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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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genug wissenschaftliche Befähigung hatten, um selbst zu unterrichten. Beson¬
ders nahm man gern griechische Sklaven zu Pädagogen, um den kleinen
Kindern durch griechische Conversation die fremde Sprache vor der Mutter¬
sprache beibringen zu lassen, was Quintilian heftig tadelt. Chilon. ein Sklave
des älteren Cato, unterrichtete dessen Sohn und noch andere Kinder, deren
Zahlungen freilich nicht ihm, sondern seinem eigennützigen Herrn zu Gute
kamen! Mit Recht empfiehlt aber Quintilian die größte Vorsicht diesen Halb¬
wissen und Proletariern der Wissenschaft gegenüber; "hinsichtlich der Päda¬
gogen", sagt er, "möchte ich noch bemerken, daß sie entweder vollkommen
gebildet sein, oder wenigstens wissen müssen, daß sie nicht gelehrt sind. Denn
es gibt nichts Schlimmeres, als Leute, die ein wenig über die Elcmentarkennt-
nisse hinaus sind und nun eine falsche Meinung von ihrem Wissen angenom¬
men haben. Sie halten es dann unter ihrer Würde, erfahrenen Lehrern
nachzustehen und durch das Recht zu befehlen, das diese Menschen stolz macht,
tyrannisch und jähzornig werdend, lehren sie ihre Albernheit fort und fort."
Eine andere Gefahr lag natürlich in dem unlauteren, sklavischen Sinne vieler
Subjecte dieser Klasse. Ein Beispiel von Treulosigkeit lieferte Theodorus, der
Pädagog des jungen Antonius, der denselben nach des Triumvirs Tode an
Octavian verrieth. Im Ganzen wurde aber die Sitte, seine Kinder einem
Hauslehrer zu übergeben, doch nicht allgemein. Denn wenn sich auch Quin¬
tilian die Mühe nimmt, den Vorzug der öffentlichen Schulen vor dem häus¬
lichen Unterricht nachzuweisen, so schickt er doch die Bemerkung voraus: "Man
kann nicht leugnen, daß es Einige gibt, die von der beinahe allgemeinen
Sitte (des Gebrauchs öffentlicher Schulen) aus Ueberzeugung abweichen."
Zu diesen Wenigen kamen allerdings Viele, die, auf Herkommen und Geld
stolz, ihre Kinder vom Umgange mit dem Pöbel fern halten wollten. -- Seit
der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. markte sich ferner ein genauer
Unterschied zwischen den Elementarschulen und den Schulen der Grammatiker
ab. Nur die ersten Anfangsgründe blieben dem Grammatistcn oder literirtor,
während der grammatische Unterricht, das Jnterprctiren und die kritische Be¬
handlung der Schriftsteller dem Zramirmtieus oder Iitvr!Ms überlassen wurde.
Elementarschulen scheint es in allen Distrikten der Hauptstadt, selbst in den
entferntesten Winkeln gegeben zu haben. Aus dem Lande war natürlich
in dieser Beziehung weniger gesorgt, da die Anlegung von Elementarschulen
dort nicht lohnte. Deshalb mußte der Knabe aus dem Bajanischen, welchen
nach Plinius ein Delphin täglich über den Meerbusen trug, den Caligula
später mit seiner Riesenbrücke überspannte, die Schule von Puteoli besuchen;
deshalb ging Virgil, dessen Eltern im Dorfe Andes lebten, zu Cremona in
die Schule. -- Das schulpflichtige Alter war, wie in Griechenland, durch
kein Gesetz bestimmt. Die Meisten nahmen aber an, daß vor dem siebenten


genug wissenschaftliche Befähigung hatten, um selbst zu unterrichten. Beson¬
ders nahm man gern griechische Sklaven zu Pädagogen, um den kleinen
Kindern durch griechische Conversation die fremde Sprache vor der Mutter¬
sprache beibringen zu lassen, was Quintilian heftig tadelt. Chilon. ein Sklave
des älteren Cato, unterrichtete dessen Sohn und noch andere Kinder, deren
Zahlungen freilich nicht ihm, sondern seinem eigennützigen Herrn zu Gute
kamen! Mit Recht empfiehlt aber Quintilian die größte Vorsicht diesen Halb¬
wissen und Proletariern der Wissenschaft gegenüber; „hinsichtlich der Päda¬
gogen", sagt er, „möchte ich noch bemerken, daß sie entweder vollkommen
gebildet sein, oder wenigstens wissen müssen, daß sie nicht gelehrt sind. Denn
es gibt nichts Schlimmeres, als Leute, die ein wenig über die Elcmentarkennt-
nisse hinaus sind und nun eine falsche Meinung von ihrem Wissen angenom¬
men haben. Sie halten es dann unter ihrer Würde, erfahrenen Lehrern
nachzustehen und durch das Recht zu befehlen, das diese Menschen stolz macht,
tyrannisch und jähzornig werdend, lehren sie ihre Albernheit fort und fort."
Eine andere Gefahr lag natürlich in dem unlauteren, sklavischen Sinne vieler
Subjecte dieser Klasse. Ein Beispiel von Treulosigkeit lieferte Theodorus, der
Pädagog des jungen Antonius, der denselben nach des Triumvirs Tode an
Octavian verrieth. Im Ganzen wurde aber die Sitte, seine Kinder einem
Hauslehrer zu übergeben, doch nicht allgemein. Denn wenn sich auch Quin¬
tilian die Mühe nimmt, den Vorzug der öffentlichen Schulen vor dem häus¬
lichen Unterricht nachzuweisen, so schickt er doch die Bemerkung voraus: „Man
kann nicht leugnen, daß es Einige gibt, die von der beinahe allgemeinen
Sitte (des Gebrauchs öffentlicher Schulen) aus Ueberzeugung abweichen."
Zu diesen Wenigen kamen allerdings Viele, die, auf Herkommen und Geld
stolz, ihre Kinder vom Umgange mit dem Pöbel fern halten wollten. — Seit
der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. markte sich ferner ein genauer
Unterschied zwischen den Elementarschulen und den Schulen der Grammatiker
ab. Nur die ersten Anfangsgründe blieben dem Grammatistcn oder literirtor,
während der grammatische Unterricht, das Jnterprctiren und die kritische Be¬
handlung der Schriftsteller dem Zramirmtieus oder Iitvr!Ms überlassen wurde.
Elementarschulen scheint es in allen Distrikten der Hauptstadt, selbst in den
entferntesten Winkeln gegeben zu haben. Aus dem Lande war natürlich
in dieser Beziehung weniger gesorgt, da die Anlegung von Elementarschulen
dort nicht lohnte. Deshalb mußte der Knabe aus dem Bajanischen, welchen
nach Plinius ein Delphin täglich über den Meerbusen trug, den Caligula
später mit seiner Riesenbrücke überspannte, die Schule von Puteoli besuchen;
deshalb ging Virgil, dessen Eltern im Dorfe Andes lebten, zu Cremona in
die Schule. — Das schulpflichtige Alter war, wie in Griechenland, durch
kein Gesetz bestimmt. Die Meisten nahmen aber an, daß vor dem siebenten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/62>, abgerufen am 23.07.2024.