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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Wirklichkeit ganz in die Kunst hereinzunehmen, zu weit. Der Anblick eines sol¬
chen in voller Bestimmtheit dargestellten körperlichen Leidens ist selbst dann
kaum erträglich, wenn das Hauptinteresse des Bildes auf den edleren Gestal¬
ten ruht; Gros hat gar mit den nackten Körpern der Pestkranken den ganzen
Vordergrund angefüllt. Aber dennoch ist das Bild durch die lebendige
Anordnung, die malerische Mannigfaltigkeit der Gruppen und durch die
Wahrheit, mit der der eigentliche Vorgang ausdrucksvoll wiedergegeben
ist, von großer Wirkung; dazu in der Zeichnung und Bewegung der
Körper, in der breiten Form- und Farbengebung eine vortreffliche Arbeit.
Was die Härte und Schwere des Colorits, die noch immer scharf um-
rissene und plastisch massige Form und das übertriebene Pathos mancher
Stellungen betrifft, so zeigte sich freilich in diesen Dingen Gros in den Schran¬
ken seiner Zeit befangen. 1806 folgte die Schlacht von Abukir: der ent¬
scheidende Angriff des General Murat. Der Künstler benutzte dieses Motiv,
um die stürmische Bewegtheit des vollen Kampfes darzustellen, aber in dem
Augenblick, wo der Sieg sich schon entscheidet; vergebens sucht der verwun-
dete Anführer der Türken seine Truppen zurückzuhalten und Murat, siegreich
den Lauf seines Pferdes hemmend, empfängt mitten im Getümmel das Schwert,
das ihm der Sohn des Anführers überreicht. Man sieht, daß Gros den
eigentlichen Kern des Vorgangs zum Ausdruck zu bringen wußte, während
er andrerseits in der malerischen Vermischung der nationalen Trachten und der
nackten Körper, in dem heftigen Ungestüm der Angreifenden, in der wilden
Flucht der Geschlagenen die äußere Erscheinung des Kampfes gab. Endlich
im Jahr 1808 das Schlachtfeld von Eylau: hier ist der Moment nach der
Schlacht dargestellt, in welchem der Kaiser auf dem Kampfplatz die Verwun¬
deten pflegen läßt und den Dank der feindlichen Soldaten empfängt. Also
wieder der Held groß und ruhig in einer echt menschlichen Stimmung; vorn
die Verwundeten in kolossalen Maßstab, im Mittelgrunde der Kaiser und
die Generäle in prächtiger Winterkleidung, neben ihnen in scharfer nationaler
Bestimmtheit, jeder einzelne von eigenthümlichem Charakter, die russischen
Soldaten sich aufrichtend, knieend, dankend, das Ganze auf dem Schneebo¬
den und in dem grauen Ton des Winters.

Der Erfolg dieser Gemälde war durchgreifend und selbst die Bewunde¬
rung der Künstler so entschieden, daß diese nach allgemeinem Uebereinkommen
über dem Bild von Jaffa eine Palme aufhingen, um Gros den Preis zum-
"kennen. Es schien Allen, wie wenn nun erst in die Kunst Leben und Ge¬
halt gekommen wäre. Es pulsirte in den Werken der Herzschlag der Gegen-
Wart, die Begeisterung für den Helden und die großen Geschicke Frankreichs.
Mit der strengen Form verband sich nun die farbenglühende Erscheinung und
die Bewegtheit der Wirklichkeit. Die neue Geschichte wurde zwanglos zum


Wirklichkeit ganz in die Kunst hereinzunehmen, zu weit. Der Anblick eines sol¬
chen in voller Bestimmtheit dargestellten körperlichen Leidens ist selbst dann
kaum erträglich, wenn das Hauptinteresse des Bildes auf den edleren Gestal¬
ten ruht; Gros hat gar mit den nackten Körpern der Pestkranken den ganzen
Vordergrund angefüllt. Aber dennoch ist das Bild durch die lebendige
Anordnung, die malerische Mannigfaltigkeit der Gruppen und durch die
Wahrheit, mit der der eigentliche Vorgang ausdrucksvoll wiedergegeben
ist, von großer Wirkung; dazu in der Zeichnung und Bewegung der
Körper, in der breiten Form- und Farbengebung eine vortreffliche Arbeit.
Was die Härte und Schwere des Colorits, die noch immer scharf um-
rissene und plastisch massige Form und das übertriebene Pathos mancher
Stellungen betrifft, so zeigte sich freilich in diesen Dingen Gros in den Schran¬
ken seiner Zeit befangen. 1806 folgte die Schlacht von Abukir: der ent¬
scheidende Angriff des General Murat. Der Künstler benutzte dieses Motiv,
um die stürmische Bewegtheit des vollen Kampfes darzustellen, aber in dem
Augenblick, wo der Sieg sich schon entscheidet; vergebens sucht der verwun-
dete Anführer der Türken seine Truppen zurückzuhalten und Murat, siegreich
den Lauf seines Pferdes hemmend, empfängt mitten im Getümmel das Schwert,
das ihm der Sohn des Anführers überreicht. Man sieht, daß Gros den
eigentlichen Kern des Vorgangs zum Ausdruck zu bringen wußte, während
er andrerseits in der malerischen Vermischung der nationalen Trachten und der
nackten Körper, in dem heftigen Ungestüm der Angreifenden, in der wilden
Flucht der Geschlagenen die äußere Erscheinung des Kampfes gab. Endlich
im Jahr 1808 das Schlachtfeld von Eylau: hier ist der Moment nach der
Schlacht dargestellt, in welchem der Kaiser auf dem Kampfplatz die Verwun¬
deten pflegen läßt und den Dank der feindlichen Soldaten empfängt. Also
wieder der Held groß und ruhig in einer echt menschlichen Stimmung; vorn
die Verwundeten in kolossalen Maßstab, im Mittelgrunde der Kaiser und
die Generäle in prächtiger Winterkleidung, neben ihnen in scharfer nationaler
Bestimmtheit, jeder einzelne von eigenthümlichem Charakter, die russischen
Soldaten sich aufrichtend, knieend, dankend, das Ganze auf dem Schneebo¬
den und in dem grauen Ton des Winters.

