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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Rococo mit den strengen, geraden Forme" der Alten vertauschten. Aber die
Umwandlung sollte noch gründlicher werden. Talma war zuerst auf den Ge¬
danken gekommen, die alten Rollen im antiken Costüm zu geben; er zog da¬
bei David zu Rathe. Von der Bühne ging diese Neuerung ins Leben über.
Die Frauen suchten ihr Haar nach dem griechischen Muster zu ordnen und
gaben die falsche Scham der Reifröcke auf, um sich in einer der antiken übel
nachgebildeten Tracht, in der die Körperformen keck heraustraten, mit offener
Leichtfertigkeit zu brüsten. Das Directorium decretirte für die Vertreter des
Volkes eine Kleidung, die sich möglichst dem Schnitt der Alten nähern sollte,
und seine fünf Mitglieder erließen ihre Beschlüsse von curulischen Sitzen aus.
würdevoll in Togen gehüllt. Man sieht, wie hier Leben und Kunst in ein¬
ander übergehen und in dieser Verschmelzung die angeborene Neigung des
Franzosen zum Schauspiel ihren Spuk treibt. Selbst die öffentlichen Feste
wurden in der Weise des Alterthums angeordnet, und wieder war es David,
dem man die Leitung derselben vertraute.

Zu keiner Zeit wol war mitten in dem Drängen einer politischen Um¬
wälzung ein so lebhaftes Interesse für die gleichzeitige Kunst verbreitet. Wer
die Bilder Davids noch vor ihrer Ausstellung in seinem Atelier sehen durfte,
schätzte sich glücklich. Fast schien es, wie wenn die schöne Zeit wiederkehren
sollte, in der die Griechen es für ein Unglück hielten, den Zeus des Phidias
nicht gesehen zu haben. Die Frauen rechneten es sich zur Ehre an. ihre Ge¬
sichtszüge zu den Sabinerinnen herzugeben, und man verargte es den Mäd¬
chen von Athen nicht, daß sie dem Maler Apelles sogar mit ihrem Körper
Modell gesessen, ja man war nicht weit davon, dieses schöne Beispiel eines
künstlerischen Sinnes nachahmenswerth zu finden. --

Die Laufbahn Davids war keine leichte gewesen. Er hatte viermal um
den Preis gerungen, der ihm den Weg nach Rom öffnen sollte; erst der fünfte
Versuch gelang, nachdem er fast schon verzweifelt war. In der Zeit, da er
sich in Italien aufhielt (1775 -- 1779), wirkte der Einfluß Winkelmanns noch
lebendig fort, und besonders machte man die Denkmäler der römischen Kunst
zum Gegenstand eines eifrigen Studiums; die pompejanischen Wandbilder
erregten das lebhafteste Interesse. Nun erst ging David allmälig eine neue
Welt der Anschauung auf. Er brauchte lange, bis er sich von der herge-
brachten akademischen Weise ganz befreite; erst im Jahre 1784 malte er seinen
Schwur der Horatier. Im Jahre 1787 folgte der Tod des Sokrates; 1788
das vom Grafen Artois bestellte Bild "Paris und Helena". 1789 der Brutus.
Die Wirkung dieser Bilder war epochemachend. Die vollendete Darstellung
der menschlichen Gestalt,, die Schönheit der Linien, der Ausdruck des großen
allgemeinen Pathos in den Horatiern und dem Brutus, ein Ausdruck, der
die Beschauer mit dem Hauch der anbrechenden, aufgeregten Zeit ergreifend


Rococo mit den strengen, geraden Forme» der Alten vertauschten. Aber die
Umwandlung sollte noch gründlicher werden. Talma war zuerst auf den Ge¬
danken gekommen, die alten Rollen im antiken Costüm zu geben; er zog da¬
bei David zu Rathe. Von der Bühne ging diese Neuerung ins Leben über.
Die Frauen suchten ihr Haar nach dem griechischen Muster zu ordnen und
gaben die falsche Scham der Reifröcke auf, um sich in einer der antiken übel
nachgebildeten Tracht, in der die Körperformen keck heraustraten, mit offener
Leichtfertigkeit zu brüsten. Das Directorium decretirte für die Vertreter des
Volkes eine Kleidung, die sich möglichst dem Schnitt der Alten nähern sollte,
und seine fünf Mitglieder erließen ihre Beschlüsse von curulischen Sitzen aus.
würdevoll in Togen gehüllt. Man sieht, wie hier Leben und Kunst in ein¬
ander übergehen und in dieser Verschmelzung die angeborene Neigung des
Franzosen zum Schauspiel ihren Spuk treibt. Selbst die öffentlichen Feste
wurden in der Weise des Alterthums angeordnet, und wieder war es David,
dem man die Leitung derselben vertraute.

