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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Briefe über einige neue Erscheinungen der Literatur.
m

Sie kennen, Herr Redakteur, die Arbeit, welche mich seit längerer Zeit
abgehalten hat und auch wol noch einige Zeit abhalten wird, in gewohnter
Weise die neuen Erscheinungen der deutschen Literatur in den Grenzboten zu
besprechen. Wenn man tief im 17. und 13. Jahrhundert steckt, ist es nicht
leicht, der Literatur des 19, diejenige Aufmerksamkeit zuzuwenden, die erfor¬
derlich ist, um ein kritisches Wort mit hinein zu reden. Erlauben Sie, daß
ich diese Gelegenheit benutze, mich deshalb sowol bei dem Publicum der
Grenzboten, als bei den Schriftstellern, die eine Anzeige ihrer Werke erwarten,
zu entschuldigen und das Versprechen abzulegen, daß ich bis zu Ende dieses Jah¬
res oder zu Anfang des nächsten das Versäumte nachholen will.

Auch heute ist es nicht die productive Literatur, die mich beschäftigt
sondern die Literatur in zweiter Hand, die Literaturgeschichte: theils neu her¬
ausgegebene Documente, theils neue Bearbeitungen.

Der lange erwartete dritte Band von Schleiermachers Briefen*)
ist erschienen. Er ist für die Freunde der poetischen Literatur vielleicht der in¬
teressanteste, da er diejenige Periode der Romantik behandelt, die am Ent¬
schiedensten in unsere Entwicklung eingriff und von deren geheimer Geschichte
doch noch sehr wenig bekannt war. Zwar sind die Journale der Schule oft
persönlicher Natur, und geben mehr als billig einen Blick in das innere sub>
jective Leben; auch war Manches durch den Briefwechsel zwischen Goethe,
Schiller und Körner aufgehellt. Aber wie es hinter den Coulissen zuging
d. h. wie diese revolutionären Dichter und Kritiker, wenn sie unter sich waren,
ihre Stellung zum Publicum und zu ihren literarischen Gegnern auffaßten,
davon wußten wir sehr wenig. Auch die Mittheilungen von Steffens. Gries
und Andern ließen noch viel zu wünschen übrig, und so mußte man sich bei
wichtigen Uebergangspunkten mit Conjccturen begnügen: Cvnjccturen, für
welche freilich die umfangreiche und vielseitige Journalistik der Schule ziemlich
sichere Anhaltspunkte bot.

Wird daher auch die bisherige Auffassung der Literaturgeschichte durch
die Mittheilungen des vorliegenden Briefwechsels nicht wesentlich geändert, so



") Aus Schleiermachers Leben. In Briefen, 3, Bd. S's Briefwechsel mit Freun¬
den bis zu seiner Uebersiedelung nach Halle, namentlich der mit Fr. und A. W. Schlegel-
Zum Druck vorbereitet von Dr. Jonas, nach dessen Tode herausgegeben von W. Dilthey-
Berlin, G, Reimer.
Briefe über einige neue Erscheinungen der Literatur.
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Sie kennen, Herr Redakteur, die Arbeit, welche mich seit längerer Zeit
abgehalten hat und auch wol noch einige Zeit abhalten wird, in gewohnter
Weise die neuen Erscheinungen der deutschen Literatur in den Grenzboten zu
besprechen. Wenn man tief im 17. und 13. Jahrhundert steckt, ist es nicht
leicht, der Literatur des 19, diejenige Aufmerksamkeit zuzuwenden, die erfor¬
derlich ist, um ein kritisches Wort mit hinein zu reden. Erlauben Sie, daß
ich diese Gelegenheit benutze, mich deshalb sowol bei dem Publicum der
Grenzboten, als bei den Schriftstellern, die eine Anzeige ihrer Werke erwarten,
zu entschuldigen und das Versprechen abzulegen, daß ich bis zu Ende dieses Jah¬
res oder zu Anfang des nächsten das Versäumte nachholen will.

Auch heute ist es nicht die productive Literatur, die mich beschäftigt
sondern die Literatur in zweiter Hand, die Literaturgeschichte: theils neu her¬
ausgegebene Documente, theils neue Bearbeitungen.

