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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Mykalessos, metzelten die Einwohner nieder und darunter auch die Kinder der
von Thucydides als groß bezeichneten Schule. Bei der UnVollkommenheit
ihrer Anstalten schickten aber die wohlhabenderen und verständigeren Eltern
aus Böotien und Aetolien ihre Söhne lieber nach Athen. Natürlich war
auch in Athen die Stufe der Schulbildung je nach dem Stande verschieden,
da die Söhne der Handwerker, wie bei uns, weniger Zeit auf ihre Ausbil¬
dung verwenden konnten und außerdem die wohlfeileren und schlechteren An¬
stalten benutzten. Daher sagt auch der Wursthändler in den "Rittern" des
Aristophanes: "Bon Musenkünsten versteheich nichts, bis auf das Lesen; doch
auch dieses übel und böse." Wie allgemein aber die Kenntniß des Lesens
war, zeigt auch das Sprichwort: "Er versteht weder die Buchstaben, noch zu
schwimmen." -- Alles bisher Erwähnte gilt nun aber bloß vom männlichen
Geschlecht; denn von Töchterschulen ist bei den Griechen keine Rede. Das
weibliche Geschlecht war auf das Haus beschränkt und der Besuch einer Un¬
terrichtsanstalt würde jedem freigebornen Mädchen Schande gebracht haben.
Zwar schlägt Platon in seinen Gesetzen auch getrennte Schulen für beide
Geschlechter vor; allein der Bann der Sitte lastete auf den Weibern viel zu
hart, als daß diese humanere Ansicht hätte durchdringen können. Nur die
Hetäre konnte sich höhere geistige Bildung erringen, und der Blaustrumpf als
Hausfrau gehörte noch in das Reich der Unmöglichkeiten. Auch von häus¬
lichem Unterrichte durch Privatlehrer findet sich nicht die geringste Spur und
uur von Müttern und Wärterinnen lernten die Mädchen nothdürftig lesen
und schreiben.

Die Lehrer (die nach Platon nicht unter vierzig Jahr alt sein sollten!)
theilten sich nach den Unterrichtsgegenständen in Elementarlehrer oder Gramma-
tisten, Musiklehrer oder Kitharisten und Turnlehrer oder Pädotriben. Da sich
der Staat um ihre wissenschaftliche Befähigung nicht kümmerte, so waren
freilich die Eltern hinsichtlich der Auswahl übel daran. Denn an untaug¬
lichen Subjecten mag kein Mangel gewesen sein; wenigstens schreibt Plutarch
in seiner Schrift über die Erziehung: "Jetzt möchte man sich über solche
Väter ärgern, die, ohne diejenigen, welche sich anbieten, zu prüfen, unbewähr¬
ten und übelberüchtigten Menschen ihre Kinder anvertrauen; zuweilen kennen
sie sogar die Unwissenheit Und Schlechtigkeit der Zöglinge solcher Lehrer und
geben ihre Söhne doch hin, theils durch Schmeicheleien bestochen, theils aus
Gefälligkeit gegen fürsprechende Freunde." Die Bezahlung des Unterrichts
stellte ferner den Lehrerstand nach der aristokratischen Anschauungsweise der
Zeit auf gleiche Stufe mit andern Lohnarbeitern, und es griffen Leute aus
besseren Familien wol stets nur durch Noth gedrängt zu diesem Erwerbs¬
zweige. So räth Plutarch verarmten Bürgern: "Werdet Lehrer, Pädagogen,
Thürhüter, oder nehmt Dienste auf den Schiffen!" Den geringsten Grad der


6*

Mykalessos, metzelten die Einwohner nieder und darunter auch die Kinder der
von Thucydides als groß bezeichneten Schule. Bei der UnVollkommenheit
ihrer Anstalten schickten aber die wohlhabenderen und verständigeren Eltern
aus Böotien und Aetolien ihre Söhne lieber nach Athen. Natürlich war
auch in Athen die Stufe der Schulbildung je nach dem Stande verschieden,
da die Söhne der Handwerker, wie bei uns, weniger Zeit auf ihre Ausbil¬
dung verwenden konnten und außerdem die wohlfeileren und schlechteren An¬
stalten benutzten. Daher sagt auch der Wursthändler in den „Rittern" des
Aristophanes: „Bon Musenkünsten versteheich nichts, bis auf das Lesen; doch
auch dieses übel und böse." Wie allgemein aber die Kenntniß des Lesens
war, zeigt auch das Sprichwort: „Er versteht weder die Buchstaben, noch zu
schwimmen." — Alles bisher Erwähnte gilt nun aber bloß vom männlichen
Geschlecht; denn von Töchterschulen ist bei den Griechen keine Rede. Das
weibliche Geschlecht war auf das Haus beschränkt und der Besuch einer Un¬
terrichtsanstalt würde jedem freigebornen Mädchen Schande gebracht haben.
Zwar schlägt Platon in seinen Gesetzen auch getrennte Schulen für beide
Geschlechter vor; allein der Bann der Sitte lastete auf den Weibern viel zu
hart, als daß diese humanere Ansicht hätte durchdringen können. Nur die
Hetäre konnte sich höhere geistige Bildung erringen, und der Blaustrumpf als
Hausfrau gehörte noch in das Reich der Unmöglichkeiten. Auch von häus¬
lichem Unterrichte durch Privatlehrer findet sich nicht die geringste Spur und
uur von Müttern und Wärterinnen lernten die Mädchen nothdürftig lesen
und schreiben.

