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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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den Impuls gegeben haben, sondern der Friede, die Dampfkraft und die
Aufhebung der Zollschranken zwischen den einzelnen Ländern. Indem die
Maschine, durch Dampf bewegt, der Massenproduction dienen mußte, über¬
wältigte sie zugleich die Einrichtungen, in denen sie nicht vorgesehen war.
Mochten die Verordnungen dem Buchstaben nach fortbestehen, sie waren that¬
sächlich wirkungslos. Die Maschine hat die Zunft vernichtet. Der junge
Handwerker mußte mehr als die hergebrachten Handgriffe lernen, er fühlte
täglich das Bedürfniß, einen weitern Spielraum für seine Thätigkeit zu ge¬
winnen, die Orte aufzusuchen, wo sie noch lohnte, und für seine Genossen¬
schaften andere Grundlagen zu suchen als das Princip der Ausschließung,
auf welchem die Zunft beruhte. Wie von der Maschine die Zunft, so wurden
von der Locomotive und dem Dampfer Prohibitionen und Schlagbüume, Stapel
und Umschlagszwang niedergeworfen. Der Handel konnte eben so wenig wie
das Gewerbe die alten Fesseln tragen. Wurden sie an einer Stelle gelockert,
so ergoß sich dorthin der Strom des Verkehrs, und die Straße, die sich nicht
hätte öffnen wollen, wäre verödet.

So sind es also die neuen Werkzeuge und Wege der Industrie und des
Handels, welche die alten Verfassungen und Einrichtungen für den Betrieb der
Gewerbe und den internationalen Verkehr zuerst erschüttert haben. Selbst die
Anhänger der Zünfte und des Zollschutzes, ja Sir zuerst, erkannten, daß sie den
neuen Erscheinungen gegenüber nicht beim Alten bleiben könnten, und sie
verlangten -- Verbesserung. Die Uebergriffe des Fabrikbetriebs und des
Handels in das Gebiet des Handwerks sollten abgewehrt, dem Handwerker
sollte der Verkauf von Fabrikaten, die in sein Geschäft einschlagen, gestattet,
es sollte für Unterricht in technischer Richtung Gelegenheit geboten werden.
Die junge Industrie verlangte Erhöhung der Einfuhrzölle auf ausländische
Fabrikate, damit sie nicht dem größern Capital, den vollkommneren Maschinen
des Auslandes erliege. Beide fürchteten die Einflüsse der Theorie auf die
Regierungen, und suchten daher die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen.
Handwerk und Großgewerbe, unter sich im Streite, verbanden sich doch im
Kampfe gegen die Tendenzen des Beamtenthums für Gewerbe- und Handels¬
freiheit, und ihnen verdanken wir die ersten Bemühungen. Interesse an volks-
wirthschaftlichen Fragen in der Nation zu erwecken. Die trefflichsten Dienste
als Agitator für diesen Zweck hat Friedrich List geleistet, dessen Geburts¬
ort. Reutlingen, unlängst die Theilnehmer an dem volkswirtschaftlichen Kon¬
greß in Stuttgart besucht haben. Man beurtheilt diesen Mann sehr einseitig,
wenn man, wie so häufig geschieht, ihn als Apostel des Zollschutz-Systems
verehrt oder verunehrt. List war der Pionier des Zollvereins und der Eisen¬
bahnen. Der freie deutsche Markt, ein deutsches Handelsgebiet, versehen mit
Schienenwegen und Kanälen, eine Entwickelung für sein Vaterland, wie er


den Impuls gegeben haben, sondern der Friede, die Dampfkraft und die
Aufhebung der Zollschranken zwischen den einzelnen Ländern. Indem die
Maschine, durch Dampf bewegt, der Massenproduction dienen mußte, über¬
wältigte sie zugleich die Einrichtungen, in denen sie nicht vorgesehen war.
Mochten die Verordnungen dem Buchstaben nach fortbestehen, sie waren that¬
sächlich wirkungslos. Die Maschine hat die Zunft vernichtet. Der junge
Handwerker mußte mehr als die hergebrachten Handgriffe lernen, er fühlte
täglich das Bedürfniß, einen weitern Spielraum für seine Thätigkeit zu ge¬
winnen, die Orte aufzusuchen, wo sie noch lohnte, und für seine Genossen¬
schaften andere Grundlagen zu suchen als das Princip der Ausschließung,
auf welchem die Zunft beruhte. Wie von der Maschine die Zunft, so wurden
von der Locomotive und dem Dampfer Prohibitionen und Schlagbüume, Stapel
und Umschlagszwang niedergeworfen. Der Handel konnte eben so wenig wie
das Gewerbe die alten Fesseln tragen. Wurden sie an einer Stelle gelockert,
so ergoß sich dorthin der Strom des Verkehrs, und die Straße, die sich nicht
hätte öffnen wollen, wäre verödet.

So sind es also die neuen Werkzeuge und Wege der Industrie und des
Handels, welche die alten Verfassungen und Einrichtungen für den Betrieb der
Gewerbe und den internationalen Verkehr zuerst erschüttert haben. Selbst die
Anhänger der Zünfte und des Zollschutzes, ja Sir zuerst, erkannten, daß sie den
neuen Erscheinungen gegenüber nicht beim Alten bleiben könnten, und sie
verlangten — Verbesserung. Die Uebergriffe des Fabrikbetriebs und des
Handels in das Gebiet des Handwerks sollten abgewehrt, dem Handwerker
sollte der Verkauf von Fabrikaten, die in sein Geschäft einschlagen, gestattet,
es sollte für Unterricht in technischer Richtung Gelegenheit geboten werden.
Die junge Industrie verlangte Erhöhung der Einfuhrzölle auf ausländische
Fabrikate, damit sie nicht dem größern Capital, den vollkommneren Maschinen
des Auslandes erliege. Beide fürchteten die Einflüsse der Theorie auf die
Regierungen, und suchten daher die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen.
Handwerk und Großgewerbe, unter sich im Streite, verbanden sich doch im
Kampfe gegen die Tendenzen des Beamtenthums für Gewerbe- und Handels¬
freiheit, und ihnen verdanken wir die ersten Bemühungen. Interesse an volks-
wirthschaftlichen Fragen in der Nation zu erwecken. Die trefflichsten Dienste
als Agitator für diesen Zweck hat Friedrich List geleistet, dessen Geburts¬
ort. Reutlingen, unlängst die Theilnehmer an dem volkswirtschaftlichen Kon¬
greß in Stuttgart besucht haben. Man beurtheilt diesen Mann sehr einseitig,
wenn man, wie so häufig geschieht, ihn als Apostel des Zollschutz-Systems
verehrt oder verunehrt. List war der Pionier des Zollvereins und der Eisen¬
bahnen. Der freie deutsche Markt, ein deutsches Handelsgebiet, versehen mit
Schienenwegen und Kanälen, eine Entwickelung für sein Vaterland, wie er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/14>, abgerufen am 23.07.2024.