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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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des Herrenhauses zu bewirken? Durch Reden wirft man es nicht um,
die Zeiten von Jericho sind vorüber!

Was nun jene monarchische Gesinnung betrifft, so steht sie bei den wich¬
tigsten Organen außer Zweifel; z. B. die Nationalzeitung steht darin ganz
aus demselben Boden wie wir. Wollte man aber dasselbe von der ganzen
Demokratie behaupten? Noch in neuester Zeit sind Flugschriften erschienen, die
diese Ansicht nicht bestätigen würden.

Wir haben den Fall angenommen, daß die Fortschrittspartei die Majo¬
rität gewinnt. Aber dieser Fall wird gerade durch das Auftreten der Fort¬
schrittspartei sehr unwahrscheinlich. Wir haben die Namen der Unterzeichner
sehr aufmerksam durchgelesen und sie in Gedanken durch die Reihe der Staats¬
bürger, welche die eigentliche Basis der Demokratie bilden, ergänzt; -- und
doch nimmt uns die Befriedigung, mit der man das Factum mittheilt, Wunder.

Der ungemein günstige Ausgang der früheren Wahlen wurde zum Theil
dadurch herbeigeführt, daß die verschiedenen Fractionen des Liberalismus sich
gegen die herrschende Partei vereinigten. Zum Theil! denn es wirkten da¬
bei noch andere sehr erhebliche Motive mit, die heute nicht mehr in der al¬
ten Kraft fortbestehen. Jetzt ist der Bruch zwischen den beiden Parteien wie¬
der offen hervorgetreten, er ist ebenso stark ausgesprochen wie 1849. Wollten
die Wähler der bisherigen Majorität insgesammt in's Lager des Fortschritts
übergehen, so würde das Ministerium mit dem Königthum vereint sein Gewicht
in die Wagschale der Reaction werfen.

Das wird nun freilich nicht geschehen. Der größere Theil der Wähler
wird den alten Männern ihres Vertrauens treu bleiben: da aber die beiden
Parteien, die sich gegenseitig schmähen, mit demselben Programm vor
ihre Wähler treten, so wird dadurch eine so heillose Verwirrung entstehen, daß
es der Reaction nicht schwer fallen wird, im Trüben zu fischen. Sollten wir
aber im Jahre 1862 wieder eine reactionäre Kammer haben, so würde das
für Preußen und für Deutschland von viel ernsterer Bedeutung sein als 1856.
Hätten die aufrichtigen Freunde des entschiedenen Fortschritts für ihre Can-
didaten gearbeitet, ohne es zum offenen Bruch zu treiben, so wäre es auch
-j- ^ für sie klüger gewesen.




des Herrenhauses zu bewirken? Durch Reden wirft man es nicht um,
die Zeiten von Jericho sind vorüber!

Was nun jene monarchische Gesinnung betrifft, so steht sie bei den wich¬
tigsten Organen außer Zweifel; z. B. die Nationalzeitung steht darin ganz
aus demselben Boden wie wir. Wollte man aber dasselbe von der ganzen
Demokratie behaupten? Noch in neuester Zeit sind Flugschriften erschienen, die
diese Ansicht nicht bestätigen würden.

Wir haben den Fall angenommen, daß die Fortschrittspartei die Majo¬
rität gewinnt. Aber dieser Fall wird gerade durch das Auftreten der Fort¬
schrittspartei sehr unwahrscheinlich. Wir haben die Namen der Unterzeichner
sehr aufmerksam durchgelesen und sie in Gedanken durch die Reihe der Staats¬
bürger, welche die eigentliche Basis der Demokratie bilden, ergänzt; — und
doch nimmt uns die Befriedigung, mit der man das Factum mittheilt, Wunder.

