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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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alten Magistratscollegicn waren auch gewisse Mitglieder, die Stadtrichter, mit
der Handhabung der Justiz beauftragt und wir haben unter diesen Stadt¬
richtern eine sehr gute, lediglich auf die positiven Vorschriften gestützte Justiz
üben sehen. Was in aller Welt ist es für ein Unglück, wenn an der Regierung
der Stadt nicht bloß einseitige Verwaltungslcute, sondern auch richterliche Be¬
amte Theil nehmen? Ist es nicht weiser, wenn das strengere juristische Element
dem leichter die Schranken durchbrechenden administrativen Geiste die Wage
hält, und muß der Richter, welcher zugleich Mitglied einer Verwaltungsbehörde
ist, deshalb türkische Justiz in dem ihm zunächst anvertrauten Geschäftskreise
üben?

Unsere Altvordern haben deshalb oft mit schweren Opfern und nach
langen Kämpfen die Gerichtsbarkeit, wenn nicht die hohe so doch die niedere
erworben, weil sie fühlten, daß ohne diese ein wirklich selbständiges Gemcinde-
leben nicht möglich war. Dieser alte mannhafte Sinn ist einem kleinlichen
Krämergeist"! gewichen, dem für Geld Alles feil ist. Wir haben in den sächsischen
Kammern erleben müssen, daß lediglich um des Kostenpunktes willen die Ver¬
treter der Städte ihre Gerichtsbarkeit, ihre größtentheils trefflichen Stadt¬
gerichte an den Staat abtraten. Selbst das reiche Leipzig ließ sich aus diesem
trivialen Grunde die besten Perlen aus seiner Krone brechen! Wo ist der un¬
abhängige Sinn der Altvordern hin, daß auch nicht ein städtischer Abgeord¬
neter für die Erhaltung der Stadtgerichte aufgetreten ist? Ist es etwa ein
Zeichen des sinkenden Volksgeistes, daß man alle idealen Güter für Nichts
achtet, und bloße Flnanzinteressen noch kennt? Müssen aber nicht, nachdem nun
alle Gerichtsbarkeit auf den Staat übergegangen, mindestens dieselben Steuern,
wenn nicht mehr, zur Staatsjustiz ausgebracht werden?

Mit dieser Vernichtung der Stadtgerichte hat die Handhabung der Justiz
selbst in den Städten einen traurigen Rückschritt und die früher billige, mit
den Verhältnissen vertraute und von Richtern, die B.ürger der Gemeinde waren,
geleitete Behandlung der Geschäfte einem mechanischen Abhaspeln durch
Beamte Platz gemacht, die in der Regel ohne Heimath und Sinn für die
Gemeinde nomadisch von Ort zu Ort ziehen, und wenn sie noch so ehrenhaft
an und für sich sind (wie der deutsche Beamtenstand überhaupt) doch als ihr
nächstes Lebensziel das Besteigen der bureaukratischen Stufenleiter vor sich sehen.
Von einzelnen Rückschritten wollen wir schweigen, wie. wenn in Leipzig das
Handelsgericht, welches seinen Sitz inmitten der Stadt, am Markte, im alt¬
ehrwürdigen Rathhause hatte, in ein casernenartiges, so recht den flachen Cha¬
rakter unserer Zeit ausdrückendes Gebäude einer entfernten Vorstadt gelegt
worden ist.

Als dritte Schwächung des Selbstverwaltungsrcchtes der Gemeinden ha¬
ben wir die Polizeidirectioncn bezeichnet. Sie sind hervorgegangen aus der


alten Magistratscollegicn waren auch gewisse Mitglieder, die Stadtrichter, mit
der Handhabung der Justiz beauftragt und wir haben unter diesen Stadt¬
richtern eine sehr gute, lediglich auf die positiven Vorschriften gestützte Justiz
üben sehen. Was in aller Welt ist es für ein Unglück, wenn an der Regierung
der Stadt nicht bloß einseitige Verwaltungslcute, sondern auch richterliche Be¬
amte Theil nehmen? Ist es nicht weiser, wenn das strengere juristische Element
dem leichter die Schranken durchbrechenden administrativen Geiste die Wage
hält, und muß der Richter, welcher zugleich Mitglied einer Verwaltungsbehörde
ist, deshalb türkische Justiz in dem ihm zunächst anvertrauten Geschäftskreise
üben?

Unsere Altvordern haben deshalb oft mit schweren Opfern und nach
langen Kämpfen die Gerichtsbarkeit, wenn nicht die hohe so doch die niedere
erworben, weil sie fühlten, daß ohne diese ein wirklich selbständiges Gemcinde-
leben nicht möglich war. Dieser alte mannhafte Sinn ist einem kleinlichen
Krämergeist«! gewichen, dem für Geld Alles feil ist. Wir haben in den sächsischen
Kammern erleben müssen, daß lediglich um des Kostenpunktes willen die Ver¬
treter der Städte ihre Gerichtsbarkeit, ihre größtentheils trefflichen Stadt¬
gerichte an den Staat abtraten. Selbst das reiche Leipzig ließ sich aus diesem
trivialen Grunde die besten Perlen aus seiner Krone brechen! Wo ist der un¬
abhängige Sinn der Altvordern hin, daß auch nicht ein städtischer Abgeord¬
neter für die Erhaltung der Stadtgerichte aufgetreten ist? Ist es etwa ein
Zeichen des sinkenden Volksgeistes, daß man alle idealen Güter für Nichts
achtet, und bloße Flnanzinteressen noch kennt? Müssen aber nicht, nachdem nun
alle Gerichtsbarkeit auf den Staat übergegangen, mindestens dieselben Steuern,
wenn nicht mehr, zur Staatsjustiz ausgebracht werden?

