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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Zur vollen Ausbreitung aber und zu wirklich eigenthümlichen Werken
kommt die realistische Anschauungsweise erst in der Landschaft. Nicht die
Naturnachahmung des Details ist ihr hier die Hauptsache, sondern die volle,
lebensfrische Gesammterscheinung. die als Ganzes mit der Wahrheit der Natur
wirkt und nur die Stimmung ausdrücken will, die aus der Landschaft selbst
den Beschauer anwehe. Sie sucht kein schönes Ganze von Vegetation, keine
mannigfaltigen Erdbildungen, keine reiche Komposition von Wasser, Felsen,
Brunnen und Gründen; der erste beste Winkel natürlicher Erde, ein beliebiger
Ausschnitt aus der nächsten Gegend ist ihr recht, denn es kommt ihr nur
darauf an, den Schein, das Aussehen der Natur, wie sie in Licht und Luft
schwimmt, in täuschender Lebendigkeit wiederzugeben. Sie vermeidet nichts
ängstlicher als den durchsichtigen Glanz der Farbe und die harte Bestimmtheit
der Form, wie sie z. B. in einer Gattung der deutschen Landschaft Mode
geworden sind. Es ist ihr Hauptziel, die Luft- und Lichtstimmung, in welche
die Landschaft gleichsam eingetaucht ist, über ihre Bilder zu verbreiten und
dabei doch die Eigenthümlichkeit der Localfarbe ganz zu wahren. Sie zieht
einen einheitlichen Ton, in welchem die Gegenstände ebensosehr hervortreten,
als verschwimmen, wie einen bald dichteren, bald dünneren Schleier über das
Ganze; zugleich soll sich in dem Schein die Körperhaftigkeit des Stoffs, des
Wassers, des Steins, der Erde und Pflanze aussprechen. Natürlich bilden
sich verschiedene Richtungen, indem bald jenes, bald dieses Moment mehr her¬
vortritt, bald die ruhige, bald die bewegte Natur zum Vorwurf wird. Und
indem der Eine in sein Motiv mit ganzer Seele sich einlebt, um ihm sein
innerstes Leben abzulauschen, der Andere besonders die Licht- und Luftstimmung
in duftigen, ahnungsvollem Schimmer zu geben sucht, bricht auch hier in
die Darstellung der wirklichen Natur ein idealisirendes Element ein; ja. das
geheimnißvolle Weben von Licht und Luft wird oft geradezu zur Hauptsache
und verfestigt sich zu einer mährchenhaften Staffage in dein im Duft ganz
zerflossenen Walde: der Realismus schlägt gerade in sein Gegentheil, in freie
Phantasie um, während seine Darstellungsweise in gewissem Sinne dieselbe
bleibt. Es bildet sich also neben dem treuen Abbild des ersten besten Acker¬
feldes eine eigentliche Stimmungslandschaft aus, die mit der realistischen nur
noch die Behandlung gemein hat. So ist hier die reiche Mannigfaltigkeit
einer eigenthümlichen Entwicklung in einem Maße, wie sie keiner der übrigen
Kunstzweige hat; ja. dem geschichtlichen Verlaufe nach geht die neue realistische
Richtung von der Landschaft aus. Natürlich ist hier auch dem französischen
"Schick", der Gewandtheit der Mache, der es nur auf bestechende äußere Wirkung
ankommt, Thor und Thür geöffnet. Den Gegensatz bildet die classische Land¬
schaft der alten historischen Schule. --

