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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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liebe Macht abstracter Forderungen und unreifer Rechtsansprüche, die noch in
der Bewegung von 1848 alle unsere nationalen Bestrebungen lähmte und
durchkreuzte, überwunden ist und weit mehr die bestimmten nüchternen Be¬
dingungen sowol des bürgerlichen als des nationalen Strebens in den Vorder¬
grund getreten sind. Allein zu jenem tieferen bürgerlichen Berufsbewußtsein,
in welchem erst die letzte Lösung auch unserer nationalen Aufgabe liegt, sind
wir doch nur erst in sehr unvollkommener Annäherung begriffen. Und zwar
sind wir dies von einer doppelten Seite her, einmal sofern das Bedürfniß und
Streben nach wahrhaft fachmäßiger technischer Ausbildung, sowie nach Beseiti¬
gung aller Hemmnisse der industriellen Thätigkeit, in allen Klassen des Volkes,
in der Landwirthschaft, wie in den Gewerben u. f. w. rege geworden ist und
in der mannigfachsten Weise gefördert wird; und dann (was unmittelbar da¬
mit zusammenhängt und darauf einwirkt) sofern das Bewußtsein eines großen
universellen Verkehrszusammenhangs lebendig geworden ist, in welchem jene
industrielle Arbeit sich zu bethätigen und zu behaupten hat. Diese beiden Seiten
zusammen sind, wie von selbst erhellt, für das volle bürgerliche Bcrufsbewußt-
sein wesentlich: die technische Tüchtigkeit und die Anregung und Befeuerung
derselben durch einen umfassenden Verkehrszusammenhang greifen ineinander.

Allein diese beiden so wesentlichen Factoren wirken in der Gegenwart
nur erst in äußerlicher Weise, nicht in ihrer wahren rechtlichen Gestalt; sie
wirken mit einem Worte nur erst in der Form gesteigerten Erwcrbsgeistes,
nicht in der des rechtlichen Bcrufsgeistes. Denn so sehr auch dem sachlichen
Inhalte nach jene Erwerbsthätigkeit eine gemeinnützige sein mag, so gilt sie
doch rechtlich nur als Sache des eigenen Privatwerkes, und selbst die Förde¬
rung dieser Thätigkeit durch den Staat durch allerlei öffentliche Bildungs¬
mittel und Anstalten macht das durchaus nicht anders. Jene ganze industrielle
Regsamkeit ist daher zunächst noch ein bloßes Erwerbsstreben, wie denn dieß
Alles an nichts deutlicher wird als daran, daß in rechtlicher Beziehung diese
jetzige industrielle Bewegung bis jetzt noch auf nichts Weiteres als die bloße
Gewerbsfreiheit gerichtet ist. Denn wie sehr auch diese mit Recht gegen ver¬
alteten Zunftzwang, gegen widersinnige Beschränkungen und Eingrenzungen
des Erwerbsgebietes u. s. w. sich richten mag, so enthält sie doch für sich
selbst noch nichts Weiteres als das Princip des eigenen ungehemmten Erwerbes
Aller, sie will rlur diesem ihrem Eigenrechte zur vollen ungehinderten Bethä¬
tigung verhelfen. Ein anderes noch höheres und vollständigeres Rechtsprincip,
das namentlich zu wahrer genossenschaftlicher Gliederung und Ausbildung des
gewerblichen Lebens führen müßte, kennt sie noch nicht.

Eben dies nun aber, der Geist des bloßen Eigenrechtcs und seines Er¬
werbs, ist es, was uns in der Hauptsache immer noch an die alten Zustände
fesselt, was ebenso wahre Selbstverwaltung im Innern, Befreiung von all'


liebe Macht abstracter Forderungen und unreifer Rechtsansprüche, die noch in
der Bewegung von 1848 alle unsere nationalen Bestrebungen lähmte und
durchkreuzte, überwunden ist und weit mehr die bestimmten nüchternen Be¬
dingungen sowol des bürgerlichen als des nationalen Strebens in den Vorder¬
grund getreten sind. Allein zu jenem tieferen bürgerlichen Berufsbewußtsein,
in welchem erst die letzte Lösung auch unserer nationalen Aufgabe liegt, sind
wir doch nur erst in sehr unvollkommener Annäherung begriffen. Und zwar
sind wir dies von einer doppelten Seite her, einmal sofern das Bedürfniß und
Streben nach wahrhaft fachmäßiger technischer Ausbildung, sowie nach Beseiti¬
gung aller Hemmnisse der industriellen Thätigkeit, in allen Klassen des Volkes,
in der Landwirthschaft, wie in den Gewerben u. f. w. rege geworden ist und
in der mannigfachsten Weise gefördert wird; und dann (was unmittelbar da¬
mit zusammenhängt und darauf einwirkt) sofern das Bewußtsein eines großen
universellen Verkehrszusammenhangs lebendig geworden ist, in welchem jene
industrielle Arbeit sich zu bethätigen und zu behaupten hat. Diese beiden Seiten
zusammen sind, wie von selbst erhellt, für das volle bürgerliche Bcrufsbewußt-
sein wesentlich: die technische Tüchtigkeit und die Anregung und Befeuerung
derselben durch einen umfassenden Verkehrszusammenhang greifen ineinander.

