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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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entschieden aus. Daß der Pomp und das Durcheinander einer solchen Staats¬
action die Kunst aus ihren Grenzen treibt, zeigt sich freilich auch. Was der
Künstler später noch hervorbrachte, war ungleich schwächer. Unter der zu
Ende gehenden Herrschaft der Bourbonen, wie unter dem neuen Bürgcrkönig-
thum kam die officielle Kunst immer mehr herunter; die Culturformcn wurden
immer dürftiger und prosaischer, und die Geschichte verlief sich in das Breite
und Gewöhnliche des allgemeinen Weltfriedens, sie faßte sich nicht mehr zu
großen Handlungen in Eine Persönlichkeit zusammen. sacre ac Ons-r-
iss X" (1827) und ^I^ouis ?nilivxe ks-isant la lecture as ig, ÄeelAratiou" sind
schwache Producte, aus denen die steife Nüchternheit des modernen Staats¬
lebens mit hohlen Augen heraussieht. Aber auch die allegorischen Figuren
in der Kuppel des Pantheon" (1834 bis 1836) sind nicht besser: G6rard
hatte sich überlebt.

Der eigentliche Maler des Kaiserreichs war Jean Antoine Gros (17N
bis 1835). Begabt und für das Große empfänglich wußte er der welter¬
obernden Macht der Regierung und dem begeisternden Aufschwung der Nation
den rechten Ausdruck zu geben; denn er verstand es, die Kraft, welche Kaiser
und Volk beseelte und die entscheidende Wendung der Dinge herbeiführte
wiederzugeben und zugleich den Vorgängen ihre malerische Seite abzugewin¬
nen. Der Gang seines Lebens führte ihn früh, nachdem er sich in Davids
Atelier tüchtig gebildet hatte, zur Armee, er ließ die classische Welt in Frank¬
reich zurück und entzündete seine Phantasie an den Thaten des jugendlichen
Helden und seiner Soldaten. Gleich sein erster Griff war glücklich: "Bona¬
parte die Fahne in der Hand auf der Brücke von Arcole voraneilend "(Salon
vonIl799). Zum erstenmal sah man den General mit dem Ausdruck des
mächtigen Lebens dargestellt^ wie ihn die Phantasie sich dachte. Die Be¬
geisterung, mit der Gros den Stoff in sich aufgenommen, war auch auf die
Behandlung übergegangen: die kühne Naturwahrheit der Bewegung, den
warmen Ton und den leichten breiten Pinselstrich war man von der abge¬
messenen Haltung und der strengen Ausführung der bisherigen antikisirenden
Malerei nicht gewohnt.

Nun war die Laufbahn des Malers entschieden. 1804 vollendete er das
große Bild: "Besuch Napoleons bei den Pestkranken in Jaffa." Es kam der
Kunst zu Gute, daß die neue Geschichte den malerischen Orient in ihren Kreis
zog, und Gros wußte es zu vnnützer. Auf den Helden, in dem alle Größe
und Kraft der Zeit sich zusammenzufassen schien, vereinigte sich das gesammte
Interesse der Nation; um so mehr schien der gewaltige Mann in einer echt
menschlichen Situation, ruhig und tröstend an dem verderblichen Orte des
Todes verweilend, im Contrast der Jugendfülle mit dem Siechthum ein herr¬
liches Motiv. Freilich ging hier der Maler in seinem begeisterten Eifer, d>e


entschieden aus. Daß der Pomp und das Durcheinander einer solchen Staats¬
action die Kunst aus ihren Grenzen treibt, zeigt sich freilich auch. Was der
Künstler später noch hervorbrachte, war ungleich schwächer. Unter der zu
Ende gehenden Herrschaft der Bourbonen, wie unter dem neuen Bürgcrkönig-
thum kam die officielle Kunst immer mehr herunter; die Culturformcn wurden
immer dürftiger und prosaischer, und die Geschichte verlief sich in das Breite
und Gewöhnliche des allgemeinen Weltfriedens, sie faßte sich nicht mehr zu
großen Handlungen in Eine Persönlichkeit zusammen. sacre ac Ons-r-
iss X" (1827) und ^I^ouis ?nilivxe ks-isant la lecture as ig, ÄeelAratiou" sind
schwache Producte, aus denen die steife Nüchternheit des modernen Staats¬
lebens mit hohlen Augen heraussieht. Aber auch die allegorischen Figuren
in der Kuppel des Pantheon« (1834 bis 1836) sind nicht besser: G6rard
hatte sich überlebt.

