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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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dringt der Realismus, von dem oben die Rede gewesen, in dieses Gebiet ein
hier und da wird -- auch im italienischen Genre -- die zufällige Härte und
Unschönheit der Wirklichkeit mit dem Malerischen verbunden, um die volle
Naturwahrheit zu erreichen. Die Behandlung ist bald sorgfältig in's Ein¬
zelne gehend, bald mit großem Geschick flüchtig hinwerfend. Immer aber
zeigt sich ans den ersten Blick, daß es dem Maler vornehmlich darauf ankam,
den eigenthümlichen Schein des orientalischen Lebens zu treffen: er sucht vor
Allem seinem Bild die Luft, den Ton, die Stimmung des Orients zu geben.

Endlich ist auch das Stillleben, das Blumen- und Fruchtstück
reichlich vertreten. Hier erfreut sich der malerische Sinn ausschließlich an dem
schillernden Glanz der Dinge, an der auch dem Auge fühlbaren Weichheit
oder Härte der Oberfläche, dem endlosen Spiel der Reflexe, an der bunten
Farbenpracht und dem Schmelz der kleinen Natur. Nur bringt es hier die
bloße Geschicklichkeit nicht zu dem zarten, seinen und lebensvollen Schein und
zu dem magischen Farbenspiel, das "die Holländer durch ein sinniges, fühlen¬
des Eingehen auf diese Welt des bloßen Schimmerns und Leuchtens zu er¬
reichen wußten. Auch fehlt im Ganzen den neuen Bildern der Hauch der
menschlichen Theilnahme, der Gewöhnung des Lebens; Alles sieht zu frisch,
zu ungebraucht, zu absichtlich hingelegt und hingestellt aus. Andererseits
werden Blumen und Pflanzen in bloß decorativer Weise im Großen ausge¬
führt, wo dann mit der Ausführung der Reiz der feinen Behandlung fehlt
und an dessen Stelle das Frappante tritt. --

Dieser Ueberblick zeigt, wie die französische Malerei in die kleine, aber
umfassende Welt des Genre und der Landschaft nach allen Seiten sich ausge¬
breitet und insofern zersplittert hat, als sie nicht mehr in einer großen Haupt¬
gattung sich zusammenfaßt. Zugleich haben die Künstler dies weite Reich
bis in die kleinsten Felder unter sich getheilt und die meisten beschränken sich
aus das ihrige, um es auf diesem möglichst weit zu bringen. Die Kunst ist
vielseitig geworden, der Künstler einseitig. Mit dieser Zersplitterung hängt
eng zusammen, daß sich Jeder, obwol hervorgegangen aus der Schule eines
tüchtigen Meisters, in seiner eigenen Weise ausbildet, und indem er ver¬
schiedene Einwirkungen aufnimmt, aus seiner Lehrzeit oft nichts behält, als die
technische Uebung und die Kenntniß des Handwerks. Eigentliche Schulen, die
einen bestimmten Styl fortpflanzen und ausbreiten, gibt es nicht mehr, wie es
andrerseits an den Künstlern fehlt, welche mit hervorragender Kraft die ganze
Strömung der Zeit in bedeutende Leistungen zusammenfassen. Dazu kommt
der das Zeitalter beherrschende Luxus. Er hat auch die Kunst zum Theil
sich dienstbar gemacht, indem er entweder dieselbe geradezu zur Decoration ge¬
braucht oder den Künstler bestimmt, all sein Talent und Können auf Ccibinet-
bilder zu verwenden, und um denselben Reiz zu geben, einerseits nach immer


dringt der Realismus, von dem oben die Rede gewesen, in dieses Gebiet ein
hier und da wird — auch im italienischen Genre — die zufällige Härte und
Unschönheit der Wirklichkeit mit dem Malerischen verbunden, um die volle
Naturwahrheit zu erreichen. Die Behandlung ist bald sorgfältig in's Ein¬
zelne gehend, bald mit großem Geschick flüchtig hinwerfend. Immer aber
zeigt sich ans den ersten Blick, daß es dem Maler vornehmlich darauf ankam,
den eigenthümlichen Schein des orientalischen Lebens zu treffen: er sucht vor
Allem seinem Bild die Luft, den Ton, die Stimmung des Orients zu geben.

Endlich ist auch das Stillleben, das Blumen- und Fruchtstück
reichlich vertreten. Hier erfreut sich der malerische Sinn ausschließlich an dem
schillernden Glanz der Dinge, an der auch dem Auge fühlbaren Weichheit
oder Härte der Oberfläche, dem endlosen Spiel der Reflexe, an der bunten
Farbenpracht und dem Schmelz der kleinen Natur. Nur bringt es hier die
bloße Geschicklichkeit nicht zu dem zarten, seinen und lebensvollen Schein und
zu dem magischen Farbenspiel, das "die Holländer durch ein sinniges, fühlen¬
des Eingehen auf diese Welt des bloßen Schimmerns und Leuchtens zu er¬
reichen wußten. Auch fehlt im Ganzen den neuen Bildern der Hauch der
menschlichen Theilnahme, der Gewöhnung des Lebens; Alles sieht zu frisch,
zu ungebraucht, zu absichtlich hingelegt und hingestellt aus. Andererseits
werden Blumen und Pflanzen in bloß decorativer Weise im Großen ausge¬
führt, wo dann mit der Ausführung der Reiz der feinen Behandlung fehlt
und an dessen Stelle das Frappante tritt. —

Dieser Ueberblick zeigt, wie die französische Malerei in die kleine, aber
umfassende Welt des Genre und der Landschaft nach allen Seiten sich ausge¬
breitet und insofern zersplittert hat, als sie nicht mehr in einer großen Haupt¬
gattung sich zusammenfaßt. Zugleich haben die Künstler dies weite Reich
bis in die kleinsten Felder unter sich getheilt und die meisten beschränken sich
aus das ihrige, um es auf diesem möglichst weit zu bringen. Die Kunst ist
vielseitig geworden, der Künstler einseitig. Mit dieser Zersplitterung hängt
eng zusammen, daß sich Jeder, obwol hervorgegangen aus der Schule eines
tüchtigen Meisters, in seiner eigenen Weise ausbildet, und indem er ver¬
schiedene Einwirkungen aufnimmt, aus seiner Lehrzeit oft nichts behält, als die
technische Uebung und die Kenntniß des Handwerks. Eigentliche Schulen, die
einen bestimmten Styl fortpflanzen und ausbreiten, gibt es nicht mehr, wie es
andrerseits an den Künstlern fehlt, welche mit hervorragender Kraft die ganze
Strömung der Zeit in bedeutende Leistungen zusammenfassen. Dazu kommt
der das Zeitalter beherrschende Luxus. Er hat auch die Kunst zum Theil
sich dienstbar gemacht, indem er entweder dieselbe geradezu zur Decoration ge¬
braucht oder den Künstler bestimmt, all sein Talent und Können auf Ccibinet-
bilder zu verwenden, und um denselben Reiz zu geben, einerseits nach immer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/478>, abgerufen am 23.12.2024.