Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.zieme der spätern Generation nicht, was Gott zugelassen, vor ihr Gericht zu ziehen, Fragen wir nun, wie die Theorie dieser Haller'sehen Schule trotz solcher Wider¬ Die Lehre von der Legitimität nach dieser Auffassung wurde allerdings schon zieme der spätern Generation nicht, was Gott zugelassen, vor ihr Gericht zu ziehen, Fragen wir nun, wie die Theorie dieser Haller'sehen Schule trotz solcher Wider¬ Die Lehre von der Legitimität nach dieser Auffassung wurde allerdings schon <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0526" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112496"/> <p xml:id="ID_1715" prev="#ID_1714"> zieme der spätern Generation nicht, was Gott zugelassen, vor ihr Gericht zu ziehen,<lb/> so müßte er auch zugestehen, daß die Rückführung der Bourbonen nicht etwa bloß<lb/> ein politischer Fehler, sondern ein moralisches Unrecht war, denn wenn je Gottes<lb/> strafender Finger zu erkennen war, so war es in dem Gerichte über die französische<lb/> Königsfamilie. Konsequenter als Stahl wendet ein Gesinnungsgenosse, Jarcke, das<lb/> privatrechtliche Princip auf die Legitimität an. Er sagt (Gesammelte Schriften 3.<lb/> S. 108): „Ihrem höchsten und letzten Princip nach beruht also alle Legitimität auf<lb/> Erden auf dem einfachen göttlichen Gebote: „„Du sollst nicht stehlen."" Durch die<lb/> Wichtigkeit der geraubten Sache wird die verbrecherische Natur der Handlung nicht<lb/> gemildert und der daraus entstandene Besitz der Krone ist ein illegitimer oder un-<lb/> rcchtlicher." Viel inconscquenter aber noch als Stahl sührt derselbe Schriftsteller<lb/> einige Seiten weiter viele Fälle aus, unter welchen eine illegitime Herrschaft für<lb/> diese und jene Unterthanen doch legitim werden könne, und erläutert dies an dem<lb/> Königreich Westphalen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1716"> Fragen wir nun, wie die Theorie dieser Haller'sehen Schule trotz solcher Wider¬<lb/> sprüche so großen Einfluß gewinnen konnte, so gibt uns daraus die Geschichte<lb/> Antwort.</p><lb/> <p xml:id="ID_1717" next="#ID_1718"> Die Lehre von der Legitimität nach dieser Auffassung wurde allerdings schon<lb/> von den Stuart'schen Staatssophistcn aufgestellt, kam zu einer allgemeinen europäi¬<lb/> schen Bedeutung aber erst im Anfang unsers Jahrhunderts durch eine natürliche<lb/> Reaction gegen die französische Revolution. Gegenüber einer so heillosen Verkehrung<lb/> aller sittlichen und rechtlichen Tradition, wie die Staatskünstlcr von 1789 und ihre<lb/> Nachfolger zeigten, empfand man das Bedürfniß der Vertheidigung durch eine Lehre,<lb/> welche die Irrthümer der französischen Revolution in ihren Grundbegriffen vernichtete.<lb/> Gewaltthätig war man auch sonst gewesen, Verletzungen angestammter Rechte waren<lb/> fortwährend vorgekommen, aber zum erstenmal ward die Revolution als Princip<lb/> und als das höchste Recht in menschlichen Dingen verkündet. Der Erfolg richtete<lb/> über die Wahrheit solcher Lehren, der vollkommene Zusammenbruch in Frankreich,<lb/> der Despotismus, den Napoleon im Innern wie nach außen geltend machte, öffnete<lb/> aller Welt die Augen, man fühlte solchen zerstörenden Grundsätzen gegenüber die<lb/> Bedeutung der Continuität des geschichtlich Gewordenen und dasselbe fand beredte<lb/> Vertheidiger in zahlreichen Schriften bedeutender Männer, unter denen der Graf de<lb/> Maistre besonders hervorragte. Kein Wunder, daß, als nun die Gewaltherrschaft<lb/> Frankreichs gestürzt war und sich die Staatsmänner in Wien zum Neubau Europa's<lb/> versammelten, dieser Gegensatz der Principien von 1789 ein entschiedenes Uebergewicht<lb/> übte. Aber sehr eigenthümlich mußte es erscheinen, daß gerade der Diplomat, der<lb/> Napoleon's schlimmstes Werkzeug sür den Umsturz rechtmäßiger Obrigkeiten gewesen<lb/> war, sich zum eifrigsten Verfechter der Legitimität machte. Talleyrand, dessen Kor¬<lb/> ruption und Skepticismus alle Principien überhaupt lächerlich waren, benutzte dies<lb/> Schlagwort für zwei ganz specifisch französisch-bourbonische Zwecke, die Entthronung<lb/> Murat's und die Erhaltung des Königreichs Sachsen, es fiel ihm aber niemals ein,<lb/> zu verlangen, daß Bernadotte den Thron von Schweden und Norwegen verlieren<lb/> solle oder daß die Mediatisirungen in Deutschland rückgängig zu machen seien, und<lb/> was würde er gar gesagt haben, wenn nach seinem Princip man Avignon Frank¬<lb/> reich hätte nehmen und an den heiligen Stuhl zurückgeben wollen? Die meisten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0526]
zieme der spätern Generation nicht, was Gott zugelassen, vor ihr Gericht zu ziehen,
so müßte er auch zugestehen, daß die Rückführung der Bourbonen nicht etwa bloß
ein politischer Fehler, sondern ein moralisches Unrecht war, denn wenn je Gottes
strafender Finger zu erkennen war, so war es in dem Gerichte über die französische
Königsfamilie. Konsequenter als Stahl wendet ein Gesinnungsgenosse, Jarcke, das
privatrechtliche Princip auf die Legitimität an. Er sagt (Gesammelte Schriften 3.