Der lange erwartete dritte Band von Schleiermachers Briefen*)
ist erschienen. Er ist für die Freunde der poetischen Literatur vielleicht der in¬
teressanteste, da er diejenige Periode der Romantik behandelt, die am Ent¬
schiedensten in unsere Entwicklung eingriff und von deren geheimer Geschichte
doch noch sehr wenig bekannt war. Zwar sind die Journale der Schule oft
persönlicher Natur, und geben mehr als billig einen Blick in das innere sub>
jective Leben; auch war Manches durch den Briefwechsel zwischen Goethe,
Schiller und Körner aufgehellt. Aber wie es hinter den Coulissen zuging
d. h. wie diese revolutionären Dichter und Kritiker, wenn sie unter sich waren,
ihre Stellung zum Publicum und zu ihren literarischen Gegnern auffaßten,
davon wußten wir sehr wenig. Auch die Mittheilungen von Steffens. Gries
und Andern ließen noch viel zu wünschen übrig, und so mußte man sich bei
wichtigen Uebergangspunkten mit Conjccturen begnügen: Cvnjccturen, für
welche freilich die umfangreiche und vielseitige Journalistik der Schule ziemlich
sichere Anhaltspunkte bot.

Wird daher auch die bisherige Auffassung der Literaturgeschichte durch
die Mittheilungen des vorliegenden Briefwechsels nicht wesentlich geändert, so



") Aus Schleiermachers Leben. In Briefen, 3, Bd. S's Briefwechsel mit Freun¬
den bis zu seiner Uebersiedelung nach Halle, namentlich der mit Fr. und A. W. Schlegel-
Zum Druck vorbereitet von Dr. Jonas, nach dessen Tode herausgegeben von W. Dilthey-
Berlin, G, Reimer.
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[0480] Briefe über einige neue Erscheinungen der Literatur. m Sie kennen, Herr Redakteur, die Arbeit, welche mich seit längerer Zeit abgehalten hat und auch wol noch einige Zeit abhalten wird, in gewohnter Weise die neuen Erscheinungen der deutschen Literatur in den Grenzboten zu besprechen. Wenn man tief im 17. und 13. Jahrhundert steckt, ist es nicht leicht, der Literatur des 19, diejenige Aufmerksamkeit zuzuwenden, die erfor¬ derlich ist, um ein kritisches Wort mit hinein zu reden. Erlauben Sie, daß ich diese Gelegenheit benutze, mich deshalb sowol bei dem Publicum der Grenzboten, als bei den Schriftstellern, die eine Anzeige ihrer Werke erwarten, zu entschuldigen und das Versprechen abzulegen, daß ich bis zu Ende dieses Jah¬ res oder zu Anfang des nächsten das Versäumte nachholen will. Auch heute ist es nicht die productive Literatur, die mich beschäftigt sondern die Literatur in zweiter Hand, die Literaturgeschichte: theils neu her¬ ausgegebene Documente, theils neue Bearbeitungen. Der lange erwartete dritte Band von Schleiermachers Briefen*) ist erschienen. Er ist für die Freunde der poetischen Literatur vielleicht der in¬ teressanteste, da er diejenige Periode der Romantik behandelt, die am Ent¬ schiedensten in unsere Entwicklung eingriff und von deren geheimer Geschichte doch noch sehr wenig bekannt war. Zwar sind die Journale der Schule oft persönlicher Natur, und geben mehr als billig einen Blick in das innere sub> jective Leben; auch war Manches durch den Briefwechsel zwischen Goethe, Schiller und Körner aufgehellt. Aber wie es hinter den Coulissen zuging d. h. wie diese revolutionären Dichter und Kritiker, wenn sie unter sich waren, ihre Stellung zum Publicum und zu ihren literarischen Gegnern auffaßten, davon wußten wir sehr wenig. Auch die Mittheilungen von Steffens. Gries und Andern ließen noch viel zu wünschen übrig, und so mußte man sich bei wichtigen Uebergangspunkten mit Conjccturen begnügen: Cvnjccturen, für welche freilich die umfangreiche und vielseitige Journalistik der Schule ziemlich sichere Anhaltspunkte bot. Wird daher auch die bisherige Auffassung der Literaturgeschichte durch die Mittheilungen des vorliegenden Briefwechsels nicht wesentlich geändert, so ") Aus Schleiermachers Leben. In Briefen, 3, Bd. S's Briefwechsel mit Freun¬ den bis zu seiner Uebersiedelung nach Halle, namentlich der mit Fr. und A. W. Schlegel- Zum Druck vorbereitet von Dr. Jonas, nach dessen Tode herausgegeben von W. Dilthey- Berlin, G, Reimer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/480>, abgerufen am 22.12.2024.