Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Parteiphrase "Legitimität".

Legitimität, Gesetzmäßigkeit, im politischen Leben insbesondere Rechtmäßigkeit
der Thronfolge. Es fragt sich, worin liegt diese. Die Anhänger der absolu¬
tistischen Schule antworten: in dem unveräußerlichen göttlichen Recht einer bestimm¬
ten Familie auf einen bestimmten Thron. Dies wurde zuerst von den Stuarts und
ihren Anhängern behauptet, deren Haupttheoretiker Salmasius die königliche Würde
folgendermaßen definirte: "Wer König sagt, meint den damit, der die oberste Ge¬
walt im Reiche hat, der nur Gott verantwortlich ist, dem Alles zu thun erlaubt ist,
was ihm gefällt, der an kein Gesetz gebunden ist, Gesetze gibt, nicht annimmt, und
daher Alles richtet und von Niemand gerichtet wird." Dies, meint der gelehrte Ver¬
sasser, seien die königlichen Rechte bei allen Völkern und in allen Ländern immer ge¬
wesen. Es ist nicht wol abzusehen, warum er nach dieser Definition noch einen
Unterschied zwischen König und Tyrann macht, da er seine Auffassung des erstern
doch wol nur bei den Despoten des Orients verwirklicht finden konnte. Besonders
unglücklich aber für die göttliche und unveräußerliche Mission des unumschränkten
Königthums ist seine Berufung auf das Volk Israel. Wol fordert dasselbe einen
König, "der uns richte, wie alle Heiden haben", aber Jehova tadelt es deshalb und
als er ihrem Wunsch willfahrt, wird die Herrschaft nicht etwa der Familie Sauls
erblich gegeben, sondern der arme Hirtenknabe David folgt ihm, und ebensowenig
wird das Recht der Erstgeburt später eingehalten, vielmehr wie schon Jakob Esau vor¬
gezogen wird, so kommt bald ein jüngerer Sohn, bald Jemand, welcher der regiercn-
Familic ganz fern steht, zur Herrschaft. Andrerseits gilt die Unverletzlichkeit der königl.
Würde im Alten Testament durchaus nicht, vielmehr haben sich die Vertheidiger des
Tyrannenmordes auf dasselbe berufen; heißt es doch im Buch der Richter, daß der
Herr den Ehud, welcher den Mvabitcrkönig Eglon meuchlings ermordete, den Kindern
Israels als Heiland erweckt habe. Auch das Neue Testament gibt für die Lehre
von Salmasius keinen Anhaltspunkt, denn die römischen Kaiser, denen die
Apostel zu gehorchen empfehlen, waren nicht nur Tyrannen, sondern Usurpatoren,
die nicht nach Erbrecht, sondern nach dem Recht der Gewalt herrschten. Die heilige
Schrift beschäftigt sich eben nicht damit, einer rein menschlichen Einrichtung den
Vorzug vor andern zu geben und alle Versuche, bestimmte politische Systeme auf
sie zu begründen, müssen so kläglich scheitern, wie Bossuet's ?o1itiquö tiree as 1a Les
Leriturs. Aber auch die neuere Geschichte spricht nicht für die Lehre von der gött¬
lichen Einsetzung des Königthums und dem unveräußerlichen Rechte einer bestimmten
Familie. Karl der Große, auf den Deutschland, Frankreich und Italien stolz sind,
war der Sohn eines Usurpators, welcher den letzten Merovingcr seines Thrones be¬
raubte; in Deutschland beschränkten die Fürsten systematisch die Macht des Kaisers
und duldeten nie, daß seine Würde in einem bestimmten Hause durch Recht erblich
werde, sie wurden dabei aufs Eifrigste von den Päpsten unterstützt, die, weit entfernt,
die Frage der Legitimität im Sinne unsrer modernen contrerevolutionärcn Schule


Die Parteiphrase „Legitimität".

