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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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ist es doch erfreulich, in den Ackerstücken positive Bestätigungen. Ergänzungen
und Erweiterungen zu finden. Denn hier sind wir mitten im Heerlager der
streitenden Kirche, und so weit diese jungen Apostel überhaupt im Stande waren,
offen und unumwunden ihre Ueberzeugung auszusprechen (wozu bekanntlich
gehört, daß man eine hat), geschieht es hier. Aus der Art, wie Fr. Schlegel,
Schleiermacher u. s. w. an ihre Arbeiten gingen, wie sie dieselben, während
des Schaffens und nachher, beurtheilten, was sie sich davon für das Allge¬
meine und für sich selbst versprachen, gewinnt diese seltsame Periode der Lite¬
ratur eine viel bestimmtere Farbe, als sie bisher gehabt. Das Publicum hat
daher den Herausgebern aufrichtigen Dank zu sagen, daß sie ihm diese Mit¬
theilungen nicht länger vorenthielten.

Leider kann ich diesen Dank nicht unbedingt aussprechen. Die Heraus¬
geber haben sich veranlaßt gefunden, mehrere und darunter vielleicht die
wichtigsten Stellen zu unterdrücken und zwar nach einer Methode, die ich.
gelinde gesagt, nicht verstehe. Herr Dilthey sagt in der Vorrede: er habe
Alles unverkürzt mittheilen wollen "natürlich mit Auslassung des Persönlich-
Vertraulichen, rein private Verhältnisse Berührenden"; und er versichert an
diesem Grnndscch auf's Strengste festgehalten zu haben. -- Hütte er das
wirklich gethan, so hätte er nur das ganze Buch ungedruckt lassen können;
denn das Charakteristische dieser Periode liegt grade darin, daß das rein Per¬
sönliche, das Private in einer bis dahin unerhörten Ausdehnung Gegenstand
der Literatur wird. Natürlich überwiegt auch in dem Mitgetheilten das
Persönliche sehr bedeutend: denn was Schleiermacher über die Echtheit dieses
oder jenes platonischen Dialogs gemeint hat, das hat er bereits in seinen
gedruckten Werken gesagt.

Herr Dilthey meint auch wol nur eine bestimmte Art von rein persön¬
lichen Verhältnissen, die Beziehungen zwischen Mann und Weib. So hat er
z. B. die ausführlichen Briefe weggelassen, in welchen sich Fr. Schlegel und
Dorothea von Jena aus über ihr Verhältniß zu A. W. und Karoline zu
rechtfertigen suchen. Freilich hat er wieder Einiges von diesen Verhältnissen
mitgetheilt, z. B. den sehr ehrenwerthen Grund, warum Dorothea Anstand
nahm sich taufen zu lassen, warum sie also ihren Geliebten nicht heirathen
konnte.

Um Alles in der Welt wollen wir nicht, daß die Literaturgeschichte durch
neue Klatschereien vermehrt werde; am Allerwenigsten aber würden wir von
der Familie Verstorbener erwarten, daß sie irgend etwas veröffentliche, was
einen Makel auf das Andenken derselben werfen könnte.

Aber das ist hier gar nicht der Fall: im Gegentheil versichert Herr
Dilthey und, wie ich überzeugt bin, mit voller Wahrheit: "in diesen vertrau¬
lichsten Mittheilungen (d. h. in den weggelassenen) erscheint Fr. Schlegel


ist es doch erfreulich, in den Ackerstücken positive Bestätigungen. Ergänzungen
und Erweiterungen zu finden. Denn hier sind wir mitten im Heerlager der
streitenden Kirche, und so weit diese jungen Apostel überhaupt im Stande waren,
offen und unumwunden ihre Ueberzeugung auszusprechen (wozu bekanntlich
gehört, daß man eine hat), geschieht es hier. Aus der Art, wie Fr. Schlegel,
Schleiermacher u. s. w. an ihre Arbeiten gingen, wie sie dieselben, während
des Schaffens und nachher, beurtheilten, was sie sich davon für das Allge¬
meine und für sich selbst versprachen, gewinnt diese seltsame Periode der Lite¬
ratur eine viel bestimmtere Farbe, als sie bisher gehabt. Das Publicum hat
daher den Herausgebern aufrichtigen Dank zu sagen, daß sie ihm diese Mit¬
theilungen nicht länger vorenthielten.

Leider kann ich diesen Dank nicht unbedingt aussprechen. Die Heraus¬
geber haben sich veranlaßt gefunden, mehrere und darunter vielleicht die
wichtigsten Stellen zu unterdrücken und zwar nach einer Methode, die ich.
gelinde gesagt, nicht verstehe. Herr Dilthey sagt in der Vorrede: er habe
Alles unverkürzt mittheilen wollen „natürlich mit Auslassung des Persönlich-
Vertraulichen, rein private Verhältnisse Berührenden"; und er versichert an
diesem Grnndscch auf's Strengste festgehalten zu haben. — Hütte er das
wirklich gethan, so hätte er nur das ganze Buch ungedruckt lassen können;
denn das Charakteristische dieser Periode liegt grade darin, daß das rein Per¬
sönliche, das Private in einer bis dahin unerhörten Ausdehnung Gegenstand
der Literatur wird. Natürlich überwiegt auch in dem Mitgetheilten das
Persönliche sehr bedeutend: denn was Schleiermacher über die Echtheit dieses
oder jenes platonischen Dialogs gemeint hat, das hat er bereits in seinen
gedruckten Werken gesagt.

