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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Zöglingen zu sagen, dieselben müßten nun in die Schule gehen; denn wenn
sie auch noch nicht im Stande sind, dort etwas Gutes zu lernen "so werden
sie doch auch wahrend dieser Zeit nichts Schlechtes thun." Sobald nun aber
das Regiment der Amme aufhörte und der Schulbesuch anfing, trat auch der
Pädagog sein Amt an. der seit den Perserkriegen in den Hausern aller Wohl¬
habenden anzutreffen war. Es war dies gewöhnlich ein Sklave, der den
Knaben überall hin begleiten, beaufsichtigen und vor unsittlichen Einflüssen
bewahren sollte. Außerdem brachte er ihm die nothwendigsten Regeln des
Anstandes bei; denn der junge Heitere mußte auf der Straße gesenkten Hauptes
einhergehen, älteren Personen ausweichen, die Gewänder regelrecht tragen,
bei Tische mit der rechten Hand die Speisen anfassen und zwar mit zwei
Fingern Fische. Fleisch und Brod, mit einem alles Gepökelte. Wenn nun
auch von den Pädagogen nicht die Anforderungen höherer Bildung, die wir
an einen Erzieher stellen, verlangt wurden, so versteht es sich doch von selbst,
daß eigentlich der würdigste und verständigste unter den Sklaven dazu ge¬
wählt werden mußte. Allein theils trafen auch hierin die Eltern leichtsinnige
Wahlen, theils täuschten die Erwählten durch den angenommenen Schein des
Ernstes und der sprichwörtlich gewordenen Pädagogenmiene. Plutarch sagt:
"Man macht die brauchbarsten Sklaven zu Landarbeitern, Schiffscapitänen,
Kaufleuten, Hausverwaltern. Geldverleihern; wenn man aber einen trunksüch¬
tigen, naschhaften, zu jedem Geschäfte unbrauchbaren findet, dem unterstellt
man die Söhne." So soll selbst Perikles seinem Mündel Alcibiades den we¬
gen seines Alters ganz unnützen Zopyros zum Pädagogen gegeben haben.
Diogenes von Sinope gab einst einem fahrlässigen Pädagogen, dessen Zög°
Ung Näschereien verzehrte, eine tüchtige Ohrfeige. Dieselbe Behandlung ver¬
diente gewiß jener würdige Hofmeister zu Sybaris. der. wie Aelian erzählt,
seinen Zögling heftig strafte, weil derselbe eine Feige von der Straße aufgehoben
hatte, aber dann den confiscirten Fund selbst kaute! Das Amt der Pädago¬
gen wurde übrigens ein sehr schwieriges, als mit der wachsenden Demorali¬
sation die Kinderzucht sich lockerte. Die Komiker benutzten dieses Verhältniß
und stellten die Noth des Pädagogen kläglich genug dar. So seufzt in ei¬
nem Plautinischen Stücke der Mentor Lydus: "Sonst durfte sich der Schüler
nicht einen Zoll weit vom Pädagogen entfernen, ja er erlangte eher ein Eh¬
renamt, als er dessen Worten zu gehorchen aufhörte. Jetzt aber, bevor er
sieben Jahre alt ist. wenn man ihn mit der Hand berührt, zerschlüge der
Knabe sofort mit seiner Tafel den Kopf des Hofmeisters; und führt man beim
Vater Beschwerde, so spricht dieser zum Jungen: So ist's recht, nur sich im¬
mer gegen Beleidigungen gewehrt! und zum Pädagogen: Höre Du, nichts¬
würdiger Alter, daß Du dem Knaben wegen dieser Sache nichts zu Leide
thust! Er hat brav gehandelt! Wenn dann des Hofmeisters Schädel wie eine


Zöglingen zu sagen, dieselben müßten nun in die Schule gehen; denn wenn
sie auch noch nicht im Stande sind, dort etwas Gutes zu lernen „so werden
sie doch auch wahrend dieser Zeit nichts Schlechtes thun." Sobald nun aber
das Regiment der Amme aufhörte und der Schulbesuch anfing, trat auch der
Pädagog sein Amt an. der seit den Perserkriegen in den Hausern aller Wohl¬
habenden anzutreffen war. Es war dies gewöhnlich ein Sklave, der den
Knaben überall hin begleiten, beaufsichtigen und vor unsittlichen Einflüssen
bewahren sollte. Außerdem brachte er ihm die nothwendigsten Regeln des
Anstandes bei; denn der junge Heitere mußte auf der Straße gesenkten Hauptes
einhergehen, älteren Personen ausweichen, die Gewänder regelrecht tragen,
bei Tische mit der rechten Hand die Speisen anfassen und zwar mit zwei
Fingern Fische. Fleisch und Brod, mit einem alles Gepökelte. Wenn nun
auch von den Pädagogen nicht die Anforderungen höherer Bildung, die wir
an einen Erzieher stellen, verlangt wurden, so versteht es sich doch von selbst,
daß eigentlich der würdigste und verständigste unter den Sklaven dazu ge¬
wählt werden mußte. Allein theils trafen auch hierin die Eltern leichtsinnige
Wahlen, theils täuschten die Erwählten durch den angenommenen Schein des
Ernstes und der sprichwörtlich gewordenen Pädagogenmiene. Plutarch sagt:
»Man macht die brauchbarsten Sklaven zu Landarbeitern, Schiffscapitänen,
Kaufleuten, Hausverwaltern. Geldverleihern; wenn man aber einen trunksüch¬
tigen, naschhaften, zu jedem Geschäfte unbrauchbaren findet, dem unterstellt
man die Söhne." So soll selbst Perikles seinem Mündel Alcibiades den we¬
gen seines Alters ganz unnützen Zopyros zum Pädagogen gegeben haben.
Diogenes von Sinope gab einst einem fahrlässigen Pädagogen, dessen Zög°
Ung Näschereien verzehrte, eine tüchtige Ohrfeige. Dieselbe Behandlung ver¬
diente gewiß jener würdige Hofmeister zu Sybaris. der. wie Aelian erzählt,
seinen Zögling heftig strafte, weil derselbe eine Feige von der Straße aufgehoben
hatte, aber dann den confiscirten Fund selbst kaute! Das Amt der Pädago¬
gen wurde übrigens ein sehr schwieriges, als mit der wachsenden Demorali¬
sation die Kinderzucht sich lockerte. Die Komiker benutzten dieses Verhältniß
und stellten die Noth des Pädagogen kläglich genug dar. So seufzt in ei¬
nem Plautinischen Stücke der Mentor Lydus: „Sonst durfte sich der Schüler
nicht einen Zoll weit vom Pädagogen entfernen, ja er erlangte eher ein Eh¬
renamt, als er dessen Worten zu gehorchen aufhörte. Jetzt aber, bevor er
sieben Jahre alt ist. wenn man ihn mit der Hand berührt, zerschlüge der
Knabe sofort mit seiner Tafel den Kopf des Hofmeisters; und führt man beim
Vater Beschwerde, so spricht dieser zum Jungen: So ist's recht, nur sich im¬
mer gegen Beleidigungen gewehrt! und zum Pädagogen: Höre Du, nichts¬
würdiger Alter, daß Du dem Knaben wegen dieser Sache nichts zu Leide
thust! Er hat brav gehandelt! Wenn dann des Hofmeisters Schädel wie eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/55>, abgerufen am 22.07.2024.