Legitimität, Gesetzmäßigkeit, im politischen Leben insbesondere Rechtmäßigkeit
der Thronfolge. Es fragt sich, worin liegt diese. Die Anhänger der absolu¬
tistischen Schule antworten: in dem unveräußerlichen göttlichen Recht einer bestimm¬
ten Familie auf einen bestimmten Thron. Dies wurde zuerst von den Stuarts und
ihren Anhängern behauptet, deren Haupttheoretiker Salmasius die königliche Würde
folgendermaßen definirte: „Wer König sagt, meint den damit, der die oberste Ge¬
walt im Reiche hat, der nur Gott verantwortlich ist, dem Alles zu thun erlaubt ist,
was ihm gefällt, der an kein Gesetz gebunden ist, Gesetze gibt, nicht annimmt, und
daher Alles richtet und von Niemand gerichtet wird." Dies, meint der gelehrte Ver¬
sasser, seien die königlichen Rechte bei allen Völkern und in allen Ländern immer ge¬
wesen. Es ist nicht wol abzusehen, warum er nach dieser Definition noch einen
Unterschied zwischen König und Tyrann macht, da er seine Auffassung des erstern
doch wol nur bei den Despoten des Orients verwirklicht finden konnte. Besonders
unglücklich aber für die göttliche und unveräußerliche Mission des unumschränkten
Königthums ist seine Berufung auf das Volk Israel. Wol fordert dasselbe einen
König, „der uns richte, wie alle Heiden haben", aber Jehova tadelt es deshalb und
als er ihrem Wunsch willfahrt, wird die Herrschaft nicht etwa der Familie Sauls
erblich gegeben, sondern der arme Hirtenknabe David folgt ihm, und ebensowenig
wird das Recht der Erstgeburt später eingehalten, vielmehr wie schon Jakob Esau vor¬
gezogen wird, so kommt bald ein jüngerer Sohn, bald Jemand, welcher der regiercn-
Familic ganz fern steht, zur Herrschaft. Andrerseits gilt die Unverletzlichkeit der königl.
Würde im Alten Testament durchaus nicht, vielmehr haben sich die Vertheidiger des
Tyrannenmordes auf dasselbe berufen; heißt es doch im Buch der Richter, daß der
Herr den Ehud, welcher den Mvabitcrkönig Eglon meuchlings ermordete, den Kindern
Israels als Heiland erweckt habe. Auch das Neue Testament gibt für die Lehre
von Salmasius keinen Anhaltspunkt, denn die römischen Kaiser, denen die
Apostel zu gehorchen empfehlen, waren nicht nur Tyrannen, sondern Usurpatoren,
die nicht nach Erbrecht, sondern nach dem Recht der Gewalt herrschten. Die heilige
Schrift beschäftigt sich eben nicht damit, einer rein menschlichen Einrichtung den
Vorzug vor andern zu geben und alle Versuche, bestimmte politische Systeme auf
sie zu begründen, müssen so kläglich scheitern, wie Bossuet's ?o1itiquö tiree as 1a Les
Leriturs. Aber auch die neuere Geschichte spricht nicht für die Lehre von der gött¬
lichen Einsetzung des Königthums und dem unveräußerlichen Rechte einer bestimmten
Familie. Karl der Große, auf den Deutschland, Frankreich und Italien stolz sind,
war der Sohn eines Usurpators, welcher den letzten Merovingcr seines Thrones be¬
raubte; in Deutschland beschränkten die Fürsten systematisch die Macht des Kaisers
und duldeten nie, daß seine Würde in einem bestimmten Hause durch Recht erblich
werde, sie wurden dabei aufs Eifrigste von den Päpsten unterstützt, die, weit entfernt,
die Frage der Legitimität im Sinne unsrer modernen contrerevolutionärcn Schule


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112494"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Parteiphrase &#x201E;Legitimität".</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1711" next="#ID_1712"> Legitimität, Gesetzmäßigkeit, im politischen Leben insbesondere Rechtmäßigkeit<lb/>
