Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.Bureaukratie d, i. die vom Volke losgetrennte Beamtenherrschaft ent¬ Indem man den einzelnen bevorrechteten Korporationen ihre Privilegien Es liegt in der Eigenthümlichkeit der deutschen Stämme, daß in ihnen Das größte deutsche Verfassungswerk in diesem Jahrhundert ist die All¬ Bureaukratie d, i. die vom Volke losgetrennte Beamtenherrschaft ent¬ Indem man den einzelnen bevorrechteten Korporationen ihre Privilegien Es liegt in der Eigenthümlichkeit der deutschen Stämme, daß in ihnen Das größte deutsche Verfassungswerk in diesem Jahrhundert ist die All¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112049"/> <p xml:id="ID_273" prev="#ID_272"> Bureaukratie d, i. die vom Volke losgetrennte Beamtenherrschaft ent¬<lb/> sprossen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_274"> Indem man den einzelnen bevorrechteten Korporationen ihre Privilegien<lb/> und Freiheiten nahm, häufte man die ganze Summe dieser Rechte auf die<lb/> verantwortlichen Staatsminister und gab ihnen damit, ohne die Rechte der<lb/> Krone damit zu stärken, eine Macht und Gewalt, wie sie vorher gesetzlich kein<lb/> Unterthan besessen, und gegen welche die sogenannte Verantwortlichkeit der<lb/> Minister, Theilung des Rechts'der Besteuerung und der Gesetzgebung zwischen<lb/> Regierung und Ständen und die andern constitutionellen Hilfs- und Auskunfts¬<lb/> mittel kein hinreichendes Gegengewicht bilden, zumal in den kleineren deutschen<lb/> Staaten, wo eine parlamentarische Regierung, also Ministerwechscl durch Kam¬<lb/> merbeschlüsse bedingt, nicht wol ausführbar sein würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_275"> Es liegt in der Eigenthümlichkeit der deutschen Stämme, daß in ihnen<lb/> ein kräftiges Sonderleben wohnt, und daraus geht auch wieder ihr lebhafter<lb/> Corporations- und Communalgeist und der Trieb nach Selbstverwaltung her¬<lb/> vor, welcher sich in dem stammverwandten England am mächtigsten entwickelt<lb/> hat, während in Deutschland der Volksgeist durch die Despotie der Fürsten<lb/> im 18. Jahrhundert und durch die Nachahmung französischer Verwaitungs-<lb/> formcn auf's Traurigste gefälscht worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_276" next="#ID_277"> Das größte deutsche Verfassungswerk in diesem Jahrhundert ist die All¬<lb/> gemeine Städteordnung Steins, welche den von dem Absolutismus Friedrichs<lb/> des Großen in ihrer Selbständigkeit vernichteten Stadtgemeinden diese Selb¬<lb/> ständigkeit, und mit dieser der Bürgerschaft überhaupt wieder Interesse an<lb/> ihren Angelegenheiten einhauchte. Auch diese herrliche Schöpfung ist in<lb/> Preußen nicht ohne arge Verunzierungen geblieben, namentlich dadurch, daß man<lb/> die kleineren Städte unter eine kleinliche Controle der Landräthe stellte, daß<lb/> man den Städten ihre Gerichtsbarkeit nicht ließ und daß man deren Ver¬<lb/> waltungsfreiheit und das Ansehen ihrer Obrigkeiten durch die Erfindung der<lb/> Königlichen Polizcidirectionen beeinträchtigte. Die Controle der Landräthe be¬<lb/> steht vorzüglich darin, daß die Magistrate nicht unmittelbar an die Regierung<lb/> (Provinzialbchörde) gehen, sondern erst der landräthlichen Signatur bedürfen.<lb/> Daß man den Städten die Gerichtsbarkeit entzogen hat. beruht auf der<lb/> flachen und seichten Anwendung der Lehre von der Nothwendigkeit der Tren¬<lb/> nung der Justiz von der Verwaltung. Diese kann doch einen andern ver¬<lb/> nünftigen Sinn nicht haben, als den. daß die Justiz nur das positive Recht<lb/> zum Anhalte nehmen, die Verwaltung aber auch durch Zweckmäßigkeitsrück-<lb/> sichten sich leiten, natürlich aber auch dabei nicht den Boden des Gesetzes<lb/> verlassen darf. Dieser Anschauung entgegengesetzt lebte in den alten Stadt-<lb/> gemeinden frisch und lebendig die Idee von der Unteilbarkeit der obrigkeit¬<lb/> lichen Gewalt, deren wesentlichstes Attribut die Rechtspflege ist. In den</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
Bureaukratie d, i. die vom Volke losgetrennte Beamtenherrschaft ent¬
sprossen ist.
