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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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tadelte David selber die römische Anschauung und die zu anatomische Form
in seinen Horatiern und im Brutus, sein Ideal wurde ausschließlich die grie¬
chische Kunst. Er fand den Reiz der körperlichen Form in den breiten großen
Flächen und ihren Uebergängen, die Würde der Komposition nicht mehr in
der theatralischen Bewegtheit, sondern in einer einfachen Beziehung der edel
in sich abgeschlossenen Gestalten. Diese Richtung Davids auf das Nackte und
die abgemessene Haltung ist auf die französische Kunst überhaupt von großem
Einfluß gewesen. Auch war ihm nun der bedeutungsvolle Moment nicht mehr
die Hauptsache, er suchte die mehr malerische Situation. Es ist bezeichnend,
daß er nicht den Raub der Sabinerinnen sich zum Vorwurf nahm, sondern
die Versöhnung der streitenden Romulus und Tatius durch Hersilia und die
ihre Kinder den Soldaten entgegenhaltenden Mütter. Vornehmlich sollte die
Erscheinung der schönen Gestalten wirken und hierzu war ein mäßig bewegter
Moment der günstigste. Freilich fand man schon damals trotz aller Bewun¬
derung den Romulus kalt und leblos, die zügellosen Pferde seltsam, die da-
zwischenspringende Hersilia in ihrer hastigen Bewegung reizlos und gespreizt.
Man fühlte doch heraus, daß David zum Theil seine griechischen Formen
antiken Vasengemälden verdankte.

Nach den Sabinerinnen (vollendet 1800) behandelte David Leonidas in
den Thermopylen in ähnlicher Weise. Er wählte auch hier den ruhigen Mo¬
ment, den der stillen Sammlung vor dem Kampfe. Noch mehr Sorgfalt
verwendete er auf die Bildung des nackten Körpers und auf eine ernste ein¬
fache Composition, welche jede Gestalt für sich zur Geltung brachte, nicht die
Figuren im dramatischen Sinne einander zubewegte. Daher die Darstellung
der Helden in gefaßter, ergebener Stimmung, in welcher keine leidenschaftliche
Bewegtheit die Bollendung der Erscheinung stört. Vollendet wurde das Bild
erst im Jahre 1812-, in der Zwischenzeit hatte, wie wir sehen werden, das
Kaiserthum, das der Verherrlichung durch die Kunst bedürfte, den Maler in
Anspruch genommen. Ist in den frühern Figuren des Bildes noch die ganze
Strenge der antikifirenden Form, so zeigt sich in den spätern vielmehr das
Studium des lebenden Modells; der nachsinnende Leonidas ist zuletzt entstan¬
den und nach einer alten Gemme gebildet. Das Ganze hat in dem ruhigen
Nebeneinander und der friedliche" Beschäftigung der schönen Gestalten fast den
Charakter des Idylls. Nichts verräth die Nähe des Kampfes, keine einheit¬
liche Verhandlung verbindet die Personen zu geschlossenen Gruppen, nur die
Freude an der malerischen und formenvollen Erscheinung, an der schwung'
haften Bewegung des beseelten Körpers scheint die Hand des Künstlers ge'
führt zu haben. David wollte zugleich in dieser Ruhe die beseligende, und
erhebende Empfindung der Vaterlandsliebe zum Ausdruck bringen; aber w
dieser Hinsicht ist die Erscheinung hinter der Idee des Malers zurückgeblieben.


tadelte David selber die römische Anschauung und die zu anatomische Form
in seinen Horatiern und im Brutus, sein Ideal wurde ausschließlich die grie¬
chische Kunst. Er fand den Reiz der körperlichen Form in den breiten großen
Flächen und ihren Uebergängen, die Würde der Komposition nicht mehr in
der theatralischen Bewegtheit, sondern in einer einfachen Beziehung der edel
in sich abgeschlossenen Gestalten. Diese Richtung Davids auf das Nackte und
die abgemessene Haltung ist auf die französische Kunst überhaupt von großem
Einfluß gewesen. Auch war ihm nun der bedeutungsvolle Moment nicht mehr
die Hauptsache, er suchte die mehr malerische Situation. Es ist bezeichnend,
daß er nicht den Raub der Sabinerinnen sich zum Vorwurf nahm, sondern
die Versöhnung der streitenden Romulus und Tatius durch Hersilia und die
ihre Kinder den Soldaten entgegenhaltenden Mütter. Vornehmlich sollte die
Erscheinung der schönen Gestalten wirken und hierzu war ein mäßig bewegter
Moment der günstigste. Freilich fand man schon damals trotz aller Bewun¬
derung den Romulus kalt und leblos, die zügellosen Pferde seltsam, die da-
zwischenspringende Hersilia in ihrer hastigen Bewegung reizlos und gespreizt.
Man fühlte doch heraus, daß David zum Theil seine griechischen Formen
antiken Vasengemälden verdankte.

