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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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dem Gesetze der Schönheit geleitet, den Menschen über die gemeine Alltäg¬
lichkeit erhebt.

An diesem Punkte griffen Jacques Louis David (1748--1825) und
seine Schule epochemachend in die Geschichte der Kunst ein: sie machten der
Mamerirtheit und Verwilderung des achtzehnten Jahrhunderts auf dem ganzen
Gebiete des Aesthetischen fast mit Einem Schlag ein Ende. Wie die Kunst der
modernen Zeit in ihrem reformatorischen Aufschwung überhaupt dazu kam,
sich entschieden zur Antike zurückzuwenden und deren Form und Stoffe mit
strengem, nur an'ihr festhaltenden Geiste sich anzueignen, ist schon oben im
vierten Kapitel bemerkt. In Frankreich schloß sich diese Richtung allerdings
an die Ausläufer des Classicismus von Poussin an, die sich auch in de^
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, wie wir gesehen, ihre Motive noch
immer aus der alten Welt holten; man hat darnach in neuester Zeit die Be¬
deutung Davids beurtheilen, und ihn als reformirenden Begründer der neuen
französischen Kunst nicht mehr gelten lassen wollen. Hat man ihn früher über¬
schätzt, so wird er nun zu gering geachtet.

Es ist wahr, daß David in seinem Lehrer Jos-eph Marie Vier eine
Art Vorgänger hatte, der die classischen Stoffe in mehr einfacher und natur¬
wahrer Auffassung als bisher darzustellen versuchte: aber noch stand auch dieser
unter dem Einflüsse seiner Zeit und konnte daher eine durchschlagende Wir¬
kung nicht ausüben. David dagegen griff mit entschiedenem Willen und Be¬
wußtsein zu der Anschauungsweise der Alten zurück; nicht nur die Strenge
der Form, sondern auch die des sittlichen Inhaltes war ihm oberster Grund¬
satz der Kunst, sein Streben, bedeutungsvolle, von großen Interessen erfüllte
Vorgänge des Alterthums in durchaus ernster Schönheit und mit dem Pathos
dramatischer Bewegtheit zur Anschauung zu bringen. Der von einer großen
edlen Leidenschaft getriebene Mensch, in einem erhöhten Momente des Lebens,
befreit von den Schwächen und Zufällen des alltäglichen Daseins, in der
Vollendung der antiken Form und der schwungvollen Bewegung des Körpers
war das Object feiner Kunst, dessen wirkliches Vorbild nur im Alterthum zu
finden war. Diese strenge Ausfassung der classischen Welt nimmt einen ganz
andern Standpunkt ein, als die anmuthige, milde, selbst im Pathos noch ge¬
fällige Anschauung Poussins und als die willkürliche, zopfige, spielende, ver¬
schnörkelte BeHandlungsweise, mit der dessen Nachfolger die Antike ihrer Zeit
wundgerecht machten.

Wie der Umschwung der Malerei mit dem politischen Umsturz der Dinge
Hand in Hand ging, ist schon oft bemerkt. Auch in diesen inneren Zusammen¬
bang hat man Zweifel setzen wollen, weil die ersten Regungen der neuen
Kunst in die letzten Regierungsjahre Ludwigs des Sechzehnten zurückgehen. Aber
Kenn auch dem Maler das Motiv: "die Heimkehr des Brutus in sein Haus


dem Gesetze der Schönheit geleitet, den Menschen über die gemeine Alltäg¬
lichkeit erhebt.

An diesem Punkte griffen Jacques Louis David (1748—1825) und
seine Schule epochemachend in die Geschichte der Kunst ein: sie machten der
Mamerirtheit und Verwilderung des achtzehnten Jahrhunderts auf dem ganzen
Gebiete des Aesthetischen fast mit Einem Schlag ein Ende. Wie die Kunst der
modernen Zeit in ihrem reformatorischen Aufschwung überhaupt dazu kam,
sich entschieden zur Antike zurückzuwenden und deren Form und Stoffe mit
strengem, nur an'ihr festhaltenden Geiste sich anzueignen, ist schon oben im
vierten Kapitel bemerkt. In Frankreich schloß sich diese Richtung allerdings
an die Ausläufer des Classicismus von Poussin an, die sich auch in de^
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, wie wir gesehen, ihre Motive noch
immer aus der alten Welt holten; man hat darnach in neuester Zeit die Be¬
deutung Davids beurtheilen, und ihn als reformirenden Begründer der neuen
französischen Kunst nicht mehr gelten lassen wollen. Hat man ihn früher über¬
schätzt, so wird er nun zu gering geachtet.

