene noch heute die im Goldsande begrabenen fossilen Elephanten- und
Minocerosreste für die Knochen eines von ihren Voreltern vernichteten Riesen-
vogelgeschlechtes halten: in das Goldland Sibirien, wo die lange kalte Winter
nacht von dem flackernden Nordlichte erleuchtet wird.

Und in der That, in den Vorsteppen des Altai und in dem Hügellande
längs des Nordrandes von Hochasien fand vor nicht gar Langem der for¬
schende Eindringling einen 400 bis 500 Meilen langen Landstrich, vom Tobol
bis zum Baikal und zur Lena, zum großen Theil mit zahllosen altersgrauen
Schlackenhaufen, verfallenen Gruben und schürfen bedeckt, daneben die Grab¬
stätten einer untergegangenen unbekannten Völkerschaft, von den Insassen
Tschuden genannt, die ihren Todten den kostbarsten Metallschmuck von Gold,
Silber, Kupfer und einer Art Bronze mit in die Gruft gelegt: die Hinter¬
lassenschaft eines verschollenen erzkundigen großen Volkes (Ritter, Erdkunde
2. Aufl. II, 576 und 1134).

AIs vor zwei Jahrhunderten die vordringenden Russen, nachdem sie hundert
Jahre früher die malische Seite von Sibirien in Besitz genommen, auch hier¬
her gelangten, war das Land ziemlich öde und menschenleer, und die nach¬
gebliebenen Landsassen waren über ihre Vorfahren ganz ohne Kenntniß und
ohne alle Traditionen ihrer Geschicklichkeiten und Einsichten, zugleich in sich
selbst zum Theil einen solchen Urzustand des Könnens und Wissens bewahrend,
daß ungeachtet des Metallreichthumes des Bodens, auf dem sie ihre Heerden
weideten und ihre Jagdthiere erlegten, sie doch an Metallgeräthen arm waren,
so daß sie die eisernen und kupfernen Kessel der fremden Ankömmlinge begie¬
rig mit eben so viel Zobel- und schwarzen Fuchspelzen bezahlten, als jene mit
diesen sich vollstopfen ließen, während die Einwanderer auch ohne Wünschel¬
ruthe sichere Fingerzeige zum Einschlagen von neuen Schächten und Gruben
überall erblickten.

In den Steppen und Berglandschaften des Jenisei nur, die als Fund¬
stätten guter Eisenerze inzwischen eine gewisse Berühmtheit erlangt, trafen die
Russen eine mit der Kunst des Eisenschmiedens vertraute Völkerschaft, die sie
daher anfänglich auch nur Kusnezki, d. i. Schmiede, nannten. Die antiken
Grabmonumente dieses zur "blonden Rasse mit blauen Augen" gehörigen
Volkes enthielten außer Gold- und Silberschmuck auch Eisenwaffen, Schwert
und Pflug, wohingegen in den Tschudengräbern das Eisen vermißt wurde
(Ritter :c. S. 1134-135).

Dieser Umstand und die weitere Wahrnehmung, daß ni den Schächten
der Tschuden nur kupferne Berggczeuge zurückgeblieben (Ritter :c. III, 335),
brachten die Annahme zur Geltung, daß den Tschuden die Bearbeitung des
Eisens nicht bekannt geworden, womit im Einklange ihre Schächte auch meist
nur eine Tiefe bis zu 5, ausnahmsweise bis 10 Leichter finden ließen. In


geborene noch heute die im Goldsande begrabenen fossilen Elephanten- und
Minocerosreste für die Knochen eines von ihren Voreltern vernichteten Riesen-
vogelgeschlechtes halten: in das Goldland Sibirien, wo die lange kalte Winter
nacht von dem flackernden Nordlichte erleuchtet wird.

Und in der That, in den Vorsteppen des Altai und in dem Hügellande
längs des Nordrandes von Hochasien fand vor nicht gar Langem der for¬
schende Eindringling einen 400 bis 500 Meilen langen Landstrich, vom Tobol
bis zum Baikal und zur Lena, zum großen Theil mit zahllosen altersgrauen
Schlackenhaufen, verfallenen Gruben und schürfen bedeckt, daneben die Grab¬
stätten einer untergegangenen unbekannten Völkerschaft, von den Insassen
Tschuden genannt, die ihren Todten den kostbarsten Metallschmuck von Gold,
Silber, Kupfer und einer Art Bronze mit in die Gruft gelegt: die Hinter¬
lassenschaft eines verschollenen erzkundigen großen Volkes (Ritter, Erdkunde
2. Aufl. II, 576 und 1134).

AIs vor zwei Jahrhunderten die vordringenden Russen, nachdem sie hundert
Jahre früher die malische Seite von Sibirien in Besitz genommen, auch hier¬
her gelangten, war das Land ziemlich öde und menschenleer, und die nach¬
gebliebenen Landsassen waren über ihre Vorfahren ganz ohne Kenntniß und
ohne alle Traditionen ihrer Geschicklichkeiten und Einsichten, zugleich in sich
selbst zum Theil einen solchen Urzustand des Könnens und Wissens bewahrend,
daß ungeachtet des Metallreichthumes des Bodens, auf dem sie ihre Heerden
weideten und ihre Jagdthiere erlegten, sie doch an Metallgeräthen arm waren,
so daß sie die eisernen und kupfernen Kessel der fremden Ankömmlinge begie¬
rig mit eben so viel Zobel- und schwarzen Fuchspelzen bezahlten, als jene mit
diesen sich vollstopfen ließen, während die Einwanderer auch ohne Wünschel¬
ruthe sichere Fingerzeige zum Einschlagen von neuen Schächten und Gruben
überall erblickten.

In den Steppen und Berglandschaften des Jenisei nur, die als Fund¬
stätten guter Eisenerze inzwischen eine gewisse Berühmtheit erlangt, trafen die
Russen eine mit der Kunst des Eisenschmiedens vertraute Völkerschaft, die sie
daher anfänglich auch nur Kusnezki, d. i. Schmiede, nannten. Die antiken
Grabmonumente dieses zur „blonden Rasse mit blauen Augen" gehörigen
Volkes enthielten außer Gold- und Silberschmuck auch Eisenwaffen, Schwert
und Pflug, wohingegen in den Tschudengräbern das Eisen vermißt wurde
(Ritter :c. S. 1134-135).

Dieser Umstand und die weitere Wahrnehmung, daß ni den Schächten
der Tschuden nur kupferne Berggczeuge zurückgeblieben (Ritter :c. III, 335),
brachten die Annahme zur Geltung, daß den Tschuden die Bearbeitung des
Eisens nicht bekannt geworden, womit im Einklange ihre Schächte auch meist
nur eine Tiefe bis zu 5, ausnahmsweise bis 10 Leichter finden ließen. In


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/152>, abgerufen am 25.08.2024.