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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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geweidet war. das zeigt sich am Besten in der Ueberfülle von Allegorien. An
den öffentlichen und Privatwänden prangten die halb nackten mit einer üppigen
Körperfülle und einem leeren Lächeln kokettirenden Gestalten, die alle mög¬
lichen Begriffe vorstellen wollten, und in der That nichts vorstellten, als ein
hohles und räthselhaftes Spiel mit halbwegs menschlichen Formen.

Kein Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts hat uns lebhafter den
Zustand der damaligen Kunst vergegenwärtigt, als Diderot in seinen ver¬
schiedenen Salons. Wenn er, ein Enthusiast von Natur aus und in der An¬
schauung seines Zeitalters befangen, an der noch innrer malerischen, wenn
auch ausschweifenden Phantasie seine Freude hat, so sind ihm doch andrerseits
der Verfall und die Entartung vollkommen bewußt. Er macht darüber ebenso
seine als treffende Bemerkungen. Er tadelt ebensosehr den Mangel der ein¬
fachen Auffassung des wirklichen Lebens, als den jeder idealen Erhebung, er
sieht den unheilvollen Einfluß der Sitten auf die Kunst. "Die Maler werfen
sich auf die Mythologie, sagt er einmal: sie verlieren den Sinn für die natür¬
lichen Ereignisse des Lebens; ihr Pinsel bringt nur noch Scenen hervor, die
unzüchtig, verrückt, ausschweifend, ideal (im üblen Sinne) oder wenigstens
jedes tieferen Interesses baar sind." Und an einer anderen Stelle: "Es ist
in fast allen unsern Bildern eine Schwäche der Auffassung, eine Armuth an
Ideen und innerem Gehalt, die eine mächtige Erregung, eine tiefe Empfin¬
dung gradezu unmöglich machen. Die Menschen sind ohne Einbildungskraft,
ohne Schwung und Begeisterung, sie können keine große und mächtige Idee
fassen." Endlich bei Gelegenheit Bouchers über die Entartung des Lebens
und der Kunst: "Der Verfall des Geschmacks, der Farbe, der Komposition,
der Charaktere, des Ausdrucks, der Zeichnung ist der Verwilderung der Sitten
Schritt auf Schritt gefolgt. Die Grazie dieser Maler ist den Ballettänzerinnen
entlehnt und selbst ihre nackten Gestalten sind Marionetten mit Schminke,
Flitter und Schönheitspflästerchen." Und oft klagt Diderot darüber, daß es
der Kunst an jedem Ausdruck der tieferen Empfindung, daß es ihr an dem
Hauch der Seele fehle. Sie war zur Dienerin des Luxus geworden, und in¬
dem sie sich mit diesem verbreitete, verflacht und heruntergekommen. Diderot
schiebt einmal seinem Kunstbcrichte eine Satyre ein über die verderbliche Ein¬
wirkung der Gesittung auf das ästhetische Leben überhaupt, und bemerkt hier
"In einer solchen Zeit gibt es hundert Staffeleigemälde für eine große Coni-
position, tausend Porträts für ein historisches Bild, in ihr schießen die mittel¬
mäßigen Künstler wie Pilze auf und überschwemmen die Nation." Darin spricht
sich nicht nur die Entartung der Kunst aus, sondern auch das ästhetische
Bedürfniß des neuerwachenden französischen Geistes: das Streben der heran-
drechendcn, von einer neuen Anschauung bewegten Zeit war auf eine ernste
große Kunst gerichtet, die von einem mächtigen Leben und Inhalt erfüllt und


geweidet war. das zeigt sich am Besten in der Ueberfülle von Allegorien. An
den öffentlichen und Privatwänden prangten die halb nackten mit einer üppigen
Körperfülle und einem leeren Lächeln kokettirenden Gestalten, die alle mög¬
lichen Begriffe vorstellen wollten, und in der That nichts vorstellten, als ein
hohles und räthselhaftes Spiel mit halbwegs menschlichen Formen.

Kein Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts hat uns lebhafter den
Zustand der damaligen Kunst vergegenwärtigt, als Diderot in seinen ver¬
schiedenen Salons. Wenn er, ein Enthusiast von Natur aus und in der An¬
schauung seines Zeitalters befangen, an der noch innrer malerischen, wenn
auch ausschweifenden Phantasie seine Freude hat, so sind ihm doch andrerseits
der Verfall und die Entartung vollkommen bewußt. Er macht darüber ebenso
seine als treffende Bemerkungen. Er tadelt ebensosehr den Mangel der ein¬
fachen Auffassung des wirklichen Lebens, als den jeder idealen Erhebung, er
sieht den unheilvollen Einfluß der Sitten auf die Kunst. „Die Maler werfen
sich auf die Mythologie, sagt er einmal: sie verlieren den Sinn für die natür¬
lichen Ereignisse des Lebens; ihr Pinsel bringt nur noch Scenen hervor, die
unzüchtig, verrückt, ausschweifend, ideal (im üblen Sinne) oder wenigstens
jedes tieferen Interesses baar sind." Und an einer anderen Stelle: „Es ist
in fast allen unsern Bildern eine Schwäche der Auffassung, eine Armuth an
Ideen und innerem Gehalt, die eine mächtige Erregung, eine tiefe Empfin¬
dung gradezu unmöglich machen. Die Menschen sind ohne Einbildungskraft,
ohne Schwung und Begeisterung, sie können keine große und mächtige Idee
fassen." Endlich bei Gelegenheit Bouchers über die Entartung des Lebens
und der Kunst: „Der Verfall des Geschmacks, der Farbe, der Komposition,
der Charaktere, des Ausdrucks, der Zeichnung ist der Verwilderung der Sitten
Schritt auf Schritt gefolgt. Die Grazie dieser Maler ist den Ballettänzerinnen
entlehnt und selbst ihre nackten Gestalten sind Marionetten mit Schminke,
Flitter und Schönheitspflästerchen." Und oft klagt Diderot darüber, daß es
der Kunst an jedem Ausdruck der tieferen Empfindung, daß es ihr an dem
Hauch der Seele fehle. Sie war zur Dienerin des Luxus geworden, und in¬
dem sie sich mit diesem verbreitete, verflacht und heruntergekommen. Diderot
schiebt einmal seinem Kunstbcrichte eine Satyre ein über die verderbliche Ein¬
wirkung der Gesittung auf das ästhetische Leben überhaupt, und bemerkt hier
„In einer solchen Zeit gibt es hundert Staffeleigemälde für eine große Coni-
position, tausend Porträts für ein historisches Bild, in ihr schießen die mittel¬
mäßigen Künstler wie Pilze auf und überschwemmen die Nation." Darin spricht
sich nicht nur die Entartung der Kunst aus, sondern auch das ästhetische
Bedürfniß des neuerwachenden französischen Geistes: das Streben der heran-
drechendcn, von einer neuen Anschauung bewegten Zeit war auf eine ernste
große Kunst gerichtet, die von einem mächtigen Leben und Inhalt erfüllt und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/504>, abgerufen am 22.07.2024.