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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Auch in der sogenannten pädagogischen Provinz erscheint demgemäß (nur in
einer mehr spielend bildlichen Weise) Alles darauf angelegt, die besondere
Anlage und Bestimmung des Einzelnen zu erforschen, ihn zu diesem Zwecke
mit seinen besonderen Fachgenossen zusammenzubringen und auszubilden.
Das Wandern aber, diese eigenthümliche Form der "Entsagung", erscheint
so (abgesehen von der Anknüpfung, die es an dem Gedanken der Lehrjahre
hat) nur als ein Symbol, um überhaupt jene Erhebung über die bloß per¬
sönliche Stellung und deren Privatinteressen auszudrücken, welche' mit dem
Zweck der berufsmäßigen Bildung und Wirksamkeit für die Gemeinschaft von
selbst gegeben ist.

Man darf mit Recht sagen, daß der Dichter in dem Allem das Ziel
unserer deutschen Entwicklung in der vollkommensten Weise, so weit es eben in
der Form dichterischer Ahnung möglich war. ausgesprochen hat, daß er zu
einer Zeit, wo der französische Geist noch mit dem Aufdecken unnatürlicher
socialistischer Zerrbilder und ihres materiellen Nützlichkeitsmechanismus be¬
schäftigt war, hier, in den Wanderjahren, schon auf eine ganz andere tiefere
und würdigere Lösung der socialen Frage hingewiesen hat, obgleich dann erst
die französischen Ideen uns Deutsche anregen mühten, diese Fragen zum
Gegenstande eines eingehenderen wissenschaftlichen Nachdenkens zu machen.
Nur Ein Wort ist es, das bei jenen Goethe'schen Anschauungen noch zur vollen
Lösung fehlt, ein Begriff der vollen Rechtsordnung, die erst in einer demge-
mäßen organischen Berufspflicht und einer entsprechend gegliederten Rechtsform
dieses Berufslebens Aller ihre wahre Verwirklichung findet.

Im Rechte nämlich handelt es sich um die äußeren (gegenständlichen) Be¬
dingungen, durch welche der Zweck der freien Persönlichkeit zu sichern ist. Eben
diese äußeren Bedingungen aber sich vollständig klar zu machen und herzu¬
stellen (nicht nur etwa das sittliche Bewußtsein der menschlichen und bürger¬
lichen Aufgaben vollständig auszubilden), dies eben ist die Aufgabe der jetzigen
Zeit. Zum Bewußtsein diejer entwickelten Nechtsbedingungen fortzugehen,
dazu war das Bewußtsein des Dichters und seiner ganzen Zeit noch zu idealer
Art, noch zu sehr erst mit dem ideellen (sittlichen) Begriffe echt menschlicher
Bestimmung beschäftigt. Es ist schon Fortschritt genug, daß von dem noch
einseitig ästhetischen, auf harmonisch schöne Ausbildung gerichteten Interesse
der Lehrjahre zu einem entschiedenen Bewußtsein bürgerlicher Bcrufsbestimmung
fortgegangen ist, das die Wanderjahre bezeichnet. Allein dieses Bewußtsein
selbst erhält freilich seine volle Wahrheit und Wirklichkeit erst mittelst jener
Nechtsbedingungen. So gewiß als das Recht in Achtung des leiblichen Da-
seins und Eigenthums der freien Person besteht, so gewiß hat es auch nicht
weniger diejenigen äußeren Bedingungen zu erfüllen, an welche der geistig
sittliche und echt menschliche Zweck der Persönlichkeit geknüpft ist; ohne Er-


Auch in der sogenannten pädagogischen Provinz erscheint demgemäß (nur in
einer mehr spielend bildlichen Weise) Alles darauf angelegt, die besondere
Anlage und Bestimmung des Einzelnen zu erforschen, ihn zu diesem Zwecke
mit seinen besonderen Fachgenossen zusammenzubringen und auszubilden.
Das Wandern aber, diese eigenthümliche Form der „Entsagung", erscheint
so (abgesehen von der Anknüpfung, die es an dem Gedanken der Lehrjahre
hat) nur als ein Symbol, um überhaupt jene Erhebung über die bloß per¬
sönliche Stellung und deren Privatinteressen auszudrücken, welche' mit dem
Zweck der berufsmäßigen Bildung und Wirksamkeit für die Gemeinschaft von
selbst gegeben ist.

Man darf mit Recht sagen, daß der Dichter in dem Allem das Ziel
unserer deutschen Entwicklung in der vollkommensten Weise, so weit es eben in
der Form dichterischer Ahnung möglich war. ausgesprochen hat, daß er zu
einer Zeit, wo der französische Geist noch mit dem Aufdecken unnatürlicher
socialistischer Zerrbilder und ihres materiellen Nützlichkeitsmechanismus be¬
schäftigt war, hier, in den Wanderjahren, schon auf eine ganz andere tiefere
und würdigere Lösung der socialen Frage hingewiesen hat, obgleich dann erst
die französischen Ideen uns Deutsche anregen mühten, diese Fragen zum
Gegenstande eines eingehenderen wissenschaftlichen Nachdenkens zu machen.
Nur Ein Wort ist es, das bei jenen Goethe'schen Anschauungen noch zur vollen
Lösung fehlt, ein Begriff der vollen Rechtsordnung, die erst in einer demge-
mäßen organischen Berufspflicht und einer entsprechend gegliederten Rechtsform
dieses Berufslebens Aller ihre wahre Verwirklichung findet.

Im Rechte nämlich handelt es sich um die äußeren (gegenständlichen) Be¬
dingungen, durch welche der Zweck der freien Persönlichkeit zu sichern ist. Eben
diese äußeren Bedingungen aber sich vollständig klar zu machen und herzu¬
stellen (nicht nur etwa das sittliche Bewußtsein der menschlichen und bürger¬
lichen Aufgaben vollständig auszubilden), dies eben ist die Aufgabe der jetzigen
Zeit. Zum Bewußtsein diejer entwickelten Nechtsbedingungen fortzugehen,
dazu war das Bewußtsein des Dichters und seiner ganzen Zeit noch zu idealer
Art, noch zu sehr erst mit dem ideellen (sittlichen) Begriffe echt menschlicher
Bestimmung beschäftigt. Es ist schon Fortschritt genug, daß von dem noch
einseitig ästhetischen, auf harmonisch schöne Ausbildung gerichteten Interesse
der Lehrjahre zu einem entschiedenen Bewußtsein bürgerlicher Bcrufsbestimmung
fortgegangen ist, das die Wanderjahre bezeichnet. Allein dieses Bewußtsein
selbst erhält freilich seine volle Wahrheit und Wirklichkeit erst mittelst jener
Nechtsbedingungen. So gewiß als das Recht in Achtung des leiblichen Da-
seins und Eigenthums der freien Person besteht, so gewiß hat es auch nicht
weniger diejenigen äußeren Bedingungen zu erfüllen, an welche der geistig
sittliche und echt menschliche Zweck der Persönlichkeit geknüpft ist; ohne Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/136>, abgerufen am 23.07.2024.