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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Verbrechen" war weniger seine Sache, ebensowenig die religiöse Kunst). Er
verstand es, die Form in warmen Lichtwirkungen und in einem stimmungs¬
vollen Ton aufzulockern; die Franzosen rühmen von ihm, daß er an Correggio
erinnere. David wußte diese ihm fremde Anschauungsweise wol zu schätzen;
aber eine Fortbildung sollte sie erst in späterer Zeit erfahren.

Die Ausläufer der David'schen Schule -- zu denen auch die Schüler
von Regnault und Vincent gehören, -- wirken noch lange in die zweite
Periode der Kunst hinein. Sie halten im Princip an der idealen Formen¬
welt fest, ohne ihr ein neues Leben einhauchen zu können, und nehmen nur
äußerlich von der neuen Behandlungsweise so viel auf. als sich mit ihrer
Richtung verträgt. Sie sind mehr oder minder steif und pathetisch oder süß.
geleckt und sentimental. Es sind meistens die officiellen Maler der Kirchen
und Schlösser, der allegorischen Plafonds im Louvre und in öffentlichen Ge¬
bäuden (Meynier. Blondel, Heim, Mauzaisse. Drolling. Bouchot,
Abel de Pujol, Rouget und Andere). Wir werden sehen, wie es kam,
daß auch sie sich zum Theil der malerischen Zeit des Mittelalters und der
Renaissance zuwandten. Im Ganzen haben sie nur Mittelmäßiges hervor¬
gebracht.

David und seine Richtung haben auf die ganze französische Kunst bedeu¬
tend und nachhaltig eingewirkt; selbst die neueste Zeit hat, wie wir früher
gesehen, noch Nachklänge dieser classischen Kunst aufzuweisen. Wichtig aber
und fruchtbar war ihr Einfluß dadurch, daß sie die neue französische Malerei
von vorneherein in eine strenge Zucht nahm und auch für die Folgezeit dem
Künstler das ernste Studium des menschlichen Körpers und die technische
Tüchtigkeit überhaupt als die nothwendigen Bedingungen der bildenden Kunst
überlieferte. Sie selber einging dem Schicksal der einseitigen Entwicklung
nicht, sie wurde akademisch und conventionell; aber dennoch hat sie Schüler
gebildet, wie Ingres und Leopold Robert, welche im Rückschlag gegen die
Neuerungen des Naturalismus und der bloß malerischen Phantasie das schöne
Leben der Form und des Ideals ,im echten Sinne verjüngten. Ans der Ver¬
mittlung dieser beiden Richtungen entwickelte sich dann die höchste Blüthe.
Hätte die deutsche Kunst einen David und seine Kunstschule gehabt, so wären
wol jetzt nicht -- von den namenlosen Producten aller Art zu schweigen --
im Treppenhause des Museums von Berlin Gestalten zu sehen, die ohne jede
Festigkeit des innern Baues, drei- und molluskenartig die menschliche Form
in einer mißverstandenen widerlich süßen Schönheitslinie nicht darstellen,
sondern lügen.




Grenzboten III. 1361.6i>

Verbrechen" war weniger seine Sache, ebensowenig die religiöse Kunst). Er
verstand es, die Form in warmen Lichtwirkungen und in einem stimmungs¬
vollen Ton aufzulockern; die Franzosen rühmen von ihm, daß er an Correggio
erinnere. David wußte diese ihm fremde Anschauungsweise wol zu schätzen;
aber eine Fortbildung sollte sie erst in späterer Zeit erfahren.

Die Ausläufer der David'schen Schule — zu denen auch die Schüler
von Regnault und Vincent gehören, — wirken noch lange in die zweite
Periode der Kunst hinein. Sie halten im Princip an der idealen Formen¬
welt fest, ohne ihr ein neues Leben einhauchen zu können, und nehmen nur
äußerlich von der neuen Behandlungsweise so viel auf. als sich mit ihrer
Richtung verträgt. Sie sind mehr oder minder steif und pathetisch oder süß.
geleckt und sentimental. Es sind meistens die officiellen Maler der Kirchen
und Schlösser, der allegorischen Plafonds im Louvre und in öffentlichen Ge¬
bäuden (Meynier. Blondel, Heim, Mauzaisse. Drolling. Bouchot,
Abel de Pujol, Rouget und Andere). Wir werden sehen, wie es kam,
daß auch sie sich zum Theil der malerischen Zeit des Mittelalters und der
Renaissance zuwandten. Im Ganzen haben sie nur Mittelmäßiges hervor¬
gebracht.

