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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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1806 stellte er seine Scene aus der Sündfluth aus. Hier war es auf einen
furchtbaren und erschütternden Eindruck geradezu abgesehen. Ein Mann er¬
klimmt den aus dem Wasser ragenden Felsen, auf seinem Rücken hängt der
Vater; er ist bemüht seine Frau, die ein Kind an ihrer Brust hält und den
Boden eben betritt, an der Hand nachzuziehen, aber diese, kraftlos und er¬
schöpft, dazu von einem Knaben, der sich von hinten an sie anklammert, zu¬
rückgezogen, wird rücklings von Neuem hinabstürzen; zugleich bricht der Ast.
an dem der Mann sich hält, und so ist der Augenblick fixirt, in dem die ganze
Familie, kaum gerettet, von Neuem zu Grunde geht. Man sieht, wie die
schauerliche Phantasie der späteren Romantiker hier schon ihr Spiel beginnt.
Aber die anspruchsvolle Behandlung des Nackten und das Zusammenstoßen
der Linien in häßlichen Ecken und Winkeln heben die Wirkung auf die Empfin¬
dung wieder auf, und man geht theilnahmlos an dem gräulichen Bilde
vorüber.

Einen besseren Wurf that Girodet mit dem Bilde, das Atala's Be-
grübniß darstellt (1808). Der tiefe Eindruck, welchen die ersten Werke Cha-
teaubriands bei ihrem Erscheinen machten, ist bekannt. Es zeigte sich, daß
man mit dem Ende der Revolution auch der classischen Welt überdrüssig zu
werden begann. Man folgte, indem man eben erst die Uebel der Civilisation
und dann den Bruch mit der Wirklichkeit empfunden, mit Begeisterung dem
Dichter, der den seit Rousseau gepriesenen Naturzustand mit seinem stillen
Glück und seiner leidenschaftlichen Kraft als Wirklichkeit und im Kampf mit
der Cultur der alten Welt darstellte, ohne deshalb auf die pikante Tiefe der
modernen Gefühlsweise zu verzichten. Die bildende Kunst ließ sich, wie das
in unserm Zeitalter so oft der Fall ist, von dem Reiz, den die dichtende auf
die Phantasie ausübte, verleiten, in der Behandlung eines von dieser entnom¬
menen Motivs eine ähnliche Wirkung anzustreben; sie suchte die erregte Stim¬
mung zu benutzen. Neben Girodet suchten noch andere Maler die Gestalten
Chateaubriands zu verwerthen; man merkte nicht, daß gerade diese Figuren,
denen es an Fleisch und Blut fehlt, für den bildenden Künstler wenig dank,
bar sind. Zwar ist das Bild Girodets durch seine elegische Ruhe nicht ohne
Wirkung, auch ist hier die Verbindung der Linien harmonischer; aber das
Leiden dieser Menschen bietet doch zu wenig allgemein menschliches Interesse,
um in so anspruchsvollen Formen zu erscheinen, und andrerseits fehlt es den
Gestalten wieder an der einfachen Lebensfülle. Man suchte damals sogar
die nebelhaften Gedichte Ossians bildlich zu gestalten, und man kann sich
denken, wie seltsam sich diese Stoffe in der plastischen Behandlung der David'-
schen Schule ausnehmen. Außerdem malte Girodet noch zwei historische Zeit-
bUder: "Napoleon empfängt die Schlüssel von Wien" (1808) und "die Em¬
pörung von Cairo" (1810). Wir werden bei Gros diese eigenthümliche ge-


Grenjbottn III. 1L61, 64

1806 stellte er seine Scene aus der Sündfluth aus. Hier war es auf einen
furchtbaren und erschütternden Eindruck geradezu abgesehen. Ein Mann er¬
klimmt den aus dem Wasser ragenden Felsen, auf seinem Rücken hängt der
Vater; er ist bemüht seine Frau, die ein Kind an ihrer Brust hält und den
Boden eben betritt, an der Hand nachzuziehen, aber diese, kraftlos und er¬
schöpft, dazu von einem Knaben, der sich von hinten an sie anklammert, zu¬
rückgezogen, wird rücklings von Neuem hinabstürzen; zugleich bricht der Ast.
an dem der Mann sich hält, und so ist der Augenblick fixirt, in dem die ganze
Familie, kaum gerettet, von Neuem zu Grunde geht. Man sieht, wie die
schauerliche Phantasie der späteren Romantiker hier schon ihr Spiel beginnt.
Aber die anspruchsvolle Behandlung des Nackten und das Zusammenstoßen
der Linien in häßlichen Ecken und Winkeln heben die Wirkung auf die Empfin¬
dung wieder auf, und man geht theilnahmlos an dem gräulichen Bilde
vorüber.