Allein diese beiden so wesentlichen Factoren wirken in der Gegenwart
nur erst in äußerlicher Weise, nicht in ihrer wahren rechtlichen Gestalt; sie
wirken mit einem Worte nur erst in der Form gesteigerten Erwcrbsgeistes,
nicht in der des rechtlichen Bcrufsgeistes. Denn so sehr auch dem sachlichen
Inhalte nach jene Erwerbsthätigkeit eine gemeinnützige sein mag, so gilt sie
doch rechtlich nur als Sache des eigenen Privatwerkes, und selbst die Förde¬
rung dieser Thätigkeit durch den Staat durch allerlei öffentliche Bildungs¬
mittel und Anstalten macht das durchaus nicht anders. Jene ganze industrielle
Regsamkeit ist daher zunächst noch ein bloßes Erwerbsstreben, wie denn dieß
Alles an nichts deutlicher wird als daran, daß in rechtlicher Beziehung diese
jetzige industrielle Bewegung bis jetzt noch auf nichts Weiteres als die bloße
Gewerbsfreiheit gerichtet ist. Denn wie sehr auch diese mit Recht gegen ver¬
alteten Zunftzwang, gegen widersinnige Beschränkungen und Eingrenzungen
des Erwerbsgebietes u. s. w. sich richten mag, so enthält sie doch für sich
selbst noch nichts Weiteres als das Princip des eigenen ungehemmten Erwerbes
Aller, sie will rlur diesem ihrem Eigenrechte zur vollen ungehinderten Bethä¬
tigung verhelfen. Ein anderes noch höheres und vollständigeres Rechtsprincip,
das namentlich zu wahrer genossenschaftlicher Gliederung und Ausbildung des
gewerblichen Lebens führen müßte, kennt sie noch nicht.

Eben dies nun aber, der Geist des bloßen Eigenrechtcs und seines Er¬
werbs, ist es, was uns in der Hauptsache immer noch an die alten Zustände
fesselt, was ebenso wahre Selbstverwaltung im Innern, Befreiung von all'


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[0138] liebe Macht abstracter Forderungen und unreifer Rechtsansprüche, die noch in der Bewegung von 1848 alle unsere nationalen Bestrebungen lähmte und durchkreuzte, überwunden ist und weit mehr die bestimmten nüchternen Be¬ dingungen sowol des bürgerlichen als des nationalen Strebens in den Vorder¬ grund getreten sind. Allein zu jenem tieferen bürgerlichen Berufsbewußtsein, in welchem erst die letzte Lösung auch unserer nationalen Aufgabe liegt, sind wir doch nur erst in sehr unvollkommener Annäherung begriffen. Und zwar sind wir dies von einer doppelten Seite her, einmal sofern das Bedürfniß und Streben nach wahrhaft fachmäßiger technischer Ausbildung, sowie nach Beseiti¬ gung aller Hemmnisse der industriellen Thätigkeit, in allen Klassen des Volkes, in der Landwirthschaft, wie in den Gewerben u. f. w. rege geworden ist und in der mannigfachsten Weise gefördert wird; und dann (was unmittelbar da¬ mit zusammenhängt und darauf einwirkt) sofern das Bewußtsein eines großen universellen Verkehrszusammenhangs lebendig geworden ist, in welchem jene industrielle Arbeit sich zu bethätigen und zu behaupten hat. Diese beiden Seiten zusammen sind, wie von selbst erhellt, für das volle bürgerliche Bcrufsbewußt- sein wesentlich: die technische Tüchtigkeit und die Anregung und Befeuerung derselben durch einen umfassenden Verkehrszusammenhang greifen ineinander. Allein diese beiden so wesentlichen Factoren wirken in der Gegenwart nur erst in äußerlicher Weise, nicht in ihrer wahren rechtlichen Gestalt; sie wirken mit einem Worte nur erst in der Form gesteigerten Erwcrbsgeistes, nicht in der des rechtlichen Bcrufsgeistes. Denn so sehr auch dem sachlichen Inhalte nach jene Erwerbsthätigkeit eine gemeinnützige sein mag, so gilt sie doch rechtlich nur als Sache des eigenen Privatwerkes, und selbst die Förde¬ rung dieser Thätigkeit durch den Staat durch allerlei öffentliche Bildungs¬ mittel und Anstalten macht das durchaus nicht anders. Jene ganze industrielle Regsamkeit ist daher zunächst noch ein bloßes Erwerbsstreben, wie denn dieß Alles an nichts deutlicher wird als daran, daß in rechtlicher Beziehung diese jetzige industrielle Bewegung bis jetzt noch auf nichts Weiteres als die bloße Gewerbsfreiheit gerichtet ist. Denn wie sehr auch diese mit Recht gegen ver¬ alteten Zunftzwang, gegen widersinnige Beschränkungen und Eingrenzungen des Erwerbsgebietes u. s. w. sich richten mag, so enthält sie doch für sich selbst noch nichts Weiteres als das Princip des eigenen ungehemmten Erwerbes Aller, sie will rlur diesem ihrem Eigenrechte zur vollen ungehinderten Bethä¬ tigung verhelfen. Ein anderes noch höheres und vollständigeres Rechtsprincip, das namentlich zu wahrer genossenschaftlicher Gliederung und Ausbildung des gewerblichen Lebens führen müßte, kennt sie noch nicht. Eben dies nun aber, der Geist des bloßen Eigenrechtcs und seines Er¬ werbs, ist es, was uns in der Hauptsache immer noch an die alten Zustände fesselt, was ebenso wahre Selbstverwaltung im Innern, Befreiung von all'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/138>, abgerufen am 23.07.2024.