Die Lehrer (die nach Platon nicht unter vierzig Jahr alt sein sollten!)
theilten sich nach den Unterrichtsgegenständen in Elementarlehrer oder Gramma-
tisten, Musiklehrer oder Kitharisten und Turnlehrer oder Pädotriben. Da sich
der Staat um ihre wissenschaftliche Befähigung nicht kümmerte, so waren
freilich die Eltern hinsichtlich der Auswahl übel daran. Denn an untaug¬
lichen Subjecten mag kein Mangel gewesen sein; wenigstens schreibt Plutarch
in seiner Schrift über die Erziehung: „Jetzt möchte man sich über solche
Väter ärgern, die, ohne diejenigen, welche sich anbieten, zu prüfen, unbewähr¬
ten und übelberüchtigten Menschen ihre Kinder anvertrauen; zuweilen kennen
sie sogar die Unwissenheit Und Schlechtigkeit der Zöglinge solcher Lehrer und
geben ihre Söhne doch hin, theils durch Schmeicheleien bestochen, theils aus
Gefälligkeit gegen fürsprechende Freunde." Die Bezahlung des Unterrichts
stellte ferner den Lehrerstand nach der aristokratischen Anschauungsweise der
Zeit auf gleiche Stufe mit andern Lohnarbeitern, und es griffen Leute aus
besseren Familien wol stets nur durch Noth gedrängt zu diesem Erwerbs¬
zweige. So räth Plutarch verarmten Bürgern: „Werdet Lehrer, Pädagogen,
Thürhüter, oder nehmt Dienste auf den Schiffen!" Den geringsten Grad der


6*
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[0053] Mykalessos, metzelten die Einwohner nieder und darunter auch die Kinder der von Thucydides als groß bezeichneten Schule. Bei der UnVollkommenheit ihrer Anstalten schickten aber die wohlhabenderen und verständigeren Eltern aus Böotien und Aetolien ihre Söhne lieber nach Athen. Natürlich war auch in Athen die Stufe der Schulbildung je nach dem Stande verschieden, da die Söhne der Handwerker, wie bei uns, weniger Zeit auf ihre Ausbil¬ dung verwenden konnten und außerdem die wohlfeileren und schlechteren An¬ stalten benutzten. Daher sagt auch der Wursthändler in den „Rittern" des Aristophanes: „Bon Musenkünsten versteheich nichts, bis auf das Lesen; doch auch dieses übel und böse." Wie allgemein aber die Kenntniß des Lesens war, zeigt auch das Sprichwort: „Er versteht weder die Buchstaben, noch zu schwimmen." — Alles bisher Erwähnte gilt nun aber bloß vom männlichen Geschlecht; denn von Töchterschulen ist bei den Griechen keine Rede. Das weibliche Geschlecht war auf das Haus beschränkt und der Besuch einer Un¬ terrichtsanstalt würde jedem freigebornen Mädchen Schande gebracht haben. Zwar schlägt Platon in seinen Gesetzen auch getrennte Schulen für beide Geschlechter vor; allein der Bann der Sitte lastete auf den Weibern viel zu hart, als daß diese humanere Ansicht hätte durchdringen können. Nur die Hetäre konnte sich höhere geistige Bildung erringen, und der Blaustrumpf als Hausfrau gehörte noch in das Reich der Unmöglichkeiten. Auch von häus¬ lichem Unterrichte durch Privatlehrer findet sich nicht die geringste Spur und uur von Müttern und Wärterinnen lernten die Mädchen nothdürftig lesen und schreiben. Die Lehrer (die nach Platon nicht unter vierzig Jahr alt sein sollten!) theilten sich nach den Unterrichtsgegenständen in Elementarlehrer oder Gramma- tisten, Musiklehrer oder Kitharisten und Turnlehrer oder Pädotriben. Da sich der Staat um ihre wissenschaftliche Befähigung nicht kümmerte, so waren freilich die Eltern hinsichtlich der Auswahl übel daran. Denn an untaug¬ lichen Subjecten mag kein Mangel gewesen sein; wenigstens schreibt Plutarch in seiner Schrift über die Erziehung: „Jetzt möchte man sich über solche Väter ärgern, die, ohne diejenigen, welche sich anbieten, zu prüfen, unbewähr¬ ten und übelberüchtigten Menschen ihre Kinder anvertrauen; zuweilen kennen sie sogar die Unwissenheit Und Schlechtigkeit der Zöglinge solcher Lehrer und geben ihre Söhne doch hin, theils durch Schmeicheleien bestochen, theils aus Gefälligkeit gegen fürsprechende Freunde." Die Bezahlung des Unterrichts stellte ferner den Lehrerstand nach der aristokratischen Anschauungsweise der Zeit auf gleiche Stufe mit andern Lohnarbeitern, und es griffen Leute aus besseren Familien wol stets nur durch Noth gedrängt zu diesem Erwerbs¬ zweige. So räth Plutarch verarmten Bürgern: „Werdet Lehrer, Pädagogen, Thürhüter, oder nehmt Dienste auf den Schiffen!" Den geringsten Grad der 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/53>, abgerufen am 22.07.2024.