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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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wenn die Gemeinden das Recht hätten ihre Angelegenheiten selbst zu verwal¬
ten, aber auch er und seine Freunde können sich nicht von dem Gedanken los¬
machen, daß die Negierung Alles thun soll. Einen treffenden Beleg dafür bietet
folgender Fall. Herr Havin, Herausgeber des demokratischen Siöcle. präsen-
tirt sich vor Kurzem im Departement de la Manche als Kandidat für die be¬
vorstehenden Generalrathswahlen, seine Aussichten scheinen nicht besonders ge¬
wesen zu sein, einer seiner Freunde wendet sich an Herrn v. Pcrsigny und bittet
ihn um Unterstützung. Der Minister ertheilt dem Prüfenden die Weisung, ge¬
gen Herrn Havin eine wohlwollende Neutralität zu beachten. Kaum erfährt
dies der Kandidat so erläßt er ein Schreiben an den Wahlbezirk, in welchem
er diese Aeußerung als entschieden active Kooperation auslegt. "Der
Minister", heißt es, "hat sich freiwillig angeboten, mich in Thorigny zu unter¬
stützen, der Kaiser hat mir durch seinen Secretär sagen lassen, er sehe meine
Kandidatur mit Vergnügen und wisse meine loyale und patriotische Unter¬
stützung während des Krimkrieges und des italienischen Feldzuges wol zu
schätzen, es ist dem Präfecten befohlen, wohlwollend gegen mich gesinnt sein.
Alle diese Zeichen rühren mich um so mehr, als ich sie niemals gesucht." Man sieht
die Demokraten nehmen bestens die Unterstützung der Regierung an. welche
dann gelegentlich als Willkürregiment in einer glänzenden, aber erfolglo¬
sen Rede angreifen. Alle Zeitungen hallten von den stolzen Worten der Adreß-
debatte wider, aber nicht ein einziges Mal hat der gesetzgebende Körper den
Muth gehabt, auch nur durch sein Steuerbewilligungsrecht die Regierung prak¬
tisch zu controliren, das Budget ist votirt. obwol alle Welt weiß, daß statt
des angeblichen Ueberschusses ein Deficit von mehren hundert Millionen da
ist, der Schwindel der obliMtions trenteriiui-es ist sanctionirt. die colossalen
Bauten des Seinepräfecten gehen fort, die Ziffern der Armee und Marine sind
schweigend hingenommen, obwol man weiß, daß sie falsch sind und sogar
Cobden an seinem eisernen Glauben des "I'Dmxire, e'sse 1a x>s.ix" irre wird.
Was helfen bei solchen Zuständen gelegentliche glänzende Wortturniere, in
denen von allem Möglichen die Rede ist, nur nicht von der gemeinen Wirklich¬
keit, welche das Volk drückt. Mit solchen Demokraten wird die Napoleonische
Regierung noch lange leichtes Spiel haben, und man kann schon jetzt sicher
voraussagen, daß sie dieselben bei künftigen Wahlen stets den Klerikalen ge¬
genüber begünstigen wird; wenn aber die Demokraten stark genug werden, die
Regierung fortzureißen, dann wird die Bahn nicht zur gesetzmäßigen Freiheit
führen, sondern zu immer erneutem Kreislauf von auswärtigen Kriegen Anar¬
ch ,^' ie und Cäsarismus.




wenn die Gemeinden das Recht hätten ihre Angelegenheiten selbst zu verwal¬
ten, aber auch er und seine Freunde können sich nicht von dem Gedanken los¬
machen, daß die Negierung Alles thun soll. Einen treffenden Beleg dafür bietet
folgender Fall. Herr Havin, Herausgeber des demokratischen Siöcle. präsen-
tirt sich vor Kurzem im Departement de la Manche als Kandidat für die be¬
vorstehenden Generalrathswahlen, seine Aussichten scheinen nicht besonders ge¬
wesen zu sein, einer seiner Freunde wendet sich an Herrn v. Pcrsigny und bittet
ihn um Unterstützung. Der Minister ertheilt dem Prüfenden die Weisung, ge¬
gen Herrn Havin eine wohlwollende Neutralität zu beachten. Kaum erfährt
dies der Kandidat so erläßt er ein Schreiben an den Wahlbezirk, in welchem
er diese Aeußerung als entschieden active Kooperation auslegt. „Der
Minister", heißt es, „hat sich freiwillig angeboten, mich in Thorigny zu unter¬
stützen, der Kaiser hat mir durch seinen Secretär sagen lassen, er sehe meine
Kandidatur mit Vergnügen und wisse meine loyale und patriotische Unter¬
stützung während des Krimkrieges und des italienischen Feldzuges wol zu
schätzen, es ist dem Präfecten befohlen, wohlwollend gegen mich gesinnt sein.
Alle diese Zeichen rühren mich um so mehr, als ich sie niemals gesucht." Man sieht
die Demokraten nehmen bestens die Unterstützung der Regierung an. welche
dann gelegentlich als Willkürregiment in einer glänzenden, aber erfolglo¬
sen Rede angreifen. Alle Zeitungen hallten von den stolzen Worten der Adreß-
debatte wider, aber nicht ein einziges Mal hat der gesetzgebende Körper den
Muth gehabt, auch nur durch sein Steuerbewilligungsrecht die Regierung prak¬
tisch zu controliren, das Budget ist votirt. obwol alle Welt weiß, daß statt
des angeblichen Ueberschusses ein Deficit von mehren hundert Millionen da
ist, der Schwindel der obliMtions trenteriiui-es ist sanctionirt. die colossalen
Bauten des Seinepräfecten gehen fort, die Ziffern der Armee und Marine sind
schweigend hingenommen, obwol man weiß, daß sie falsch sind und sogar
Cobden an seinem eisernen Glauben des „I'Dmxire, e'sse 1a x>s.ix" irre wird.
Was helfen bei solchen Zuständen gelegentliche glänzende Wortturniere, in
denen von allem Möglichen die Rede ist, nur nicht von der gemeinen Wirklich¬
keit, welche das Volk drückt. Mit solchen Demokraten wird die Napoleonische
Regierung noch lange leichtes Spiel haben, und man kann schon jetzt sicher
voraussagen, daß sie dieselben bei künftigen Wahlen stets den Klerikalen ge¬
genüber begünstigen wird; wenn aber die Demokraten stark genug werden, die
Regierung fortzureißen, dann wird die Bahn nicht zur gesetzmäßigen Freiheit
führen, sondern zu immer erneutem Kreislauf von auswärtigen Kriegen Anar¬
ch ,^' ie und Cäsarismus.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/95>, abgerufen am 22.07.2024.