Der ungemein günstige Ausgang der früheren Wahlen wurde zum Theil
dadurch herbeigeführt, daß die verschiedenen Fractionen des Liberalismus sich
gegen die herrschende Partei vereinigten. Zum Theil! denn es wirkten da¬
bei noch andere sehr erhebliche Motive mit, die heute nicht mehr in der al¬
ten Kraft fortbestehen. Jetzt ist der Bruch zwischen den beiden Parteien wie¬
der offen hervorgetreten, er ist ebenso stark ausgesprochen wie 1849. Wollten
die Wähler der bisherigen Majorität insgesammt in's Lager des Fortschritts
übergehen, so würde das Ministerium mit dem Königthum vereint sein Gewicht
in die Wagschale der Reaction werfen.

Das wird nun freilich nicht geschehen. Der größere Theil der Wähler
wird den alten Männern ihres Vertrauens treu bleiben: da aber die beiden
Parteien, die sich gegenseitig schmähen, mit demselben Programm vor
ihre Wähler treten, so wird dadurch eine so heillose Verwirrung entstehen, daß
es der Reaction nicht schwer fallen wird, im Trüben zu fischen. Sollten wir
aber im Jahre 1862 wieder eine reactionäre Kammer haben, so würde das
für Preußen und für Deutschland von viel ernsterer Bedeutung sein als 1856.
Hätten die aufrichtigen Freunde des entschiedenen Fortschritts für ihre Can-
didaten gearbeitet, ohne es zum offenen Bruch zu treiben, so wäre es auch
-j- ^ für sie klüger gewesen.




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[0088] des Herrenhauses zu bewirken? Durch Reden wirft man es nicht um, die Zeiten von Jericho sind vorüber! Was nun jene monarchische Gesinnung betrifft, so steht sie bei den wich¬ tigsten Organen außer Zweifel; z. B. die Nationalzeitung steht darin ganz aus demselben Boden wie wir. Wollte man aber dasselbe von der ganzen Demokratie behaupten? Noch in neuester Zeit sind Flugschriften erschienen, die diese Ansicht nicht bestätigen würden. Wir haben den Fall angenommen, daß die Fortschrittspartei die Majo¬ rität gewinnt. Aber dieser Fall wird gerade durch das Auftreten der Fort¬ schrittspartei sehr unwahrscheinlich. Wir haben die Namen der Unterzeichner sehr aufmerksam durchgelesen und sie in Gedanken durch die Reihe der Staats¬ bürger, welche die eigentliche Basis der Demokratie bilden, ergänzt; — und doch nimmt uns die Befriedigung, mit der man das Factum mittheilt, Wunder. Der ungemein günstige Ausgang der früheren Wahlen wurde zum Theil dadurch herbeigeführt, daß die verschiedenen Fractionen des Liberalismus sich gegen die herrschende Partei vereinigten. Zum Theil! denn es wirkten da¬ bei noch andere sehr erhebliche Motive mit, die heute nicht mehr in der al¬ ten Kraft fortbestehen. Jetzt ist der Bruch zwischen den beiden Parteien wie¬ der offen hervorgetreten, er ist ebenso stark ausgesprochen wie 1849. Wollten die Wähler der bisherigen Majorität insgesammt in's Lager des Fortschritts übergehen, so würde das Ministerium mit dem Königthum vereint sein Gewicht in die Wagschale der Reaction werfen. Das wird nun freilich nicht geschehen. Der größere Theil der Wähler wird den alten Männern ihres Vertrauens treu bleiben: da aber die beiden Parteien, die sich gegenseitig schmähen, mit demselben Programm vor ihre Wähler treten, so wird dadurch eine so heillose Verwirrung entstehen, daß es der Reaction nicht schwer fallen wird, im Trüben zu fischen. Sollten wir aber im Jahre 1862 wieder eine reactionäre Kammer haben, so würde das für Preußen und für Deutschland von viel ernsterer Bedeutung sein als 1856. Hätten die aufrichtigen Freunde des entschiedenen Fortschritts für ihre Can- didaten gearbeitet, ohne es zum offenen Bruch zu treiben, so wäre es auch -j- ^ für sie klüger gewesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/88>, abgerufen am 22.07.2024.