S. 108): „Ihrem höchsten und letzten Princip nach beruht also alle Legitimität auf
Erden auf dem einfachen göttlichen Gebote: „„Du sollst nicht stehlen."" Durch die
Wichtigkeit der geraubten Sache wird die verbrecherische Natur der Handlung nicht
gemildert und der daraus entstandene Besitz der Krone ist ein illegitimer oder un-
rcchtlicher." Viel inconscquenter aber noch als Stahl sührt derselbe Schriftsteller
einige Seiten weiter viele Fälle aus, unter welchen eine illegitime Herrschaft für
diese und jene Unterthanen doch legitim werden könne, und erläutert dies an dem
Königreich Westphalen.
Fragen wir nun, wie die Theorie dieser Haller'sehen Schule trotz solcher Wider¬
sprüche so großen Einfluß gewinnen konnte, so gibt uns daraus die Geschichte
Antwort.
Die Lehre von der Legitimität nach dieser Auffassung wurde allerdings schon
von den Stuart'schen Staatssophistcn aufgestellt, kam zu einer allgemeinen europäi¬
schen Bedeutung aber erst im Anfang unsers Jahrhunderts durch eine natürliche
Reaction gegen die französische Revolution. Gegenüber einer so heillosen Verkehrung
aller sittlichen und rechtlichen Tradition, wie die Staatskünstlcr von 1789 und ihre
Nachfolger zeigten, empfand man das Bedürfniß der Vertheidigung durch eine Lehre,
welche die Irrthümer der französischen Revolution in ihren Grundbegriffen vernichtete.
Gewaltthätig war man auch sonst gewesen, Verletzungen angestammter Rechte waren
fortwährend vorgekommen, aber zum erstenmal ward die Revolution als Princip
und als das höchste Recht in menschlichen Dingen verkündet. Der Erfolg richtete
über die Wahrheit solcher Lehren, der vollkommene Zusammenbruch in Frankreich,
der Despotismus, den Napoleon im Innern wie nach außen geltend machte, öffnete
aller Welt die Augen, man fühlte solchen zerstörenden Grundsätzen gegenüber die
Bedeutung der Continuität des geschichtlich Gewordenen und dasselbe fand beredte
Vertheidiger in zahlreichen Schriften bedeutender Männer, unter denen der Graf de
Maistre besonders hervorragte. Kein Wunder, daß, als nun die Gewaltherrschaft
Frankreichs gestürzt war und sich die Staatsmänner in Wien zum Neubau Europa's
versammelten, dieser Gegensatz der Principien von 1789 ein entschiedenes Uebergewicht
übte. Aber sehr eigenthümlich mußte es erscheinen, daß gerade der Diplomat, der
Napoleon's schlimmstes Werkzeug sür den Umsturz rechtmäßiger Obrigkeiten gewesen
war, sich zum eifrigsten Verfechter der Legitimität machte. Talleyrand, dessen Kor¬
ruption und Skepticismus alle Principien überhaupt lächerlich waren, benutzte dies
Schlagwort für zwei ganz specifisch französisch-bourbonische Zwecke, die Entthronung
Murat's und die Erhaltung des Königreichs Sachsen, es fiel ihm aber niemals ein,
zu verlangen, daß Bernadotte den Thron von Schweden und Norwegen verlieren
solle oder daß die Mediatisirungen in Deutschland rückgängig zu machen seien, und
was würde er gar gesagt haben, wenn nach seinem Princip man Avignon Frank¬
reich hätte nehmen und an den heiligen Stuhl zurückgeben wollen? Die meisten
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