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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Erde verbrachten, heimgesucht von den Indern, welche nach Aufraffung der
Goldschütze schnell wieder von bannen eilten, zur Flucht sich der Mutterthiere
junger Kameele bedienend, um durch die Sehnsucht dieser nach ihren Jungen
um so schneller aus dem Bereiche jener Goldgräber hinweggeführt zu werden,
da bei der letzteren Schnelligkeit und Stärke sie sonst den Raub wol gar mit
dem Leben zu büßen hatten. Nach einer andern Sage aber wurden auf einem
im Norden von Indien gelegenen Gebirge, den Rhipäen, Goldgruben durch
Greife bewacht, letztere jedoch häufig von den einäugigen Arimaspen bekämpft
und des Goldes, selbst unter den Klanen hinweg, beraubt.

Die Sage von den Greifen ist schon bei Hesiod (850 v. Chr.) und
Herodot (450 v. Chr.) geläufig, und Letzterer erzählt umständlich auch die von
den goldgrabendcn Ameisen. Auffallend aber läßt noch 2000 Jahre später,
i. I. 1K07 unserer Zeitrechnung, der französische Geistliche und Staatsmann
I. A. de Thon (Listor. sui deux. lib. XXIII.) sich dahin vernehmen, daß
i. I. 1559 der Schah Tamasp Sofi von Persien eine goldgrabende Ameise
von der Größe eines Hundes, welche wild und beißig gewesen, dem türkischen
Kaiser Soliman als Geschenk übersandt habe.

Beide Sagen den Norden des alten Indiens berührend und das eben so
eifrig gesuchte als hoch geschätzte edelste der Metalle angebend, beide auch
vornehmlich von dessen Raube handelnd, sind, was Ursprung und Deutung
betrifft, lange als einander verwandt, ja zu einander gehörig erachtet worden,
da diejenige von der Bewachung des Goldes die andere von dessen Gewin¬
nung zu ergänzen geschienen, bis neuerliche indische Forschungen es mehr als
wahrscheinlich gemacht, daß die Sage von den Niescnamcisen aus dem zu¬
fälligen Gleichlaut zweier Thiernamen: tselriurM und tLetritä, hervorgegangen,
wovon ersterer eine große schwarze Ameisenart, letzterer die zur Jagd abgerich¬
tete indische Guepardkatze, ?"z1is Mbs-W, bezeichnet, während die alten indischen
Goldsucher sich dieser Guepards bereits zur Verfolgung ihrer Feinde bedient
haben mögen. Um so mehr aber ist die zweite Sage für sich in Frage
geblieben.

Schon hatte Agricola (1523) diesen Sagen eine Auslegung dahin gegeben,
daß sie aus bergmännischen Arbeiten hervorgegangen, als Graf Veltheim (1799)
dieselben speciell auf Goldwäschen zurückzuführen suchte, den Schauplatz der¬
selben in der großen Tartarei. der chinesischen Tartarei und Großtübet er¬
blickend, wo noch gegenwärtig Gold gesunden wird. Herodot (IV, 23) hin¬
gegen, der über zwei Jahrtausende früher davon Mittheilung gemacht, versetzt
Msbesondere die Sage von den Greifen weiter nach Norden, in'das Land der
asiatischen Scythen, "wo jenseits der kahlköpfigen Argippäer die Menschen ein
halb Jahr schlafen", in das Land jener Zauberer und Wahrsager, die des
Gebrauches,der Wünschelruthe aus Lindenholz kundig, dessen schiefäugige Ein-


Erde verbrachten, heimgesucht von den Indern, welche nach Aufraffung der
Goldschütze schnell wieder von bannen eilten, zur Flucht sich der Mutterthiere
junger Kameele bedienend, um durch die Sehnsucht dieser nach ihren Jungen
um so schneller aus dem Bereiche jener Goldgräber hinweggeführt zu werden,
da bei der letzteren Schnelligkeit und Stärke sie sonst den Raub wol gar mit
dem Leben zu büßen hatten. Nach einer andern Sage aber wurden auf einem
im Norden von Indien gelegenen Gebirge, den Rhipäen, Goldgruben durch
Greife bewacht, letztere jedoch häufig von den einäugigen Arimaspen bekämpft
und des Goldes, selbst unter den Klanen hinweg, beraubt.

Die Sage von den Greifen ist schon bei Hesiod (850 v. Chr.) und
Herodot (450 v. Chr.) geläufig, und Letzterer erzählt umständlich auch die von
den goldgrabendcn Ameisen. Auffallend aber läßt noch 2000 Jahre später,
i. I. 1K07 unserer Zeitrechnung, der französische Geistliche und Staatsmann
I. A. de Thon (Listor. sui deux. lib. XXIII.) sich dahin vernehmen, daß
i. I. 1559 der Schah Tamasp Sofi von Persien eine goldgrabende Ameise
von der Größe eines Hundes, welche wild und beißig gewesen, dem türkischen
Kaiser Soliman als Geschenk übersandt habe.

Beide Sagen den Norden des alten Indiens berührend und das eben so
eifrig gesuchte als hoch geschätzte edelste der Metalle angebend, beide auch
vornehmlich von dessen Raube handelnd, sind, was Ursprung und Deutung
betrifft, lange als einander verwandt, ja zu einander gehörig erachtet worden,
da diejenige von der Bewachung des Goldes die andere von dessen Gewin¬
nung zu ergänzen geschienen, bis neuerliche indische Forschungen es mehr als
wahrscheinlich gemacht, daß die Sage von den Niescnamcisen aus dem zu¬
fälligen Gleichlaut zweier Thiernamen: tselriurM und tLetritä, hervorgegangen,
wovon ersterer eine große schwarze Ameisenart, letzterer die zur Jagd abgerich¬
tete indische Guepardkatze, ?«z1is Mbs-W, bezeichnet, während die alten indischen
Goldsucher sich dieser Guepards bereits zur Verfolgung ihrer Feinde bedient
haben mögen. Um so mehr aber ist die zweite Sage für sich in Frage
geblieben.

Schon hatte Agricola (1523) diesen Sagen eine Auslegung dahin gegeben,
daß sie aus bergmännischen Arbeiten hervorgegangen, als Graf Veltheim (1799)
dieselben speciell auf Goldwäschen zurückzuführen suchte, den Schauplatz der¬
selben in der großen Tartarei. der chinesischen Tartarei und Großtübet er¬
blickend, wo noch gegenwärtig Gold gesunden wird. Herodot (IV, 23) hin¬
gegen, der über zwei Jahrtausende früher davon Mittheilung gemacht, versetzt
Msbesondere die Sage von den Greifen weiter nach Norden, in'das Land der
asiatischen Scythen, „wo jenseits der kahlköpfigen Argippäer die Menschen ein
halb Jahr schlafen", in das Land jener Zauberer und Wahrsager, die des
Gebrauches,der Wünschelruthe aus Lindenholz kundig, dessen schiefäugige Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/151>, abgerufen am 29.12.2024.