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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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für eine so radicale Reform des Tarifs, sondern mir für eine allmälige Er¬
mäßigung der Eingangsabgabe von Twisten! -- Hier, auf solchen Gebieten
der Volkswirthschaft, wo die süße Gewohnheit des geschützten Daseins sich
jeder Neuerung erwehrt, hier ist das Feld für eine fruchtbare Wirksamkeit zur
Vermittelung der Lehre mit dem Leben. Den Gewerbeschulen, den technischen
Mittel- und Hochschulen entwächst eine besser unterrichtete Generation, welche
ihr Heil in freiem Gebrauche ihrer Kräfte, nicht mehr im Aufschlüsse Anderer
erblickt. Sie wird sich nicht geschützt, sondern unerträglich beengt suhlen,
wenn sie als Lehrling leiden, als Geselle wandern und fechten soll, bevor ihr
gestattet wird zu versuchen, ob ihr das Meisterrecht, d. h. das Recht ertheilt
wird, gerade dieses Gewerbe und kein anderes, gerade an diesem Orte und
an keinem andern, zu treiben, um, falls die große Industrie oder eine neue
Erfindung ihr Gewerbe beeinträchtigt, der Verarmung unrettbar anheimzufallen.
Neben den Schulen zeigen die Genossenschaften den Weg, wie die wirth¬
schaftlichen Kräfte sich mit besserem Erfolge vereinigen können, als in den über¬
lebten Formen der polizeilich bevormundeten Zunft. Hunderte von Vereinen
sind entstanden und vermehren sich täglich, um aus den kleinen Beiträgen der
Einzelner? und dem Credite der Gesammtheit die Mittel zu gewinnen, Rohstoffe
und Werkzeuge nicht allein, sondern auch Lebensbedürfnisse in größeren Mengen
gegen Baarzahlung, d. h. besser und billiger, als es der Einzelne vermöchte,
anzuschaffen, ihren Mitgliedern Vorschüsse zu geben und ihre Erübrigungen
anzusammeln. Immer eindringlicher endlich ergeht an die Zurückgebliebenen
der Ruf zur Nachfolge durch das Beispiel, welches ein Staat nach dem andern
giebt, indem seine Gesetzgebung Raum schafft sür freiere Entfaltung der Kräfte
und für den Austausch der Erzeugnisse auf dem Weltmarkte. Mag auch vom
Standpunkte einer geläuterten Theorie aus das bis jetzt vorliegende Werk der
Gesetzgebungen in deutschen Staaten noch in hohem Grade unzulänglich er¬
scheinen, so ist doch, wenn man die gegebenen Zustände, an denen die Reform
vollzogen werden soll, in's Auge faßt, der Fortschritt unverkennbar. Der Theo¬
rie bleibt die hohe Aufgabe, das Ziel aufzustellen und festzuhalten, das Ziel
der Erhöhung des Nationalwohlstandes, und die dahin führenden Mittel und
Wege in den Ueberzeugungen der denkenden und strebenden Elemente zur An¬
erkennung zu bringen. Die Praxis aber muß auch mit den Factoren des
Widerstandes rechnen, mit ihrer Kraft der Trägheit, mit den Nachtheilen eines
jeden Ueberganges. Das Neue muß schon geworden sein, es muß seine Berech¬
tigung, ja seine Unwiderstehlichkeit schon dargethan haben, bevor es sich or¬
ganisch gestaltet und endgültig sich an die Stelle des Alten setzt. Fragen
wir, woher denn in Deutschland das Wiedcraufwachen des Triebes nach besseren
Einrichtungen sür Landwirthschaft und Gewerbe, sür Handel und Creditwesen
gekommen ist, so müssen wir uns sagen, daß weder Bücher noch Kollegienhefte


für eine so radicale Reform des Tarifs, sondern mir für eine allmälige Er¬
mäßigung der Eingangsabgabe von Twisten! — Hier, auf solchen Gebieten
der Volkswirthschaft, wo die süße Gewohnheit des geschützten Daseins sich
jeder Neuerung erwehrt, hier ist das Feld für eine fruchtbare Wirksamkeit zur
Vermittelung der Lehre mit dem Leben. Den Gewerbeschulen, den technischen
Mittel- und Hochschulen entwächst eine besser unterrichtete Generation, welche
ihr Heil in freiem Gebrauche ihrer Kräfte, nicht mehr im Aufschlüsse Anderer
erblickt. Sie wird sich nicht geschützt, sondern unerträglich beengt suhlen,
wenn sie als Lehrling leiden, als Geselle wandern und fechten soll, bevor ihr
gestattet wird zu versuchen, ob ihr das Meisterrecht, d. h. das Recht ertheilt
wird, gerade dieses Gewerbe und kein anderes, gerade an diesem Orte und
an keinem andern, zu treiben, um, falls die große Industrie oder eine neue
Erfindung ihr Gewerbe beeinträchtigt, der Verarmung unrettbar anheimzufallen.
Neben den Schulen zeigen die Genossenschaften den Weg, wie die wirth¬
schaftlichen Kräfte sich mit besserem Erfolge vereinigen können, als in den über¬
lebten Formen der polizeilich bevormundeten Zunft. Hunderte von Vereinen
sind entstanden und vermehren sich täglich, um aus den kleinen Beiträgen der
Einzelner? und dem Credite der Gesammtheit die Mittel zu gewinnen, Rohstoffe
und Werkzeuge nicht allein, sondern auch Lebensbedürfnisse in größeren Mengen
gegen Baarzahlung, d. h. besser und billiger, als es der Einzelne vermöchte,
anzuschaffen, ihren Mitgliedern Vorschüsse zu geben und ihre Erübrigungen
anzusammeln. Immer eindringlicher endlich ergeht an die Zurückgebliebenen
der Ruf zur Nachfolge durch das Beispiel, welches ein Staat nach dem andern
giebt, indem seine Gesetzgebung Raum schafft sür freiere Entfaltung der Kräfte
und für den Austausch der Erzeugnisse auf dem Weltmarkte. Mag auch vom
Standpunkte einer geläuterten Theorie aus das bis jetzt vorliegende Werk der
Gesetzgebungen in deutschen Staaten noch in hohem Grade unzulänglich er¬
scheinen, so ist doch, wenn man die gegebenen Zustände, an denen die Reform
vollzogen werden soll, in's Auge faßt, der Fortschritt unverkennbar. Der Theo¬
rie bleibt die hohe Aufgabe, das Ziel aufzustellen und festzuhalten, das Ziel
der Erhöhung des Nationalwohlstandes, und die dahin führenden Mittel und
Wege in den Ueberzeugungen der denkenden und strebenden Elemente zur An¬
erkennung zu bringen. Die Praxis aber muß auch mit den Factoren des
Widerstandes rechnen, mit ihrer Kraft der Trägheit, mit den Nachtheilen eines
jeden Ueberganges. Das Neue muß schon geworden sein, es muß seine Berech¬
tigung, ja seine Unwiderstehlichkeit schon dargethan haben, bevor es sich or¬
ganisch gestaltet und endgültig sich an die Stelle des Alten setzt. Fragen
wir, woher denn in Deutschland das Wiedcraufwachen des Triebes nach besseren
Einrichtungen sür Landwirthschaft und Gewerbe, sür Handel und Creditwesen
gekommen ist, so müssen wir uns sagen, daß weder Bücher noch Kollegienhefte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/13>, abgerufen am 23.07.2024.