Indem man den einzelnen bevorrechteten Korporationen ihre Privilegien
und Freiheiten nahm, häufte man die ganze Summe dieser Rechte auf die
verantwortlichen Staatsminister und gab ihnen damit, ohne die Rechte der
Krone damit zu stärken, eine Macht und Gewalt, wie sie vorher gesetzlich kein
Unterthan besessen, und gegen welche die sogenannte Verantwortlichkeit der
Minister, Theilung des Rechts'der Besteuerung und der Gesetzgebung zwischen
Regierung und Ständen und die andern constitutionellen Hilfs- und Auskunfts¬
mittel kein hinreichendes Gegengewicht bilden, zumal in den kleineren deutschen
Staaten, wo eine parlamentarische Regierung, also Ministerwechscl durch Kam¬
merbeschlüsse bedingt, nicht wol ausführbar sein würde.
Es liegt in der Eigenthümlichkeit der deutschen Stämme, daß in ihnen
ein kräftiges Sonderleben wohnt, und daraus geht auch wieder ihr lebhafter
Corporations- und Communalgeist und der Trieb nach Selbstverwaltung her¬
vor, welcher sich in dem stammverwandten England am mächtigsten entwickelt
hat, während in Deutschland der Volksgeist durch die Despotie der Fürsten
im 18. Jahrhundert und durch die Nachahmung französischer Verwaitungs-
formcn auf's Traurigste gefälscht worden ist.
Das größte deutsche Verfassungswerk in diesem Jahrhundert ist die All¬
gemeine Städteordnung Steins, welche den von dem Absolutismus Friedrichs
des Großen in ihrer Selbständigkeit vernichteten Stadtgemeinden diese Selb¬
ständigkeit, und mit dieser der Bürgerschaft überhaupt wieder Interesse an
ihren Angelegenheiten einhauchte. Auch diese herrliche Schöpfung ist in
Preußen nicht ohne arge Verunzierungen geblieben, namentlich dadurch, daß man
die kleineren Städte unter eine kleinliche Controle der Landräthe stellte, daß
man den Städten ihre Gerichtsbarkeit nicht ließ und daß man deren Ver¬
waltungsfreiheit und das Ansehen ihrer Obrigkeiten durch die Erfindung der
Königlichen Polizcidirectionen beeinträchtigte. Die Controle der Landräthe be¬
steht vorzüglich darin, daß die Magistrate nicht unmittelbar an die Regierung
(Provinzialbchörde) gehen, sondern erst der landräthlichen Signatur bedürfen.
Daß man den Städten die Gerichtsbarkeit entzogen hat. beruht auf der
flachen und seichten Anwendung der Lehre von der Nothwendigkeit der Tren¬
nung der Justiz von der Verwaltung. Diese kann doch einen andern ver¬
nünftigen Sinn nicht haben, als den. daß die Justiz nur das positive Recht
zum Anhalte nehmen, die Verwaltung aber auch durch Zweckmäßigkeitsrück-
sichten sich leiten, natürlich aber auch dabei nicht den Boden des Gesetzes
verlassen darf. Dieser Anschauung entgegengesetzt lebte in den alten Stadt-
gemeinden frisch und lebendig die Idee von der Unteilbarkeit der obrigkeit¬
lichen Gewalt, deren wesentlichstes Attribut die Rechtspflege ist. In den
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