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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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dem den Advocate" den Brodkorb hoher. War dos ein Gewinn, so mochte
man ihn sofort durch den Fehler wieder zu nickte, daß man bei allen ge¬
richtlichen Verhandlungen die deutsche Sprache und deutsche Protocollirung
einführte, welche der Landesemgeborne selten verstand. Es war dieß in der
That ein ungerechtfertigtes Porgehen gegen die ungarische Nationalität, und
-- alle Verbesserungen waren damit vor dem Magyaren verurtheilt.

Die Industriellen ihrerseits litten unter der weitschweifigen Procedur der
Zollämter, deren karg bezahlte Beamten zum Theil von Bestechung lebten
und das Publicum schnöde behandelten. Um einer Kleinigkeit von wenigen
Kreuzern mühte man sechs bis sieben Aemter durchlaufen, wozu man wenig¬
stens einen Vormittag gebrauchte. Da gab es überall Hemmung. Chikanen
und Plackerei, so daß selbst dem Geduldigen endlich die Geduld riß und er
dieser Verwaltung ein baldiges Ende wünschte.

Wenn ferner Volkshaufen, deutsche Personen und östreichische Principien
verwechselten, wenn ganze Magistrate und selbst der akademische Lehrkörper
ohne Weiteres jeden Deutschen entfernten, so geschah dies aus politischen
Principien, denen zu Folge die Regierung von 1849'für illegal gilt, weil sie
nicht der Verfassung gemäß eingesetzt wurde. Hier und da mag aber auch
die nationale Eitelkeit mitgewirkt haben, welche nicht dulden will, daß eine
andre Nation vor der ungarischen den Vorrang habe. Man rechnet sich zu
den hervorragendsten Kulturvölkern und stellt sich dicht hinter die Engländer,
weil man eine alte Verfassung besitzt. Es ist zu bedauern, daß das sonst so
tüchtige Volk der Magyaren krankhaft empfindlich ist gegen jedes offne Urtheil
über die Leistungen Ungarns. Wer es lobt, darf auf die freundlichste Auf¬
nahme rechnen, wer weiter nichts versieht, als daß er es da nicht aufzählt,
wo es der Nationalstolz hinstellt, wird für einen Feind gehalten. Alle Zeitungen,
fast alle Annoncen. Firmen und dergleichen Anzeichen enthalten von Lob
triefende Phrasen auf das Baterland, und man versäumt keine Gelegenheit,
seinen Patriotismus aufflammen zu lassen.

Das nationale Wappen wird auf die Zipfel des Halstuchs, auf die
Schöße des Mantels gestickt und überhaupt da angebracht, wo ein Plätzchen
"se: die Flagge mit den nationalen Farben hängt der Gastwirth, der Bade¬
meister, der Schiffseigenthümer aus; die Lesezeichen im Buche, die Scrvietten-
bänder. Zeltstangen, und alles Anstreichbare läge das patriotische Grün-wei߬
roth, auf dem Umschlag der Schreibbücher steht: "Es lebe das Vaterland".
Gemälde- und Bilderladen stellten fast nichts als Bilder mit Scenen aus der
ungarischen Geschichte aus. und selbst auf Musikstücken weht die bunte natio¬
nale Fahne. Es ist aber hinter dieser bunten Schale auch ein respectabler
Kern. Hinter der Eitelkeit steht ein Sinn, der zu Opfern fähig ist. Wenn
ein Opfer verlangt wird für das Vaterland, gibt der Ungar, was er hat.


dem den Advocate» den Brodkorb hoher. War dos ein Gewinn, so mochte
man ihn sofort durch den Fehler wieder zu nickte, daß man bei allen ge¬
richtlichen Verhandlungen die deutsche Sprache und deutsche Protocollirung
einführte, welche der Landesemgeborne selten verstand. Es war dieß in der
That ein ungerechtfertigtes Porgehen gegen die ungarische Nationalität, und
— alle Verbesserungen waren damit vor dem Magyaren verurtheilt.

Die Industriellen ihrerseits litten unter der weitschweifigen Procedur der
Zollämter, deren karg bezahlte Beamten zum Theil von Bestechung lebten
und das Publicum schnöde behandelten. Um einer Kleinigkeit von wenigen
Kreuzern mühte man sechs bis sieben Aemter durchlaufen, wozu man wenig¬
stens einen Vormittag gebrauchte. Da gab es überall Hemmung. Chikanen
und Plackerei, so daß selbst dem Geduldigen endlich die Geduld riß und er
dieser Verwaltung ein baldiges Ende wünschte.

Wenn ferner Volkshaufen, deutsche Personen und östreichische Principien
verwechselten, wenn ganze Magistrate und selbst der akademische Lehrkörper
ohne Weiteres jeden Deutschen entfernten, so geschah dies aus politischen
Principien, denen zu Folge die Regierung von 1849'für illegal gilt, weil sie
nicht der Verfassung gemäß eingesetzt wurde. Hier und da mag aber auch
die nationale Eitelkeit mitgewirkt haben, welche nicht dulden will, daß eine
andre Nation vor der ungarischen den Vorrang habe. Man rechnet sich zu
den hervorragendsten Kulturvölkern und stellt sich dicht hinter die Engländer,
weil man eine alte Verfassung besitzt. Es ist zu bedauern, daß das sonst so
tüchtige Volk der Magyaren krankhaft empfindlich ist gegen jedes offne Urtheil
über die Leistungen Ungarns. Wer es lobt, darf auf die freundlichste Auf¬
nahme rechnen, wer weiter nichts versieht, als daß er es da nicht aufzählt,
wo es der Nationalstolz hinstellt, wird für einen Feind gehalten. Alle Zeitungen,
fast alle Annoncen. Firmen und dergleichen Anzeichen enthalten von Lob
triefende Phrasen auf das Baterland, und man versäumt keine Gelegenheit,
seinen Patriotismus aufflammen zu lassen.

Das nationale Wappen wird auf die Zipfel des Halstuchs, auf die
Schöße des Mantels gestickt und überhaupt da angebracht, wo ein Plätzchen
»se: die Flagge mit den nationalen Farben hängt der Gastwirth, der Bade¬
meister, der Schiffseigenthümer aus; die Lesezeichen im Buche, die Scrvietten-
bänder. Zeltstangen, und alles Anstreichbare läge das patriotische Grün-wei߬
roth, auf dem Umschlag der Schreibbücher steht: „Es lebe das Vaterland".
Gemälde- und Bilderladen stellten fast nichts als Bilder mit Scenen aus der
ungarischen Geschichte aus. und selbst auf Musikstücken weht die bunte natio¬
nale Fahne. Es ist aber hinter dieser bunten Schale auch ein respectabler
Kern. Hinter der Eitelkeit steht ein Sinn, der zu Opfern fähig ist. Wenn
ein Opfer verlangt wird für das Vaterland, gibt der Ungar, was er hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/71>, abgerufen am 23.12.2024.