der Thronfolge. Es fragt sich, worin liegt diese. Die Anhänger der absolu¬<lb/>
tistischen Schule antworten: in dem unveräußerlichen göttlichen Recht einer bestimm¬<lb/>
ten Familie auf einen bestimmten Thron. Dies wurde zuerst von den Stuarts und<lb/>
ihren Anhängern behauptet, deren Haupttheoretiker Salmasius die königliche Würde<lb/>
folgendermaßen definirte: &#x201E;Wer König sagt, meint den damit, der die oberste Ge¬<lb/>
walt im Reiche hat, der nur Gott verantwortlich ist, dem Alles zu thun erlaubt ist,<lb/>
was ihm gefällt, der an kein Gesetz gebunden ist, Gesetze gibt, nicht annimmt, und<lb/>
daher Alles richtet und von Niemand gerichtet wird." Dies, meint der gelehrte Ver¬<lb/>
sasser, seien die königlichen Rechte bei allen Völkern und in allen Ländern immer ge¬<lb/>
wesen. Es ist nicht wol abzusehen, warum er nach dieser Definition noch einen<lb/>
Unterschied zwischen König und Tyrann macht, da er seine Auffassung des erstern<lb/>
doch wol nur bei den Despoten des Orients verwirklicht finden konnte. Besonders<lb/>
unglücklich aber für die göttliche und unveräußerliche Mission des unumschränkten<lb/>
Königthums ist seine Berufung auf das Volk Israel. Wol fordert dasselbe einen<lb/>
König, &#x201E;der uns richte, wie alle Heiden haben", aber Jehova tadelt es deshalb und<lb/>
als er ihrem Wunsch willfahrt, wird die Herrschaft nicht etwa der Familie Sauls<lb/>
erblich gegeben, sondern der arme Hirtenknabe David folgt ihm, und ebensowenig<lb/>
wird das Recht der Erstgeburt später eingehalten, vielmehr wie schon Jakob Esau vor¬<lb/>
gezogen wird, so kommt bald ein jüngerer Sohn, bald Jemand, welcher der regiercn-<lb/>
Familic ganz fern steht, zur Herrschaft. Andrerseits gilt die Unverletzlichkeit der königl.<lb/>
Würde im Alten Testament durchaus nicht, vielmehr haben sich die Vertheidiger des<lb/>
Tyrannenmordes auf dasselbe berufen; heißt es doch im Buch der Richter, daß der<lb/>
Herr den Ehud, welcher den Mvabitcrkönig Eglon meuchlings ermordete, den Kindern<lb/>
Israels als Heiland erweckt habe. Auch das Neue Testament gibt für die Lehre<lb/>
von Salmasius keinen Anhaltspunkt, denn die römischen Kaiser, denen die<lb/>
Apostel zu gehorchen empfehlen, waren nicht nur Tyrannen, sondern Usurpatoren,<lb/>
die nicht nach Erbrecht, sondern nach dem Recht der Gewalt herrschten. Die heilige<lb/>
Schrift beschäftigt sich eben nicht damit, einer rein menschlichen Einrichtung den<lb/>
Vorzug vor andern zu geben und alle Versuche, bestimmte politische Systeme auf<lb/>
sie zu begründen, müssen so kläglich scheitern, wie Bossuet's ?o1itiquö tiree as 1a Les<lb/>
Leriturs. Aber auch die neuere Geschichte spricht nicht für die Lehre von der gött¬<lb/>
lichen Einsetzung des Königthums und dem unveräußerlichen Rechte einer bestimmten<lb/>
Familie. Karl der Große, auf den Deutschland, Frankreich und Italien stolz sind,<lb/>
war der Sohn eines Usurpators, welcher den letzten Merovingcr seines Thrones be¬<lb/>
raubte; in Deutschland beschränkten die Fürsten systematisch die Macht des Kaisers<lb/>
und duldeten nie, daß seine Würde in einem bestimmten Hause durch Recht erblich<lb/>
werde, sie wurden dabei aufs Eifrigste von den Päpsten unterstützt, die, weit entfernt,<lb/>
