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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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der bureaukratischen Bevormundung, dies jetzt so vielgenannte Ziel, uns noch
unmöglich macht, wie es in nationaler Beziehung noch die letzte Wurzel alles
unseres kleinstaatlichen Particularismus ist. Der ganze unfrei mechanische
Charakter unserer Staatsordnung nämlich, wie sie sich von den Zeiten des
Mittelalters an allmälig ausgebildet hat, beruht durchweg darauf, daß die
verschiedenen Elemente und Klassen der bürgerlichen Gesellschaft sich nur inner¬
halb ihres besonderen, durch geschichtliche Verhältnisse so gewordenen (oder
ausschließlich kraft natürlicher Rechtsprincipien umzugestaltenden) Eigenrechtes
und Sonderinteresses bewegten, daß sie so gegenüber dem höheren und
allgemeinen Zwecke des Staates in einseitiger Privatstellung und in der Be¬
schränktheit ihrer besonderen Nechtsinteressen dastanden, und ebendeshalb die
allgemeine Staatsregierung zu einer gegen sie äußerlichen und bevormundenden
Macht, zu einem gegen die eigene Selbstthätigkeit des Volkes fremden Mecha¬
nismus werden mußte, zu dem, was wir in seiner jetzigen gleichmäßig durch¬
geführten Gestalt eben als büreaukratische Staatsordnung bezeichnen. Zufolge
jenes natürlichen Gesetzes mußte einst zunächst die particularistische Ungebun-
denheit und Selbständigkeit der mittelalterlichen Stände und Korporationen,
die den einheitlichen Staatszusammenhang zerriß, sich allmälig unter den
Absolutismus der fürstlichen Gewalt unterordnen, eben weil sie selbst nur ein¬
seitig besondere und einander widerstreitende Interessen in sich darstellten und
so dem Bedürfniß der höheren allgemeinen Ordnung, die vielmehr durch die
fürstliche Gewalt vertreten wurde, nicht selbst genügen konnten. Aber auch
das frei natürliche Rechtsbewußtsein der Revolutionsperiode hat an jenem
letzten Grundfehler, der bis in das Mittelalter zurückgeht, noch nichts geändert.
Wenngleich das Volk kraft freier natürlicher Rechte zu constitutioneller Mit¬
regierung berufen werden sollte, so blieben doch alle seine verschiedenen Klassen,
Gewerbsstand, Handelsstand u. s. w., ihrer ganzen übrigen bürgerlichen
Stellung nach nur in ihr Eigenrecht und dessen Interessen, in ihren Erwerb,
Besitz u. s. w. versenkt, sie blieben also in dieser beschränkten und selbstischen
Privatstellung und behielten ebendeshalb fortwährend die Staatsverwaltung
und deren verschiedene Gebiete als eine büreaukratische, für sie selbst unfrei
äußerliche und bevormundende Ordnung über sich. Ja durch die Aufhebung
der frühern noch aus dem Mittelalter herstammenden Ungleichheiten, der ver¬
schiedenen Standesvorrechte, Körperschaftsrechte u. s. w. wurde erst vollends
die gleichmäßig über Alles ausgedehnte und einheitlich centralisirte Verwal¬
tungsmaschine vollendet. Sogar die Volksvertretung selbst, diese doch zur
Mitregierung im Staate berufene Macht, ist etwas dem gewöhnlichen übrigen
Leben des Volkes Fremdes, Extraordinäres; sie ist nicht die eigene unmittel¬
bare Zusammenfassung des sonstigen Lebens des Volkes als eines schon organi-
strten und rü freier Selbstverwaltung thätigen. Die staatsbürgerliche Stellung


