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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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und Thätigkeit, wie sie in der Volksvertretung erscheint, ist ein von dem
sonstigen bürgerlichen Leben (das vielmehr in jenen Eigenrcchten und Sonder¬
interessen sein Wesen hat) abgetrenntes Gebiet, und so kommt denn auch gar
nicht das vollständige bestimmte Leben der besonderen bürgerlichen Gebiete
zu seiner Vertretung. Zufällig zusammengewürfelte Vertreter haben in gleich¬
mäßiger Weise über die verschiedensten Gebiete, vielfach über solche, die ihrem
gewöhnlichen Beruf und Gesichtskreis ganz fremd sind, zu berathen und zu
entscheiden. Mit einem Worte: selbst die Volksvertretung ist in ihrer Weise
wieder ein bureaukratisches, dem sonstigen eigensten Leben des Volkes fremdes
Institut, deshalb weil auch im Volke selbst, im einzelnen Bürger das. was
den eigentlichen und gewöhnlichen Inhalt seiner bürgerlichen Stellung und
Thätigkeit ausmacht, seine bestimmte Erwerbsart und Besitzform u. s. w.,
und andrerseits seine allgemein staatsbürgerliche Seite in äußerlicher Weise
auseinandersällt.

Dieser innerste durchgreifendste Fehler der bisherigen Gesellschaftsform, in
Folge dessen sie eben als bloße "Gesellschaft", in ihre mannigfachen Eigenrechtc
und Sondcrinteressen versenkt, dem Staate und dessen allgemeinem Zwecke gegen¬
über steht und ihn als büreaukratische Ordnung über und außer sich hat, wird, wie
aus dem Früheren von selbst erhellt, nur durch jenes Rechtsgesetz der organischen
Berufspflicht und ihrer Ordnung aufgehoben. Durch sie erst ist Jeder eben in
dem, was den besonderen eigensten Inhalt seines gewöhnlichen bürgerlichen
Lebens ausmacht, zugleich auch unmittelbar ein Rechtsglied in dem allgemeinen
Zwecke des Staates; eben in seiner besondern Berufsthätigkeit schon und als
Genosse dieser bestimmten und in sich gegliederten Berufsgemeinschaft ist er
zugleich an der allgemeinen Staatsordnung thätig; und diese hat sich so selbst
ihrer ersten Grundlage nach aus der organischen Selbstverwaltung der beson¬
deren Berufskreise des Volkes und ihrer Vertretung auszubauen. Dadurch
erst verschwindet zugleich mit dem ganzen Gegensatze von Staat und Gesell¬
schaft auch der unwahre und unfreie Mechanismus der ganzen Staatsverwal¬
tung, verschwindet ferner der ebenso äußerliche, nicht aus dem übrigen be¬
stimmten Leben des Volkes heraufgewachsene Charakter der Volksvertretung u. s.w.
Allein es ist auch andererseits dabei vorausgesetzt, daß überall anstatt der
Rechtsform des bloßen Erwerbs und Besitzes die der wahren Berufsarbeit und
ihrer dem entsprechenden öffentlichen Verkehrspflicht, sowie eine demgemäße
Gestaltung nicht bloß der Berufsstände und specielleren Berufszweige, sondern
auch eine auf dieser Grundlage ruhende Durchbildung des Gemeindelebens
und Provinziallebens erfolge. Nur so wird überall statt jenes unwahren
Gegensatzes der heutigen Gesellschaft, nämlich eines selbstisch beschränkten und
in seine mannigfachen Sonderinteressen aufgelösten Privatdaseins und anderer¬
seits einer dasselbe äußerlich zusammenhaltenden mechanischen Staatsordnung,


und Thätigkeit, wie sie in der Volksvertretung erscheint, ist ein von dem
sonstigen bürgerlichen Leben (das vielmehr in jenen Eigenrcchten und Sonder¬
interessen sein Wesen hat) abgetrenntes Gebiet, und so kommt denn auch gar
nicht das vollständige bestimmte Leben der besonderen bürgerlichen Gebiete
zu seiner Vertretung. Zufällig zusammengewürfelte Vertreter haben in gleich¬
mäßiger Weise über die verschiedensten Gebiete, vielfach über solche, die ihrem
gewöhnlichen Beruf und Gesichtskreis ganz fremd sind, zu berathen und zu
entscheiden. Mit einem Worte: selbst die Volksvertretung ist in ihrer Weise
wieder ein bureaukratisches, dem sonstigen eigensten Leben des Volkes fremdes
Institut, deshalb weil auch im Volke selbst, im einzelnen Bürger das. was
den eigentlichen und gewöhnlichen Inhalt seiner bürgerlichen Stellung und
Thätigkeit ausmacht, seine bestimmte Erwerbsart und Besitzform u. s. w.,
und andrerseits seine allgemein staatsbürgerliche Seite in äußerlicher Weise
auseinandersällt.

Dieser innerste durchgreifendste Fehler der bisherigen Gesellschaftsform, in
Folge dessen sie eben als bloße „Gesellschaft", in ihre mannigfachen Eigenrechtc
und Sondcrinteressen versenkt, dem Staate und dessen allgemeinem Zwecke gegen¬
über steht und ihn als büreaukratische Ordnung über und außer sich hat, wird, wie
aus dem Früheren von selbst erhellt, nur durch jenes Rechtsgesetz der organischen
Berufspflicht und ihrer Ordnung aufgehoben. Durch sie erst ist Jeder eben in
dem, was den besonderen eigensten Inhalt seines gewöhnlichen bürgerlichen
Lebens ausmacht, zugleich auch unmittelbar ein Rechtsglied in dem allgemeinen
Zwecke des Staates; eben in seiner besondern Berufsthätigkeit schon und als
Genosse dieser bestimmten und in sich gegliederten Berufsgemeinschaft ist er
zugleich an der allgemeinen Staatsordnung thätig; und diese hat sich so selbst
ihrer ersten Grundlage nach aus der organischen Selbstverwaltung der beson¬
deren Berufskreise des Volkes und ihrer Vertretung auszubauen. Dadurch
erst verschwindet zugleich mit dem ganzen Gegensatze von Staat und Gesell¬
schaft auch der unwahre und unfreie Mechanismus der ganzen Staatsverwal¬
tung, verschwindet ferner der ebenso äußerliche, nicht aus dem übrigen be¬
stimmten Leben des Volkes heraufgewachsene Charakter der Volksvertretung u. s.w.
Allein es ist auch andererseits dabei vorausgesetzt, daß überall anstatt der
Rechtsform des bloßen Erwerbs und Besitzes die der wahren Berufsarbeit und
ihrer dem entsprechenden öffentlichen Verkehrspflicht, sowie eine demgemäße
Gestaltung nicht bloß der Berufsstände und specielleren Berufszweige, sondern
auch eine auf dieser Grundlage ruhende Durchbildung des Gemeindelebens
und Provinziallebens erfolge. Nur so wird überall statt jenes unwahren
Gegensatzes der heutigen Gesellschaft, nämlich eines selbstisch beschränkten und
in seine mannigfachen Sonderinteressen aufgelösten Privatdaseins und anderer¬
seits einer dasselbe äußerlich zusammenhaltenden mechanischen Staatsordnung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/140>, abgerufen am 23.07.2024.