Nach den Sabinerinnen (vollendet 1800) behandelte David Leonidas in
den Thermopylen in ähnlicher Weise. Er wählte auch hier den ruhigen Mo¬
ment, den der stillen Sammlung vor dem Kampfe. Noch mehr Sorgfalt
verwendete er auf die Bildung des nackten Körpers und auf eine ernste ein¬
fache Composition, welche jede Gestalt für sich zur Geltung brachte, nicht die
Figuren im dramatischen Sinne einander zubewegte. Daher die Darstellung
der Helden in gefaßter, ergebener Stimmung, in welcher keine leidenschaftliche
Bewegtheit die Bollendung der Erscheinung stört. Vollendet wurde das Bild
erst im Jahre 1812-, in der Zwischenzeit hatte, wie wir sehen werden, das
Kaiserthum, das der Verherrlichung durch die Kunst bedürfte, den Maler in
Anspruch genommen. Ist in den frühern Figuren des Bildes noch die ganze
Strenge der antikifirenden Form, so zeigt sich in den spätern vielmehr das
Studium des lebenden Modells; der nachsinnende Leonidas ist zuletzt entstan¬
den und nach einer alten Gemme gebildet. Das Ganze hat in dem ruhigen
Nebeneinander und der friedliche» Beschäftigung der schönen Gestalten fast den
Charakter des Idylls. Nichts verräth die Nähe des Kampfes, keine einheit¬
liche Verhandlung verbindet die Personen zu geschlossenen Gruppen, nur die
Freude an der malerischen und formenvollen Erscheinung, an der schwung'
haften Bewegung des beseelten Körpers scheint die Hand des Künstlers ge'
führt zu haben. David wollte zugleich in dieser Ruhe die beseligende, und
erhebende Empfindung der Vaterlandsliebe zum Ausdruck bringen; aber w
dieser Hinsicht ist die Erscheinung hinter der Idee des Malers zurückgeblieben.


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[0510] tadelte David selber die römische Anschauung und die zu anatomische Form in seinen Horatiern und im Brutus, sein Ideal wurde ausschließlich die grie¬ chische Kunst. Er fand den Reiz der körperlichen Form in den breiten großen Flächen und ihren Uebergängen, die Würde der Komposition nicht mehr in der theatralischen Bewegtheit, sondern in einer einfachen Beziehung der edel in sich abgeschlossenen Gestalten. Diese Richtung Davids auf das Nackte und die abgemessene Haltung ist auf die französische Kunst überhaupt von großem Einfluß gewesen. Auch war ihm nun der bedeutungsvolle Moment nicht mehr die Hauptsache, er suchte die mehr malerische Situation. Es ist bezeichnend, daß er nicht den Raub der Sabinerinnen sich zum Vorwurf nahm, sondern die Versöhnung der streitenden Romulus und Tatius durch Hersilia und die ihre Kinder den Soldaten entgegenhaltenden Mütter. Vornehmlich sollte die Erscheinung der schönen Gestalten wirken und hierzu war ein mäßig bewegter Moment der günstigste. Freilich fand man schon damals trotz aller Bewun¬ derung den Romulus kalt und leblos, die zügellosen Pferde seltsam, die da- zwischenspringende Hersilia in ihrer hastigen Bewegung reizlos und gespreizt. Man fühlte doch heraus, daß David zum Theil seine griechischen Formen antiken Vasengemälden verdankte. Nach den Sabinerinnen (vollendet 1800) behandelte David Leonidas in den Thermopylen in ähnlicher Weise. Er wählte auch hier den ruhigen Mo¬ ment, den der stillen Sammlung vor dem Kampfe. Noch mehr Sorgfalt verwendete er auf die Bildung des nackten Körpers und auf eine ernste ein¬ fache Composition, welche jede Gestalt für sich zur Geltung brachte, nicht die Figuren im dramatischen Sinne einander zubewegte. Daher die Darstellung der Helden in gefaßter, ergebener Stimmung, in welcher keine leidenschaftliche Bewegtheit die Bollendung der Erscheinung stört. Vollendet wurde das Bild erst im Jahre 1812-, in der Zwischenzeit hatte, wie wir sehen werden, das Kaiserthum, das der Verherrlichung durch die Kunst bedürfte, den Maler in Anspruch genommen. Ist in den frühern Figuren des Bildes noch die ganze Strenge der antikifirenden Form, so zeigt sich in den spätern vielmehr das Studium des lebenden Modells; der nachsinnende Leonidas ist zuletzt entstan¬ den und nach einer alten Gemme gebildet. Das Ganze hat in dem ruhigen Nebeneinander und der friedliche» Beschäftigung der schönen Gestalten fast den Charakter des Idylls. Nichts verräth die Nähe des Kampfes, keine einheit¬ liche Verhandlung verbindet die Personen zu geschlossenen Gruppen, nur die Freude an der malerischen und formenvollen Erscheinung, an der schwung' haften Bewegung des beseelten Körpers scheint die Hand des Künstlers ge' führt zu haben. David wollte zugleich in dieser Ruhe die beseligende, und erhebende Empfindung der Vaterlandsliebe zum Ausdruck bringen; aber w dieser Hinsicht ist die Erscheinung hinter der Idee des Malers zurückgeblieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/510>, abgerufen am 23.07.2024.