Der eigentliche Maler des Kaiserreichs war Jean Antoine Gros (17N
bis 1835). Begabt und für das Große empfänglich wußte er der welter¬
obernden Macht der Regierung und dem begeisternden Aufschwung der Nation
den rechten Ausdruck zu geben; denn er verstand es, die Kraft, welche Kaiser
und Volk beseelte und die entscheidende Wendung der Dinge herbeiführte
wiederzugeben und zugleich den Vorgängen ihre malerische Seite abzugewin¬
nen. Der Gang seines Lebens führte ihn früh, nachdem er sich in Davids
Atelier tüchtig gebildet hatte, zur Armee, er ließ die classische Welt in Frank¬
reich zurück und entzündete seine Phantasie an den Thaten des jugendlichen
Helden und seiner Soldaten. Gleich sein erster Griff war glücklich: „Bona¬
parte die Fahne in der Hand auf der Brücke von Arcole voraneilend „(Salon
vonIl799). Zum erstenmal sah man den General mit dem Ausdruck des
mächtigen Lebens dargestellt^ wie ihn die Phantasie sich dachte. Die Be¬
geisterung, mit der Gros den Stoff in sich aufgenommen, war auch auf die
Behandlung übergegangen: die kühne Naturwahrheit der Bewegung, den
warmen Ton und den leichten breiten Pinselstrich war man von der abge¬
messenen Haltung und der strengen Ausführung der bisherigen antikisirenden
Malerei nicht gewohnt.

Nun war die Laufbahn des Malers entschieden. 1804 vollendete er das
große Bild: „Besuch Napoleons bei den Pestkranken in Jaffa." Es kam der
Kunst zu Gute, daß die neue Geschichte den malerischen Orient in ihren Kreis
zog, und Gros wußte es zu vnnützer. Auf den Helden, in dem alle Größe
und Kraft der Zeit sich zusammenzufassen schien, vereinigte sich das gesammte
Interesse der Nation; um so mehr schien der gewaltige Mann in einer echt
menschlichen Situation, ruhig und tröstend an dem verderblichen Orte des
Todes verweilend, im Contrast der Jugendfülle mit dem Siechthum ein herr¬
liches Motiv. Freilich ging hier der Maler in seinem begeisterten Eifer, d>e


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[0518] entschieden aus. Daß der Pomp und das Durcheinander einer solchen Staats¬ action die Kunst aus ihren Grenzen treibt, zeigt sich freilich auch. Was der Künstler später noch hervorbrachte, war ungleich schwächer. Unter der zu Ende gehenden Herrschaft der Bourbonen, wie unter dem neuen Bürgcrkönig- thum kam die officielle Kunst immer mehr herunter; die Culturformcn wurden immer dürftiger und prosaischer, und die Geschichte verlief sich in das Breite und Gewöhnliche des allgemeinen Weltfriedens, sie faßte sich nicht mehr zu großen Handlungen in Eine Persönlichkeit zusammen. sacre ac Ons-r- iss X" (1827) und ^I^ouis ?nilivxe ks-isant la lecture as ig, ÄeelAratiou" sind schwache Producte, aus denen die steife Nüchternheit des modernen Staats¬ lebens mit hohlen Augen heraussieht. Aber auch die allegorischen Figuren in der Kuppel des Pantheon« (1834 bis 1836) sind nicht besser: G6rard hatte sich überlebt. Der eigentliche Maler des Kaiserreichs war Jean Antoine Gros (17N bis 1835). Begabt und für das Große empfänglich wußte er der welter¬ obernden Macht der Regierung und dem begeisternden Aufschwung der Nation den rechten Ausdruck zu geben; denn er verstand es, die Kraft, welche Kaiser und Volk beseelte und die entscheidende Wendung der Dinge herbeiführte wiederzugeben und zugleich den Vorgängen ihre malerische Seite abzugewin¬ nen. Der Gang seines Lebens führte ihn früh, nachdem er sich in Davids Atelier tüchtig gebildet hatte, zur Armee, er ließ die classische Welt in Frank¬ reich zurück und entzündete seine Phantasie an den Thaten des jugendlichen Helden und seiner Soldaten. Gleich sein erster Griff war glücklich: „Bona¬ parte die Fahne in der Hand auf der Brücke von Arcole voraneilend „(Salon vonIl799). Zum erstenmal sah man den General mit dem Ausdruck des mächtigen Lebens dargestellt^ wie ihn die Phantasie sich dachte. Die Be¬ geisterung, mit der Gros den Stoff in sich aufgenommen, war auch auf die Behandlung übergegangen: die kühne Naturwahrheit der Bewegung, den warmen Ton und den leichten breiten Pinselstrich war man von der abge¬ messenen Haltung und der strengen Ausführung der bisherigen antikisirenden Malerei nicht gewohnt. Nun war die Laufbahn des Malers entschieden. 1804 vollendete er das große Bild: „Besuch Napoleons bei den Pestkranken in Jaffa." Es kam der Kunst zu Gute, daß die neue Geschichte den malerischen Orient in ihren Kreis zog, und Gros wußte es zu vnnützer. Auf den Helden, in dem alle Größe und Kraft der Zeit sich zusammenzufassen schien, vereinigte sich das gesammte Interesse der Nation; um so mehr schien der gewaltige Mann in einer echt menschlichen Situation, ruhig und tröstend an dem verderblichen Orte des Todes verweilend, im Contrast der Jugendfülle mit dem Siechthum ein herr¬ liches Motiv. Freilich ging hier der Maler in seinem begeisterten Eifer, d>e

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/518>, abgerufen am 26.08.2024.