Zu keiner Zeit wol war mitten in dem Drängen einer politischen Um¬
wälzung ein so lebhaftes Interesse für die gleichzeitige Kunst verbreitet. Wer
die Bilder Davids noch vor ihrer Ausstellung in seinem Atelier sehen durfte,
schätzte sich glücklich. Fast schien es, wie wenn die schöne Zeit wiederkehren
sollte, in der die Griechen es für ein Unglück hielten, den Zeus des Phidias
nicht gesehen zu haben. Die Frauen rechneten es sich zur Ehre an. ihre Ge¬
sichtszüge zu den Sabinerinnen herzugeben, und man verargte es den Mäd¬
chen von Athen nicht, daß sie dem Maler Apelles sogar mit ihrem Körper
Modell gesessen, ja man war nicht weit davon, dieses schöne Beispiel eines
künstlerischen Sinnes nachahmenswerth zu finden. —

Die Laufbahn Davids war keine leichte gewesen. Er hatte viermal um
den Preis gerungen, der ihm den Weg nach Rom öffnen sollte; erst der fünfte
Versuch gelang, nachdem er fast schon verzweifelt war. In der Zeit, da er
sich in Italien aufhielt (1775 — 1779), wirkte der Einfluß Winkelmanns noch
lebendig fort, und besonders machte man die Denkmäler der römischen Kunst
zum Gegenstand eines eifrigen Studiums; die pompejanischen Wandbilder
erregten das lebhafteste Interesse. Nun erst ging David allmälig eine neue
Welt der Anschauung auf. Er brauchte lange, bis er sich von der herge-
brachten akademischen Weise ganz befreite; erst im Jahre 1784 malte er seinen
Schwur der Horatier. Im Jahre 1787 folgte der Tod des Sokrates; 1788
das vom Grafen Artois bestellte Bild „Paris und Helena". 1789 der Brutus.
Die Wirkung dieser Bilder war epochemachend. Die vollendete Darstellung
der menschlichen Gestalt,, die Schönheit der Linien, der Ausdruck des großen
allgemeinen Pathos in den Horatiern und dem Brutus, ein Ausdruck, der
die Beschauer mit dem Hauch der anbrechenden, aufgeregten Zeit ergreifend


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[0508] Rococo mit den strengen, geraden Forme» der Alten vertauschten. Aber die Umwandlung sollte noch gründlicher werden. Talma war zuerst auf den Ge¬ danken gekommen, die alten Rollen im antiken Costüm zu geben; er zog da¬ bei David zu Rathe. Von der Bühne ging diese Neuerung ins Leben über. Die Frauen suchten ihr Haar nach dem griechischen Muster zu ordnen und gaben die falsche Scham der Reifröcke auf, um sich in einer der antiken übel nachgebildeten Tracht, in der die Körperformen keck heraustraten, mit offener Leichtfertigkeit zu brüsten. Das Directorium decretirte für die Vertreter des Volkes eine Kleidung, die sich möglichst dem Schnitt der Alten nähern sollte, und seine fünf Mitglieder erließen ihre Beschlüsse von curulischen Sitzen aus. würdevoll in Togen gehüllt. Man sieht, wie hier Leben und Kunst in ein¬ ander übergehen und in dieser Verschmelzung die angeborene Neigung des Franzosen zum Schauspiel ihren Spuk treibt. Selbst die öffentlichen Feste wurden in der Weise des Alterthums angeordnet, und wieder war es David, dem man die Leitung derselben vertraute. Zu keiner Zeit wol war mitten in dem Drängen einer politischen Um¬ wälzung ein so lebhaftes Interesse für die gleichzeitige Kunst verbreitet. Wer die Bilder Davids noch vor ihrer Ausstellung in seinem Atelier sehen durfte, schätzte sich glücklich. Fast schien es, wie wenn die schöne Zeit wiederkehren sollte, in der die Griechen es für ein Unglück hielten, den Zeus des Phidias nicht gesehen zu haben. Die Frauen rechneten es sich zur Ehre an. ihre Ge¬ sichtszüge zu den Sabinerinnen herzugeben, und man verargte es den Mäd¬ chen von Athen nicht, daß sie dem Maler Apelles sogar mit ihrem Körper Modell gesessen, ja man war nicht weit davon, dieses schöne Beispiel eines künstlerischen Sinnes nachahmenswerth zu finden. — Die Laufbahn Davids war keine leichte gewesen. Er hatte viermal um den Preis gerungen, der ihm den Weg nach Rom öffnen sollte; erst der fünfte Versuch gelang, nachdem er fast schon verzweifelt war. In der Zeit, da er sich in Italien aufhielt (1775 — 1779), wirkte der Einfluß Winkelmanns noch lebendig fort, und besonders machte man die Denkmäler der römischen Kunst zum Gegenstand eines eifrigen Studiums; die pompejanischen Wandbilder erregten das lebhafteste Interesse. Nun erst ging David allmälig eine neue Welt der Anschauung auf. Er brauchte lange, bis er sich von der herge- brachten akademischen Weise ganz befreite; erst im Jahre 1784 malte er seinen Schwur der Horatier. Im Jahre 1787 folgte der Tod des Sokrates; 1788 das vom Grafen Artois bestellte Bild „Paris und Helena". 1789 der Brutus. Die Wirkung dieser Bilder war epochemachend. Die vollendete Darstellung der menschlichen Gestalt,, die Schönheit der Linien, der Ausdruck des großen allgemeinen Pathos in den Horatiern und dem Brutus, ein Ausdruck, der die Beschauer mit dem Hauch der anbrechenden, aufgeregten Zeit ergreifend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/508>, abgerufen am 23.07.2024.