die Frage der Legitimität im Sinne unsrer modernen contrerevolutionärcn Schule</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] Die Parteiphrase „Legitimität". Legitimität, Gesetzmäßigkeit, im politischen Leben insbesondere Rechtmäßigkeit der Thronfolge. Es fragt sich, worin liegt diese. Die Anhänger der absolu¬ tistischen Schule antworten: in dem unveräußerlichen göttlichen Recht einer bestimm¬ ten Familie auf einen bestimmten Thron. Dies wurde zuerst von den Stuarts und ihren Anhängern behauptet, deren Haupttheoretiker Salmasius die königliche Würde folgendermaßen definirte: „Wer König sagt, meint den damit, der die oberste Ge¬ walt im Reiche hat, der nur Gott verantwortlich ist, dem Alles zu thun erlaubt ist, was ihm gefällt, der an kein Gesetz gebunden ist, Gesetze gibt, nicht annimmt, und daher Alles richtet und von Niemand gerichtet wird." Dies, meint der gelehrte Ver¬ sasser, seien die königlichen Rechte bei allen Völkern und in allen Ländern immer ge¬ wesen. Es ist nicht wol abzusehen, warum er nach dieser Definition noch einen Unterschied zwischen König und Tyrann macht, da er seine Auffassung des erstern doch wol nur bei den Despoten des Orients verwirklicht finden konnte. Besonders unglücklich aber für die göttliche und unveräußerliche Mission des unumschränkten Königthums ist seine Berufung auf das Volk Israel. Wol fordert dasselbe einen König, „der uns richte, wie alle Heiden haben", aber Jehova tadelt es deshalb und als er ihrem Wunsch willfahrt, wird die Herrschaft nicht etwa der Familie Sauls erblich gegeben, sondern der arme Hirtenknabe David folgt ihm, und ebensowenig wird das Recht der Erstgeburt später eingehalten, vielmehr wie schon Jakob Esau vor¬ gezogen wird, so kommt bald ein jüngerer Sohn, bald Jemand, welcher der regiercn- Familic ganz fern steht, zur Herrschaft. Andrerseits gilt die Unverletzlichkeit der königl. Würde im Alten Testament durchaus nicht, vielmehr haben sich die Vertheidiger des Tyrannenmordes auf dasselbe berufen; heißt es doch im Buch der Richter, daß der Herr den Ehud, welcher den Mvabitcrkönig Eglon meuchlings ermordete, den Kindern Israels als Heiland erweckt habe. Auch das Neue Testament gibt für die Lehre von Salmasius keinen Anhaltspunkt, denn die römischen Kaiser, denen die Apostel zu gehorchen empfehlen, waren nicht nur Tyrannen, sondern Usurpatoren, die nicht nach Erbrecht, sondern nach dem Recht der Gewalt herrschten. Die heilige Schrift beschäftigt sich eben nicht damit, einer rein menschlichen Einrichtung den Vorzug vor andern zu geben und alle Versuche, bestimmte politische Systeme auf sie zu begründen, müssen so kläglich scheitern, wie Bossuet's ?o1itiquö tiree as 1a Les Leriturs. Aber auch die neuere Geschichte spricht nicht für die Lehre von der gött¬ lichen Einsetzung des Königthums und dem unveräußerlichen Rechte einer bestimmten Familie. Karl der Große, auf den Deutschland, Frankreich und Italien stolz sind, war der Sohn eines Usurpators, welcher den letzten Merovingcr seines Thrones be¬ raubte; in Deutschland beschränkten die Fürsten systematisch die Macht des Kaisers und duldeten nie, daß seine Würde in einem bestimmten Hause durch Recht erblich werde, sie wurden dabei aufs Eifrigste von den Päpsten unterstützt, die, weit entfernt, die Frage der Legitimität im Sinne unsrer modernen contrerevolutionärcn Schule

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/524>, abgerufen am 13.11.2024.