Mit dieser Vernichtung der Stadtgerichte hat die Handhabung der Justiz
selbst in den Städten einen traurigen Rückschritt und die früher billige, mit
den Verhältnissen vertraute und von Richtern, die B.ürger der Gemeinde waren,
geleitete Behandlung der Geschäfte einem mechanischen Abhaspeln durch
Beamte Platz gemacht, die in der Regel ohne Heimath und Sinn für die
Gemeinde nomadisch von Ort zu Ort ziehen, und wenn sie noch so ehrenhaft
an und für sich sind (wie der deutsche Beamtenstand überhaupt) doch als ihr
nächstes Lebensziel das Besteigen der bureaukratischen Stufenleiter vor sich sehen.
Von einzelnen Rückschritten wollen wir schweigen, wie. wenn in Leipzig das
Handelsgericht, welches seinen Sitz inmitten der Stadt, am Markte, im alt¬
ehrwürdigen Rathhause hatte, in ein casernenartiges, so recht den flachen Cha¬
rakter unserer Zeit ausdrückendes Gebäude einer entfernten Vorstadt gelegt
worden ist.

Als dritte Schwächung des Selbstverwaltungsrcchtes der Gemeinden ha¬
ben wir die Polizeidirectioncn bezeichnet. Sie sind hervorgegangen aus der


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[0080] alten Magistratscollegicn waren auch gewisse Mitglieder, die Stadtrichter, mit der Handhabung der Justiz beauftragt und wir haben unter diesen Stadt¬ richtern eine sehr gute, lediglich auf die positiven Vorschriften gestützte Justiz üben sehen. Was in aller Welt ist es für ein Unglück, wenn an der Regierung der Stadt nicht bloß einseitige Verwaltungslcute, sondern auch richterliche Be¬ amte Theil nehmen? Ist es nicht weiser, wenn das strengere juristische Element dem leichter die Schranken durchbrechenden administrativen Geiste die Wage hält, und muß der Richter, welcher zugleich Mitglied einer Verwaltungsbehörde ist, deshalb türkische Justiz in dem ihm zunächst anvertrauten Geschäftskreise üben? Unsere Altvordern haben deshalb oft mit schweren Opfern und nach langen Kämpfen die Gerichtsbarkeit, wenn nicht die hohe so doch die niedere erworben, weil sie fühlten, daß ohne diese ein wirklich selbständiges Gemcinde- leben nicht möglich war. Dieser alte mannhafte Sinn ist einem kleinlichen Krämergeist«! gewichen, dem für Geld Alles feil ist. Wir haben in den sächsischen Kammern erleben müssen, daß lediglich um des Kostenpunktes willen die Ver¬ treter der Städte ihre Gerichtsbarkeit, ihre größtentheils trefflichen Stadt¬ gerichte an den Staat abtraten. Selbst das reiche Leipzig ließ sich aus diesem trivialen Grunde die besten Perlen aus seiner Krone brechen! Wo ist der un¬ abhängige Sinn der Altvordern hin, daß auch nicht ein städtischer Abgeord¬ neter für die Erhaltung der Stadtgerichte aufgetreten ist? Ist es etwa ein Zeichen des sinkenden Volksgeistes, daß man alle idealen Güter für Nichts achtet, und bloße Flnanzinteressen noch kennt? Müssen aber nicht, nachdem nun alle Gerichtsbarkeit auf den Staat übergegangen, mindestens dieselben Steuern, wenn nicht mehr, zur Staatsjustiz ausgebracht werden? Mit dieser Vernichtung der Stadtgerichte hat die Handhabung der Justiz selbst in den Städten einen traurigen Rückschritt und die früher billige, mit den Verhältnissen vertraute und von Richtern, die B.ürger der Gemeinde waren, geleitete Behandlung der Geschäfte einem mechanischen Abhaspeln durch Beamte Platz gemacht, die in der Regel ohne Heimath und Sinn für die Gemeinde nomadisch von Ort zu Ort ziehen, und wenn sie noch so ehrenhaft an und für sich sind (wie der deutsche Beamtenstand überhaupt) doch als ihr nächstes Lebensziel das Besteigen der bureaukratischen Stufenleiter vor sich sehen. Von einzelnen Rückschritten wollen wir schweigen, wie. wenn in Leipzig das Handelsgericht, welches seinen Sitz inmitten der Stadt, am Markte, im alt¬ ehrwürdigen Rathhause hatte, in ein casernenartiges, so recht den flachen Cha¬ rakter unserer Zeit ausdrückendes Gebäude einer entfernten Vorstadt gelegt worden ist. Als dritte Schwächung des Selbstverwaltungsrcchtes der Gemeinden ha¬ ben wir die Polizeidirectioncn bezeichnet. Sie sind hervorgegangen aus der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/80>, abgerufen am 22.07.2024.