Herr Dilthey meint auch wol nur eine bestimmte Art von rein persön¬
lichen Verhältnissen, die Beziehungen zwischen Mann und Weib. So hat er
z. B. die ausführlichen Briefe weggelassen, in welchen sich Fr. Schlegel und
Dorothea von Jena aus über ihr Verhältniß zu A. W. und Karoline zu
rechtfertigen suchen. Freilich hat er wieder Einiges von diesen Verhältnissen
mitgetheilt, z. B. den sehr ehrenwerthen Grund, warum Dorothea Anstand
nahm sich taufen zu lassen, warum sie also ihren Geliebten nicht heirathen
konnte.

Um Alles in der Welt wollen wir nicht, daß die Literaturgeschichte durch
neue Klatschereien vermehrt werde; am Allerwenigsten aber würden wir von
der Familie Verstorbener erwarten, daß sie irgend etwas veröffentliche, was
einen Makel auf das Andenken derselben werfen könnte.

Aber das ist hier gar nicht der Fall: im Gegentheil versichert Herr
Dilthey und, wie ich überzeugt bin, mit voller Wahrheit: „in diesen vertrau¬
lichsten Mittheilungen (d. h. in den weggelassenen) erscheint Fr. Schlegel


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[0481] ist es doch erfreulich, in den Ackerstücken positive Bestätigungen. Ergänzungen und Erweiterungen zu finden. Denn hier sind wir mitten im Heerlager der streitenden Kirche, und so weit diese jungen Apostel überhaupt im Stande waren, offen und unumwunden ihre Ueberzeugung auszusprechen (wozu bekanntlich gehört, daß man eine hat), geschieht es hier. Aus der Art, wie Fr. Schlegel, Schleiermacher u. s. w. an ihre Arbeiten gingen, wie sie dieselben, während des Schaffens und nachher, beurtheilten, was sie sich davon für das Allge¬ meine und für sich selbst versprachen, gewinnt diese seltsame Periode der Lite¬ ratur eine viel bestimmtere Farbe, als sie bisher gehabt. Das Publicum hat daher den Herausgebern aufrichtigen Dank zu sagen, daß sie ihm diese Mit¬ theilungen nicht länger vorenthielten. Leider kann ich diesen Dank nicht unbedingt aussprechen. Die Heraus¬ geber haben sich veranlaßt gefunden, mehrere und darunter vielleicht die wichtigsten Stellen zu unterdrücken und zwar nach einer Methode, die ich. gelinde gesagt, nicht verstehe. Herr Dilthey sagt in der Vorrede: er habe Alles unverkürzt mittheilen wollen „natürlich mit Auslassung des Persönlich- Vertraulichen, rein private Verhältnisse Berührenden"; und er versichert an diesem Grnndscch auf's Strengste festgehalten zu haben. — Hütte er das wirklich gethan, so hätte er nur das ganze Buch ungedruckt lassen können; denn das Charakteristische dieser Periode liegt grade darin, daß das rein Per¬ sönliche, das Private in einer bis dahin unerhörten Ausdehnung Gegenstand der Literatur wird. Natürlich überwiegt auch in dem Mitgetheilten das Persönliche sehr bedeutend: denn was Schleiermacher über die Echtheit dieses oder jenes platonischen Dialogs gemeint hat, das hat er bereits in seinen gedruckten Werken gesagt. Herr Dilthey meint auch wol nur eine bestimmte Art von rein persön¬ lichen Verhältnissen, die Beziehungen zwischen Mann und Weib. So hat er z. B. die ausführlichen Briefe weggelassen, in welchen sich Fr. Schlegel und Dorothea von Jena aus über ihr Verhältniß zu A. W. und Karoline zu rechtfertigen suchen. Freilich hat er wieder Einiges von diesen Verhältnissen mitgetheilt, z. B. den sehr ehrenwerthen Grund, warum Dorothea Anstand nahm sich taufen zu lassen, warum sie also ihren Geliebten nicht heirathen konnte. Um Alles in der Welt wollen wir nicht, daß die Literaturgeschichte durch neue Klatschereien vermehrt werde; am Allerwenigsten aber würden wir von der Familie Verstorbener erwarten, daß sie irgend etwas veröffentliche, was einen Makel auf das Andenken derselben werfen könnte. Aber das ist hier gar nicht der Fall: im Gegentheil versichert Herr Dilthey und, wie ich überzeugt bin, mit voller Wahrheit: „in diesen vertrau¬ lichsten Mittheilungen (d. h. in den weggelassenen) erscheint Fr. Schlegel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/481>, abgerufen am 23.12.2024.