David und seine Richtung haben auf die ganze französische Kunst bedeu¬
tend und nachhaltig eingewirkt; selbst die neueste Zeit hat, wie wir früher
gesehen, noch Nachklänge dieser classischen Kunst aufzuweisen. Wichtig aber
und fruchtbar war ihr Einfluß dadurch, daß sie die neue französische Malerei
von vorneherein in eine strenge Zucht nahm und auch für die Folgezeit dem
Künstler das ernste Studium des menschlichen Körpers und die technische
Tüchtigkeit überhaupt als die nothwendigen Bedingungen der bildenden Kunst
überlieferte. Sie selber einging dem Schicksal der einseitigen Entwicklung
nicht, sie wurde akademisch und conventionell; aber dennoch hat sie Schüler
gebildet, wie Ingres und Leopold Robert, welche im Rückschlag gegen die
Neuerungen des Naturalismus und der bloß malerischen Phantasie das schöne
Leben der Form und des Ideals ,im echten Sinne verjüngten. Ans der Ver¬
mittlung dieser beiden Richtungen entwickelte sich dann die höchste Blüthe.
Hätte die deutsche Kunst einen David und seine Kunstschule gehabt, so wären
wol jetzt nicht — von den namenlosen Producten aller Art zu schweigen —
im Treppenhause des Museums von Berlin Gestalten zu sehen, die ohne jede
Festigkeit des innern Baues, drei- und molluskenartig die menschliche Form
in einer mißverstandenen widerlich süßen Schönheitslinie nicht darstellen,
sondern lügen.




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[0523] Verbrechen" war weniger seine Sache, ebensowenig die religiöse Kunst). Er verstand es, die Form in warmen Lichtwirkungen und in einem stimmungs¬ vollen Ton aufzulockern; die Franzosen rühmen von ihm, daß er an Correggio erinnere. David wußte diese ihm fremde Anschauungsweise wol zu schätzen; aber eine Fortbildung sollte sie erst in späterer Zeit erfahren. Die Ausläufer der David'schen Schule — zu denen auch die Schüler von Regnault und Vincent gehören, — wirken noch lange in die zweite Periode der Kunst hinein. Sie halten im Princip an der idealen Formen¬ welt fest, ohne ihr ein neues Leben einhauchen zu können, und nehmen nur äußerlich von der neuen Behandlungsweise so viel auf. als sich mit ihrer Richtung verträgt. Sie sind mehr oder minder steif und pathetisch oder süß. geleckt und sentimental. Es sind meistens die officiellen Maler der Kirchen und Schlösser, der allegorischen Plafonds im Louvre und in öffentlichen Ge¬ bäuden (Meynier. Blondel, Heim, Mauzaisse. Drolling. Bouchot, Abel de Pujol, Rouget und Andere). Wir werden sehen, wie es kam, daß auch sie sich zum Theil der malerischen Zeit des Mittelalters und der Renaissance zuwandten. Im Ganzen haben sie nur Mittelmäßiges hervor¬ gebracht. David und seine Richtung haben auf die ganze französische Kunst bedeu¬ tend und nachhaltig eingewirkt; selbst die neueste Zeit hat, wie wir früher gesehen, noch Nachklänge dieser classischen Kunst aufzuweisen. Wichtig aber und fruchtbar war ihr Einfluß dadurch, daß sie die neue französische Malerei von vorneherein in eine strenge Zucht nahm und auch für die Folgezeit dem Künstler das ernste Studium des menschlichen Körpers und die technische Tüchtigkeit überhaupt als die nothwendigen Bedingungen der bildenden Kunst überlieferte. Sie selber einging dem Schicksal der einseitigen Entwicklung nicht, sie wurde akademisch und conventionell; aber dennoch hat sie Schüler gebildet, wie Ingres und Leopold Robert, welche im Rückschlag gegen die Neuerungen des Naturalismus und der bloß malerischen Phantasie das schöne Leben der Form und des Ideals ,im echten Sinne verjüngten. Ans der Ver¬ mittlung dieser beiden Richtungen entwickelte sich dann die höchste Blüthe. Hätte die deutsche Kunst einen David und seine Kunstschule gehabt, so wären wol jetzt nicht — von den namenlosen Producten aller Art zu schweigen — im Treppenhause des Museums von Berlin Gestalten zu sehen, die ohne jede Festigkeit des innern Baues, drei- und molluskenartig die menschliche Form in einer mißverstandenen widerlich süßen Schönheitslinie nicht darstellen, sondern lügen. Grenzboten III. 1361.6i>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/523>, abgerufen am 23.12.2024.