Es ist wahr, daß David in seinem Lehrer Jos-eph Marie Vier eine
Art Vorgänger hatte, der die classischen Stoffe in mehr einfacher und natur¬
wahrer Auffassung als bisher darzustellen versuchte: aber noch stand auch dieser
unter dem Einflüsse seiner Zeit und konnte daher eine durchschlagende Wir¬
kung nicht ausüben. David dagegen griff mit entschiedenem Willen und Be¬
wußtsein zu der Anschauungsweise der Alten zurück; nicht nur die Strenge
der Form, sondern auch die des sittlichen Inhaltes war ihm oberster Grund¬
satz der Kunst, sein Streben, bedeutungsvolle, von großen Interessen erfüllte
Vorgänge des Alterthums in durchaus ernster Schönheit und mit dem Pathos
dramatischer Bewegtheit zur Anschauung zu bringen. Der von einer großen
edlen Leidenschaft getriebene Mensch, in einem erhöhten Momente des Lebens,
befreit von den Schwächen und Zufällen des alltäglichen Daseins, in der
Vollendung der antiken Form und der schwungvollen Bewegung des Körpers
war das Object feiner Kunst, dessen wirkliches Vorbild nur im Alterthum zu
finden war. Diese strenge Ausfassung der classischen Welt nimmt einen ganz
andern Standpunkt ein, als die anmuthige, milde, selbst im Pathos noch ge¬
fällige Anschauung Poussins und als die willkürliche, zopfige, spielende, ver¬
schnörkelte BeHandlungsweise, mit der dessen Nachfolger die Antike ihrer Zeit
wundgerecht machten.

Wie der Umschwung der Malerei mit dem politischen Umsturz der Dinge
Hand in Hand ging, ist schon oft bemerkt. Auch in diesen inneren Zusammen¬
bang hat man Zweifel setzen wollen, weil die ersten Regungen der neuen
Kunst in die letzten Regierungsjahre Ludwigs des Sechzehnten zurückgehen. Aber
Kenn auch dem Maler das Motiv: „die Heimkehr des Brutus in sein Haus


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[0505] dem Gesetze der Schönheit geleitet, den Menschen über die gemeine Alltäg¬ lichkeit erhebt. An diesem Punkte griffen Jacques Louis David (1748—1825) und seine Schule epochemachend in die Geschichte der Kunst ein: sie machten der Mamerirtheit und Verwilderung des achtzehnten Jahrhunderts auf dem ganzen Gebiete des Aesthetischen fast mit Einem Schlag ein Ende. Wie die Kunst der modernen Zeit in ihrem reformatorischen Aufschwung überhaupt dazu kam, sich entschieden zur Antike zurückzuwenden und deren Form und Stoffe mit strengem, nur an'ihr festhaltenden Geiste sich anzueignen, ist schon oben im vierten Kapitel bemerkt. In Frankreich schloß sich diese Richtung allerdings an die Ausläufer des Classicismus von Poussin an, die sich auch in de^ zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, wie wir gesehen, ihre Motive noch immer aus der alten Welt holten; man hat darnach in neuester Zeit die Be¬ deutung Davids beurtheilen, und ihn als reformirenden Begründer der neuen französischen Kunst nicht mehr gelten lassen wollen. Hat man ihn früher über¬ schätzt, so wird er nun zu gering geachtet. Es ist wahr, daß David in seinem Lehrer Jos-eph Marie Vier eine Art Vorgänger hatte, der die classischen Stoffe in mehr einfacher und natur¬ wahrer Auffassung als bisher darzustellen versuchte: aber noch stand auch dieser unter dem Einflüsse seiner Zeit und konnte daher eine durchschlagende Wir¬ kung nicht ausüben. David dagegen griff mit entschiedenem Willen und Be¬ wußtsein zu der Anschauungsweise der Alten zurück; nicht nur die Strenge der Form, sondern auch die des sittlichen Inhaltes war ihm oberster Grund¬ satz der Kunst, sein Streben, bedeutungsvolle, von großen Interessen erfüllte Vorgänge des Alterthums in durchaus ernster Schönheit und mit dem Pathos dramatischer Bewegtheit zur Anschauung zu bringen. Der von einer großen edlen Leidenschaft getriebene Mensch, in einem erhöhten Momente des Lebens, befreit von den Schwächen und Zufällen des alltäglichen Daseins, in der Vollendung der antiken Form und der schwungvollen Bewegung des Körpers war das Object feiner Kunst, dessen wirkliches Vorbild nur im Alterthum zu finden war. Diese strenge Ausfassung der classischen Welt nimmt einen ganz andern Standpunkt ein, als die anmuthige, milde, selbst im Pathos noch ge¬ fällige Anschauung Poussins und als die willkürliche, zopfige, spielende, ver¬ schnörkelte BeHandlungsweise, mit der dessen Nachfolger die Antike ihrer Zeit wundgerecht machten. Wie der Umschwung der Malerei mit dem politischen Umsturz der Dinge Hand in Hand ging, ist schon oft bemerkt. Auch in diesen inneren Zusammen¬ bang hat man Zweifel setzen wollen, weil die ersten Regungen der neuen Kunst in die letzten Regierungsjahre Ludwigs des Sechzehnten zurückgehen. Aber Kenn auch dem Maler das Motiv: „die Heimkehr des Brutus in sein Haus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/505>, abgerufen am 23.12.2024.