Grenzboten IV. 1L61. 17

der bureaukratischen Bevormundung, dies jetzt so vielgenannte Ziel, uns noch
unmöglich macht, wie es in nationaler Beziehung noch die letzte Wurzel alles
unseres kleinstaatlichen Particularismus ist. Der ganze unfrei mechanische
Charakter unserer Staatsordnung nämlich, wie sie sich von den Zeiten des
Mittelalters an allmälig ausgebildet hat, beruht durchweg darauf, daß die
verschiedenen Elemente und Klassen der bürgerlichen Gesellschaft sich nur inner¬
halb ihres besonderen, durch geschichtliche Verhältnisse so gewordenen (oder
ausschließlich kraft natürlicher Rechtsprincipien umzugestaltenden) Eigenrechtes
und Sonderinteresses bewegten, daß sie so gegenüber dem höheren und
allgemeinen Zwecke des Staates in einseitiger Privatstellung und in der Be¬
schränktheit ihrer besonderen Nechtsinteressen dastanden, und ebendeshalb die
allgemeine Staatsregierung zu einer gegen sie äußerlichen und bevormundenden
Macht, zu einem gegen die eigene Selbstthätigkeit des Volkes fremden Mecha¬
nismus werden mußte, zu dem, was wir in seiner jetzigen gleichmäßig durch¬
geführten Gestalt eben als büreaukratische Staatsordnung bezeichnen. Zufolge
jenes natürlichen Gesetzes mußte einst zunächst die particularistische Ungebun-
denheit und Selbständigkeit der mittelalterlichen Stände und Korporationen,
die den einheitlichen Staatszusammenhang zerriß, sich allmälig unter den
Absolutismus der fürstlichen Gewalt unterordnen, eben weil sie selbst nur ein¬
seitig besondere und einander widerstreitende Interessen in sich darstellten und
so dem Bedürfniß der höheren allgemeinen Ordnung, die vielmehr durch die
fürstliche Gewalt vertreten wurde, nicht selbst genügen konnten. Aber auch
das frei natürliche Rechtsbewußtsein der Revolutionsperiode hat an jenem
letzten Grundfehler, der bis in das Mittelalter zurückgeht, noch nichts geändert.
Wenngleich das Volk kraft freier natürlicher Rechte zu constitutioneller Mit¬
regierung berufen werden sollte, so blieben doch alle seine verschiedenen Klassen,
Gewerbsstand, Handelsstand u. s. w., ihrer ganzen übrigen bürgerlichen
Stellung nach nur in ihr Eigenrecht und dessen Interessen, in ihren Erwerb,
Besitz u. s. w. versenkt, sie blieben also in dieser beschränkten und selbstischen
Privatstellung und behielten ebendeshalb fortwährend die Staatsverwaltung
und deren verschiedene Gebiete als eine büreaukratische, für sie selbst unfrei
äußerliche und bevormundende Ordnung über sich. Ja durch die Aufhebung
der frühern noch aus dem Mittelalter herstammenden Ungleichheiten, der ver¬
schiedenen Standesvorrechte, Körperschaftsrechte u. s. w. wurde erst vollends
die gleichmäßig über Alles ausgedehnte und einheitlich centralisirte Verwal¬
tungsmaschine vollendet. Sogar die Volksvertretung selbst, diese doch zur
Mitregierung im Staate berufene Macht, ist etwas dem gewöhnlichen übrigen
Leben des Volkes Fremdes, Extraordinäres; sie ist nicht die eigene unmittel¬
bare Zusammenfassung des sonstigen Lebens des Volkes als eines schon organi-
strten und rü freier Selbstverwaltung thätigen. Die staatsbürgerliche Stellung


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[0139] der bureaukratischen Bevormundung, dies jetzt so vielgenannte Ziel, uns noch unmöglich macht, wie es in nationaler Beziehung noch die letzte Wurzel alles unseres kleinstaatlichen Particularismus ist. Der ganze unfrei mechanische Charakter unserer Staatsordnung nämlich, wie sie sich von den Zeiten des Mittelalters an allmälig ausgebildet hat, beruht durchweg darauf, daß die verschiedenen Elemente und Klassen der bürgerlichen Gesellschaft sich nur inner¬ halb ihres besonderen, durch geschichtliche Verhältnisse so gewordenen (oder ausschließlich kraft natürlicher Rechtsprincipien umzugestaltenden) Eigenrechtes und Sonderinteresses bewegten, daß sie so gegenüber dem höheren und allgemeinen Zwecke des Staates in einseitiger Privatstellung und in der Be¬ schränktheit ihrer besonderen Nechtsinteressen dastanden, und ebendeshalb die allgemeine Staatsregierung zu einer gegen sie äußerlichen und bevormundenden Macht, zu einem gegen die eigene Selbstthätigkeit des Volkes fremden Mecha¬ nismus werden mußte, zu dem, was wir in seiner jetzigen gleichmäßig durch¬ geführten Gestalt eben als büreaukratische Staatsordnung bezeichnen. Zufolge jenes natürlichen Gesetzes mußte einst zunächst die particularistische Ungebun- denheit und Selbständigkeit der mittelalterlichen Stände und Korporationen, die den einheitlichen Staatszusammenhang zerriß, sich allmälig unter den Absolutismus der fürstlichen Gewalt unterordnen, eben weil sie selbst nur ein¬ seitig besondere und einander widerstreitende Interessen in sich darstellten und so dem Bedürfniß der höheren allgemeinen Ordnung, die vielmehr durch die fürstliche Gewalt vertreten wurde, nicht selbst genügen konnten. Aber auch das frei natürliche Rechtsbewußtsein der Revolutionsperiode hat an jenem letzten Grundfehler, der bis in das Mittelalter zurückgeht, noch nichts geändert. Wenngleich das Volk kraft freier natürlicher Rechte zu constitutioneller Mit¬ regierung berufen werden sollte, so blieben doch alle seine verschiedenen Klassen, Gewerbsstand, Handelsstand u. s. w., ihrer ganzen übrigen bürgerlichen Stellung nach nur in ihr Eigenrecht und dessen Interessen, in ihren Erwerb, Besitz u. s. w. versenkt, sie blieben also in dieser beschränkten und selbstischen Privatstellung und behielten ebendeshalb fortwährend die Staatsverwaltung und deren verschiedene Gebiete als eine büreaukratische, für sie selbst unfrei äußerliche und bevormundende Ordnung über sich. Ja durch die Aufhebung der frühern noch aus dem Mittelalter herstammenden Ungleichheiten, der ver¬ schiedenen Standesvorrechte, Körperschaftsrechte u. s. w. wurde erst vollends die gleichmäßig über Alles ausgedehnte und einheitlich centralisirte Verwal¬ tungsmaschine vollendet. Sogar die Volksvertretung selbst, diese doch zur Mitregierung im Staate berufene Macht, ist etwas dem gewöhnlichen übrigen Leben des Volkes Fremdes, Extraordinäres; sie ist nicht die eigene unmittel¬ bare Zusammenfassung des sonstigen Lebens des Volkes als eines schon organi- strten und rü freier Selbstverwaltung thätigen. Die staatsbürgerliche Stellung Grenzboten IV. 1L61. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/139>, abgerufen am 23.07.2024.