Einen besseren Wurf that Girodet mit dem Bilde, das Atala's Be-
grübniß darstellt (1808). Der tiefe Eindruck, welchen die ersten Werke Cha-
teaubriands bei ihrem Erscheinen machten, ist bekannt. Es zeigte sich, daß
man mit dem Ende der Revolution auch der classischen Welt überdrüssig zu
werden begann. Man folgte, indem man eben erst die Uebel der Civilisation
und dann den Bruch mit der Wirklichkeit empfunden, mit Begeisterung dem
Dichter, der den seit Rousseau gepriesenen Naturzustand mit seinem stillen
Glück und seiner leidenschaftlichen Kraft als Wirklichkeit und im Kampf mit
der Cultur der alten Welt darstellte, ohne deshalb auf die pikante Tiefe der
modernen Gefühlsweise zu verzichten. Die bildende Kunst ließ sich, wie das
in unserm Zeitalter so oft der Fall ist, von dem Reiz, den die dichtende auf
die Phantasie ausübte, verleiten, in der Behandlung eines von dieser entnom¬
menen Motivs eine ähnliche Wirkung anzustreben; sie suchte die erregte Stim¬
mung zu benutzen. Neben Girodet suchten noch andere Maler die Gestalten
Chateaubriands zu verwerthen; man merkte nicht, daß gerade diese Figuren,
denen es an Fleisch und Blut fehlt, für den bildenden Künstler wenig dank,
bar sind. Zwar ist das Bild Girodets durch seine elegische Ruhe nicht ohne
Wirkung, auch ist hier die Verbindung der Linien harmonischer; aber das
Leiden dieser Menschen bietet doch zu wenig allgemein menschliches Interesse,
um in so anspruchsvollen Formen zu erscheinen, und andrerseits fehlt es den
Gestalten wieder an der einfachen Lebensfülle. Man suchte damals sogar
die nebelhaften Gedichte Ossians bildlich zu gestalten, und man kann sich
denken, wie seltsam sich diese Stoffe in der plastischen Behandlung der David'-
schen Schule ausnehmen. Außerdem malte Girodet noch zwei historische Zeit-
bUder: „Napoleon empfängt die Schlüssel von Wien" (1808) und „die Em¬
pörung von Cairo" (1810). Wir werden bei Gros diese eigenthümliche ge-


Grenjbottn III. 1L61, 64
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[0515] 1806 stellte er seine Scene aus der Sündfluth aus. Hier war es auf einen furchtbaren und erschütternden Eindruck geradezu abgesehen. Ein Mann er¬ klimmt den aus dem Wasser ragenden Felsen, auf seinem Rücken hängt der Vater; er ist bemüht seine Frau, die ein Kind an ihrer Brust hält und den Boden eben betritt, an der Hand nachzuziehen, aber diese, kraftlos und er¬ schöpft, dazu von einem Knaben, der sich von hinten an sie anklammert, zu¬ rückgezogen, wird rücklings von Neuem hinabstürzen; zugleich bricht der Ast. an dem der Mann sich hält, und so ist der Augenblick fixirt, in dem die ganze Familie, kaum gerettet, von Neuem zu Grunde geht. Man sieht, wie die schauerliche Phantasie der späteren Romantiker hier schon ihr Spiel beginnt. Aber die anspruchsvolle Behandlung des Nackten und das Zusammenstoßen der Linien in häßlichen Ecken und Winkeln heben die Wirkung auf die Empfin¬ dung wieder auf, und man geht theilnahmlos an dem gräulichen Bilde vorüber. Einen besseren Wurf that Girodet mit dem Bilde, das Atala's Be- grübniß darstellt (1808). Der tiefe Eindruck, welchen die ersten Werke Cha- teaubriands bei ihrem Erscheinen machten, ist bekannt. Es zeigte sich, daß man mit dem Ende der Revolution auch der classischen Welt überdrüssig zu werden begann. Man folgte, indem man eben erst die Uebel der Civilisation und dann den Bruch mit der Wirklichkeit empfunden, mit Begeisterung dem Dichter, der den seit Rousseau gepriesenen Naturzustand mit seinem stillen Glück und seiner leidenschaftlichen Kraft als Wirklichkeit und im Kampf mit der Cultur der alten Welt darstellte, ohne deshalb auf die pikante Tiefe der modernen Gefühlsweise zu verzichten. Die bildende Kunst ließ sich, wie das in unserm Zeitalter so oft der Fall ist, von dem Reiz, den die dichtende auf die Phantasie ausübte, verleiten, in der Behandlung eines von dieser entnom¬ menen Motivs eine ähnliche Wirkung anzustreben; sie suchte die erregte Stim¬ mung zu benutzen. Neben Girodet suchten noch andere Maler die Gestalten Chateaubriands zu verwerthen; man merkte nicht, daß gerade diese Figuren, denen es an Fleisch und Blut fehlt, für den bildenden Künstler wenig dank, bar sind. Zwar ist das Bild Girodets durch seine elegische Ruhe nicht ohne Wirkung, auch ist hier die Verbindung der Linien harmonischer; aber das Leiden dieser Menschen bietet doch zu wenig allgemein menschliches Interesse, um in so anspruchsvollen Formen zu erscheinen, und andrerseits fehlt es den Gestalten wieder an der einfachen Lebensfülle. Man suchte damals sogar die nebelhaften Gedichte Ossians bildlich zu gestalten, und man kann sich denken, wie seltsam sich diese Stoffe in der plastischen Behandlung der David'- schen Schule ausnehmen. Außerdem malte Girodet noch zwei historische Zeit- bUder: „Napoleon empfängt die Schlüssel von Wien" (1808) und „die Em¬ pörung von Cairo" (1810). Wir werden bei Gros diese eigenthümliche ge- Grenjbottn III. 1L61, 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/515>, abgerufen am 26.08.2024.