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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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ein passender Abschnitt finden, wo er einen neuen Band anfangen kann.
Freilich würde dazu wieder ein Register, oder was noch viel besser wäre, eine
detaillirte Jnhaltsanzeige nothwendig, Denn auch nach dem Register des
zweiten Bandes sich zu orientiren, ist schwer: man sehe z. B. nur den Artikel
Goethe.

Diesmal will ich nur einen bestimmten Punkt hervorheben. Koberstein
citirt aus zum Theil wenig bekannten Journalen eine Reihe interessanter Stel¬
len, aus denen sich die Doctrin der Romantiker entnehmen läßt; er fügt zu¬
weilen ein Urtheil hinzu, billigend, einschränkend, tadelnd; aber er hat nicht
versucht diese Urtheile systematisch zusammen zu fassen, so daß Haupt- und
Nebcnpunkte deutlich hervortreten. So ist namentlich ein Punkt nicht ge¬
nügend beleuchtet, die bekannte Rede Schlegel's von dem poetischen Gebrauch
der Mythologie. Erfunden hat Schlegel diese Ideen nicht, wie er überhaupt
sehr wenig erfunden hat, aber er hat sie durch seine paradoxe Ausdrucks¬
weise dem Gedächtniß eingeprägt. Prüft man diese Ideen genauer, so er¬
gibt sich, daß sie noch viel entschiedener zu verwerfen sind, als bisher irgendwo
geschehn ist.

Sie enthalten nämlich dreierlei. 1) Der Hauptvorzug der alten Dicht¬
kunst bestund in der Mythologie, die sie vorfand; 2) wir haben keine, wir
müssen sie also theils durch Natursymbolik, worauf sie doch immer beruht,
theils durch Aufnahme fremder Mythen ersetzen; 3) das Sicherste ist, sich
wenigstens als Poet einer Religion anzuschließen, die eine Mythologie hat.
-- Nicht blos die beiden letztern Behauptungen sind falsch -- darüber ist
Alles einig, was überhaupt mitreden darf; sondern, ich denke, auch die erste.

Unter den alten Völkern, welche eine wirkliche Mythologie gehabt, konnte
Schlegel doch nur die Grieche" verstehn, da ihm die Inder damals noch nicht
bekannt waren, und da im alten Testament keine Mythologie vorkommt. Wie
die bildende Kunst bei den Griechen das mythologische Motiv benutzt, ist
eine ganz andere Frage; bei den Dichtern aber -- und hier stehn doch
wol immer Homer und die Tragiker im Vordergrund -- wird man schwer¬
lich behaupten können, daß der mythologische Schmuck die Hauptsache sei.
Müßte man sich z. B. bei Homer zu einer Wahl entschließen, entweder den
ganzen Olymp oder die Ebene am Skamander preiszugeben, so würde
die Wahl nur darum schwer sein, weil Zeus, Here und die andern Götter
und Göttinnen sich grade so geberden wie Achill und Odysseus. Scharf-
sinnige Ausleger haben in den homerischen Göttern Spuren^ einer tiefern
Natursymbolik oder auch eine übermenschliche Erhabenheit gefunden; ob von
jener überhaupt die Rede sein könne, mögen die Gelehrten ausmachen, poetisch
dargestellt ist nichts davon. Wenn beim Homer das Gerede von dem poeti¬
schen Werth einer Mythologie überhaupt einen Sinn haben soll, so kann es
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ein passender Abschnitt finden, wo er einen neuen Band anfangen kann.
Freilich würde dazu wieder ein Register, oder was noch viel besser wäre, eine
detaillirte Jnhaltsanzeige nothwendig, Denn auch nach dem Register des
zweiten Bandes sich zu orientiren, ist schwer: man sehe z. B. nur den Artikel
Goethe.

Diesmal will ich nur einen bestimmten Punkt hervorheben. Koberstein
citirt aus zum Theil wenig bekannten Journalen eine Reihe interessanter Stel¬
len, aus denen sich die Doctrin der Romantiker entnehmen läßt; er fügt zu¬
weilen ein Urtheil hinzu, billigend, einschränkend, tadelnd; aber er hat nicht
versucht diese Urtheile systematisch zusammen zu fassen, so daß Haupt- und
Nebcnpunkte deutlich hervortreten. So ist namentlich ein Punkt nicht ge¬
nügend beleuchtet, die bekannte Rede Schlegel's von dem poetischen Gebrauch
der Mythologie. Erfunden hat Schlegel diese Ideen nicht, wie er überhaupt
sehr wenig erfunden hat, aber er hat sie durch seine paradoxe Ausdrucks¬
weise dem Gedächtniß eingeprägt. Prüft man diese Ideen genauer, so er¬
gibt sich, daß sie noch viel entschiedener zu verwerfen sind, als bisher irgendwo
geschehn ist.

Sie enthalten nämlich dreierlei. 1) Der Hauptvorzug der alten Dicht¬
kunst bestund in der Mythologie, die sie vorfand; 2) wir haben keine, wir
müssen sie also theils durch Natursymbolik, worauf sie doch immer beruht,
theils durch Aufnahme fremder Mythen ersetzen; 3) das Sicherste ist, sich
wenigstens als Poet einer Religion anzuschließen, die eine Mythologie hat.
— Nicht blos die beiden letztern Behauptungen sind falsch — darüber ist
Alles einig, was überhaupt mitreden darf; sondern, ich denke, auch die erste.

Unter den alten Völkern, welche eine wirkliche Mythologie gehabt, konnte
Schlegel doch nur die Grieche» verstehn, da ihm die Inder damals noch nicht
bekannt waren, und da im alten Testament keine Mythologie vorkommt. Wie
die bildende Kunst bei den Griechen das mythologische Motiv benutzt, ist
eine ganz andere Frage; bei den Dichtern aber — und hier stehn doch
wol immer Homer und die Tragiker im Vordergrund — wird man schwer¬
lich behaupten können, daß der mythologische Schmuck die Hauptsache sei.
Müßte man sich z. B. bei Homer zu einer Wahl entschließen, entweder den
ganzen Olymp oder die Ebene am Skamander preiszugeben, so würde
die Wahl nur darum schwer sein, weil Zeus, Here und die andern Götter
und Göttinnen sich grade so geberden wie Achill und Odysseus. Scharf-
sinnige Ausleger haben in den homerischen Göttern Spuren^ einer tiefern
Natursymbolik oder auch eine übermenschliche Erhabenheit gefunden; ob von
jener überhaupt die Rede sein könne, mögen die Gelehrten ausmachen, poetisch
dargestellt ist nichts davon. Wenn beim Homer das Gerede von dem poeti¬
schen Werth einer Mythologie überhaupt einen Sinn haben soll, so kann es
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/485>, abgerufen am 22.07.2024.