Der Erfolg dieser Gemälde war durchgreifend und selbst die Bewunde¬
rung der Künstler so entschieden, daß diese nach allgemeinem Uebereinkommen
über dem Bild von Jaffa eine Palme aufhingen, um Gros den Preis zum-
"kennen. Es schien Allen, wie wenn nun erst in die Kunst Leben und Ge¬
halt gekommen wäre. Es pulsirte in den Werken der Herzschlag der Gegen-
Wart, die Begeisterung für den Helden und die großen Geschicke Frankreichs.
Mit der strengen Form verband sich nun die farbenglühende Erscheinung und
die Bewegtheit der Wirklichkeit. Die neue Geschichte wurde zwanglos zum


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[0519] Wirklichkeit ganz in die Kunst hereinzunehmen, zu weit. Der Anblick eines sol¬ chen in voller Bestimmtheit dargestellten körperlichen Leidens ist selbst dann kaum erträglich, wenn das Hauptinteresse des Bildes auf den edleren Gestal¬ ten ruht; Gros hat gar mit den nackten Körpern der Pestkranken den ganzen Vordergrund angefüllt. Aber dennoch ist das Bild durch die lebendige Anordnung, die malerische Mannigfaltigkeit der Gruppen und durch die Wahrheit, mit der der eigentliche Vorgang ausdrucksvoll wiedergegeben ist, von großer Wirkung; dazu in der Zeichnung und Bewegung der Körper, in der breiten Form- und Farbengebung eine vortreffliche Arbeit. Was die Härte und Schwere des Colorits, die noch immer scharf um- rissene und plastisch massige Form und das übertriebene Pathos mancher Stellungen betrifft, so zeigte sich freilich in diesen Dingen Gros in den Schran¬ ken seiner Zeit befangen. 1806 folgte die Schlacht von Abukir: der ent¬ scheidende Angriff des General Murat. Der Künstler benutzte dieses Motiv, um die stürmische Bewegtheit des vollen Kampfes darzustellen, aber in dem Augenblick, wo der Sieg sich schon entscheidet; vergebens sucht der verwun- dete Anführer der Türken seine Truppen zurückzuhalten und Murat, siegreich den Lauf seines Pferdes hemmend, empfängt mitten im Getümmel das Schwert, das ihm der Sohn des Anführers überreicht. Man sieht, daß Gros den eigentlichen Kern des Vorgangs zum Ausdruck zu bringen wußte, während er andrerseits in der malerischen Vermischung der nationalen Trachten und der nackten Körper, in dem heftigen Ungestüm der Angreifenden, in der wilden Flucht der Geschlagenen die äußere Erscheinung des Kampfes gab. Endlich im Jahr 1808 das Schlachtfeld von Eylau: hier ist der Moment nach der Schlacht dargestellt, in welchem der Kaiser auf dem Kampfplatz die Verwun¬ deten pflegen läßt und den Dank der feindlichen Soldaten empfängt. Also wieder der Held groß und ruhig in einer echt menschlichen Stimmung; vorn die Verwundeten in kolossalen Maßstab, im Mittelgrunde der Kaiser und die Generäle in prächtiger Winterkleidung, neben ihnen in scharfer nationaler Bestimmtheit, jeder einzelne von eigenthümlichem Charakter, die russischen Soldaten sich aufrichtend, knieend, dankend, das Ganze auf dem Schneebo¬ den und in dem grauen Ton des Winters. Der Erfolg dieser Gemälde war durchgreifend und selbst die Bewunde¬ rung der Künstler so entschieden, daß diese nach allgemeinem Uebereinkommen über dem Bild von Jaffa eine Palme aufhingen, um Gros den Preis zum- "kennen. Es schien Allen, wie wenn nun erst in die Kunst Leben und Ge¬ halt gekommen wäre. Es pulsirte in den Werken der Herzschlag der Gegen- Wart, die Begeisterung für den Helden und die großen Geschicke Frankreichs. Mit der strengen Form verband sich nun die farbenglühende Erscheinung und die Bewegtheit der Wirklichkeit. Die neue Geschichte wurde zwanglos zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/519>, abgerufen am 26.08.2024.