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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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mung den Lauf der Geschichte unterbricht, unmittelbar aus dem Gedanken
selber Geschichte machen will, und gegen jedes naive Werden und Entstehen
sich auflehnt, so will die Kunst mit Einem Schlage neue Ideen zur vollen¬
deten Darstellung bringen, und greift absichtlich zu fertigen Formen zurück,
welche sie für die wahren erklärt und wohl oder übel zu ihrem Gefäß macht.
Ihre Idealität kann sich mit dem wirklichen Leben nicht erfüllen, jene kommt
über die Nachbildung der alten Form nicht hinaus und dieses kann eine ihm
eigenthümliche Erscheinung nicht aus sich herausbilden.

Daher sind denn auch die idealen Gestalten der David'schen Bilder natur¬
los und kalt, ohne tieferen Ausdruck und Charakter, die Bewegungen fast
immer theatralisch, die Gruppirung ohne Sinn für die mannigfaltige Ver-
schlingung des natürlichen Vorgangs; selbst den Linien, auf deren harmoni¬
schen Schwung der Künstler vor Allem bedacht war, fehlt doch eigentlich der
seelenvolle Fluß des Lebens, der Modellirung die weichen Uebergänge der
menschlichen Form. Von ergreifender Wirkung sind, wie wir gesehen, nur
der todte Maral und das Reiterbild Napoleons: hier schöpfte David aus der
eigenen Brust und einer großen wirklichen Anschauung. Sonst sind die ruhi¬
gen Figuren, die sich auf den Ausdruck einer mäßigen Empfindung und ein
würdevolles Auffichberuhen beschränken, noch die besten; der Künstler fühlte in
späterer Zeit wohl, daß der straffe Moment einer bewegten Handlung der
malerischen Phantasie wenig Spielraum gebe und daß der entscheidende
geschichtliche Augenblick nur schwer sich fassen lasse.

Wie dem auch sein mag: das Zeitalter, das nur sich selber und das
republicanische Leben der Alten kannte und kennen wollte, fühlte, daß es in
David seinen Mann gefunden hatte, und so ungünstig im Grunde für die
Malerei die eine wie die andere Periode ist. für eine andere .Richtung, als
die Davids hatte man während der Revolution keinen Sinn, weder die Maler,
noch das Publicum. Die jungen Talente sammelten sich rasch um den be¬
rühmten Meister, es galt für eine Ehre und eine Empfehlung, sein Schüler
Zu sein. Er hatte deren bald eine bedeutende Zahl um sich; fast alle nam-
haften Künstler dieser und der nächstfolgenden Zeit sind aus seinem Atelier
hervorgegangen. Wohl hatten sich neben David I. B. Regnault (Haupt¬
werk: "Erziehung des Achilles) und F. A. Vincent (Hauptwerk: "der Prä¬
sident Mol6 unter den Aufständischen") durch die Geschicklichkeit ihrer Hand,
°>n gewisses Ansehen verschafft, aber es fehlte beiden an einer eigenthümli¬
chen ausgesprochenen Richtung, sie hatten nichts von dem Ernste und dem
reformatorischen Charakter, welcher die Bilder Davids von vornherein aus¬
zeichnete.

Was diesen zum Lehrer noch besonders befähigte, war die Leichtigkeit.
>nit der er sich in eine von der seinigen verschiedene Künstlernatur einlebte


mung den Lauf der Geschichte unterbricht, unmittelbar aus dem Gedanken
selber Geschichte machen will, und gegen jedes naive Werden und Entstehen
sich auflehnt, so will die Kunst mit Einem Schlage neue Ideen zur vollen¬
deten Darstellung bringen, und greift absichtlich zu fertigen Formen zurück,
welche sie für die wahren erklärt und wohl oder übel zu ihrem Gefäß macht.
Ihre Idealität kann sich mit dem wirklichen Leben nicht erfüllen, jene kommt
über die Nachbildung der alten Form nicht hinaus und dieses kann eine ihm
eigenthümliche Erscheinung nicht aus sich herausbilden.

Daher sind denn auch die idealen Gestalten der David'schen Bilder natur¬
los und kalt, ohne tieferen Ausdruck und Charakter, die Bewegungen fast
immer theatralisch, die Gruppirung ohne Sinn für die mannigfaltige Ver-
schlingung des natürlichen Vorgangs; selbst den Linien, auf deren harmoni¬
schen Schwung der Künstler vor Allem bedacht war, fehlt doch eigentlich der
seelenvolle Fluß des Lebens, der Modellirung die weichen Uebergänge der
menschlichen Form. Von ergreifender Wirkung sind, wie wir gesehen, nur
der todte Maral und das Reiterbild Napoleons: hier schöpfte David aus der
eigenen Brust und einer großen wirklichen Anschauung. Sonst sind die ruhi¬
gen Figuren, die sich auf den Ausdruck einer mäßigen Empfindung und ein
würdevolles Auffichberuhen beschränken, noch die besten; der Künstler fühlte in
späterer Zeit wohl, daß der straffe Moment einer bewegten Handlung der
malerischen Phantasie wenig Spielraum gebe und daß der entscheidende
geschichtliche Augenblick nur schwer sich fassen lasse.

Wie dem auch sein mag: das Zeitalter, das nur sich selber und das
republicanische Leben der Alten kannte und kennen wollte, fühlte, daß es in
David seinen Mann gefunden hatte, und so ungünstig im Grunde für die
Malerei die eine wie die andere Periode ist. für eine andere .Richtung, als
die Davids hatte man während der Revolution keinen Sinn, weder die Maler,
noch das Publicum. Die jungen Talente sammelten sich rasch um den be¬
rühmten Meister, es galt für eine Ehre und eine Empfehlung, sein Schüler
Zu sein. Er hatte deren bald eine bedeutende Zahl um sich; fast alle nam-
haften Künstler dieser und der nächstfolgenden Zeit sind aus seinem Atelier
hervorgegangen. Wohl hatten sich neben David I. B. Regnault (Haupt¬
werk: „Erziehung des Achilles) und F. A. Vincent (Hauptwerk: „der Prä¬
sident Mol6 unter den Aufständischen") durch die Geschicklichkeit ihrer Hand,
°>n gewisses Ansehen verschafft, aber es fehlte beiden an einer eigenthümli¬
chen ausgesprochenen Richtung, sie hatten nichts von dem Ernste und dem
reformatorischen Charakter, welcher die Bilder Davids von vornherein aus¬
zeichnete.

Was diesen zum Lehrer noch besonders befähigte, war die Leichtigkeit.
>nit der er sich in eine von der seinigen verschiedene Künstlernatur einlebte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/513>, abgerufen am 23.07.2024.