Dieser ganzen Richtung, welche sich von der Vergangenheit der Kunst


Zur vollen Ausbreitung aber und zu wirklich eigenthümlichen Werken
kommt die realistische Anschauungsweise erst in der Landschaft. Nicht die
Naturnachahmung des Details ist ihr hier die Hauptsache, sondern die volle,
lebensfrische Gesammterscheinung. die als Ganzes mit der Wahrheit der Natur
wirkt und nur die Stimmung ausdrücken will, die aus der Landschaft selbst
den Beschauer anwehe. Sie sucht kein schönes Ganze von Vegetation, keine
mannigfaltigen Erdbildungen, keine reiche Komposition von Wasser, Felsen,
Brunnen und Gründen; der erste beste Winkel natürlicher Erde, ein beliebiger
Ausschnitt aus der nächsten Gegend ist ihr recht, denn es kommt ihr nur
darauf an, den Schein, das Aussehen der Natur, wie sie in Licht und Luft
schwimmt, in täuschender Lebendigkeit wiederzugeben. Sie vermeidet nichts
ängstlicher als den durchsichtigen Glanz der Farbe und die harte Bestimmtheit
der Form, wie sie z. B. in einer Gattung der deutschen Landschaft Mode
geworden sind. Es ist ihr Hauptziel, die Luft- und Lichtstimmung, in welche
die Landschaft gleichsam eingetaucht ist, über ihre Bilder zu verbreiten und
dabei doch die Eigenthümlichkeit der Localfarbe ganz zu wahren. Sie zieht
einen einheitlichen Ton, in welchem die Gegenstände ebensosehr hervortreten,
als verschwimmen, wie einen bald dichteren, bald dünneren Schleier über das
Ganze; zugleich soll sich in dem Schein die Körperhaftigkeit des Stoffs, des
Wassers, des Steins, der Erde und Pflanze aussprechen. Natürlich bilden
sich verschiedene Richtungen, indem bald jenes, bald dieses Moment mehr her¬
vortritt, bald die ruhige, bald die bewegte Natur zum Vorwurf wird. Und
indem der Eine in sein Motiv mit ganzer Seele sich einlebt, um ihm sein
innerstes Leben abzulauschen, der Andere besonders die Licht- und Luftstimmung
in duftigen, ahnungsvollem Schimmer zu geben sucht, bricht auch hier in
die Darstellung der wirklichen Natur ein idealisirendes Element ein; ja. das
geheimnißvolle Weben von Licht und Luft wird oft geradezu zur Hauptsache
und verfestigt sich zu einer mährchenhaften Staffage in dein im Duft ganz
zerflossenen Walde: der Realismus schlägt gerade in sein Gegentheil, in freie
Phantasie um, während seine Darstellungsweise in gewissem Sinne dieselbe
bleibt. Es bildet sich also neben dem treuen Abbild des ersten besten Acker¬
feldes eine eigentliche Stimmungslandschaft aus, die mit der realistischen nur
noch die Behandlung gemein hat. So ist hier die reiche Mannigfaltigkeit
einer eigenthümlichen Entwicklung in einem Maße, wie sie keiner der übrigen
Kunstzweige hat; ja. dem geschichtlichen Verlaufe nach geht die neue realistische
Richtung von der Landschaft aus. Natürlich ist hier auch dem französischen
„Schick", der Gewandtheit der Mache, der es nur auf bestechende äußere Wirkung
ankommt, Thor und Thür geöffnet. Den Gegensatz bildet die classische Land¬
schaft der alten historischen Schule. —

Dieser ganzen Richtung, welche sich von der Vergangenheit der Kunst


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[0474] Zur vollen Ausbreitung aber und zu wirklich eigenthümlichen Werken kommt die realistische Anschauungsweise erst in der Landschaft. Nicht die Naturnachahmung des Details ist ihr hier die Hauptsache, sondern die volle, lebensfrische Gesammterscheinung. die als Ganzes mit der Wahrheit der Natur wirkt und nur die Stimmung ausdrücken will, die aus der Landschaft selbst den Beschauer anwehe. Sie sucht kein schönes Ganze von Vegetation, keine mannigfaltigen Erdbildungen, keine reiche Komposition von Wasser, Felsen, Brunnen und Gründen; der erste beste Winkel natürlicher Erde, ein beliebiger Ausschnitt aus der nächsten Gegend ist ihr recht, denn es kommt ihr nur darauf an, den Schein, das Aussehen der Natur, wie sie in Licht und Luft schwimmt, in täuschender Lebendigkeit wiederzugeben. Sie vermeidet nichts ängstlicher als den durchsichtigen Glanz der Farbe und die harte Bestimmtheit der Form, wie sie z. B. in einer Gattung der deutschen Landschaft Mode geworden sind. Es ist ihr Hauptziel, die Luft- und Lichtstimmung, in welche die Landschaft gleichsam eingetaucht ist, über ihre Bilder zu verbreiten und dabei doch die Eigenthümlichkeit der Localfarbe ganz zu wahren. Sie zieht einen einheitlichen Ton, in welchem die Gegenstände ebensosehr hervortreten, als verschwimmen, wie einen bald dichteren, bald dünneren Schleier über das Ganze; zugleich soll sich in dem Schein die Körperhaftigkeit des Stoffs, des Wassers, des Steins, der Erde und Pflanze aussprechen. Natürlich bilden sich verschiedene Richtungen, indem bald jenes, bald dieses Moment mehr her¬ vortritt, bald die ruhige, bald die bewegte Natur zum Vorwurf wird. Und indem der Eine in sein Motiv mit ganzer Seele sich einlebt, um ihm sein innerstes Leben abzulauschen, der Andere besonders die Licht- und Luftstimmung in duftigen, ahnungsvollem Schimmer zu geben sucht, bricht auch hier in die Darstellung der wirklichen Natur ein idealisirendes Element ein; ja. das geheimnißvolle Weben von Licht und Luft wird oft geradezu zur Hauptsache und verfestigt sich zu einer mährchenhaften Staffage in dein im Duft ganz zerflossenen Walde: der Realismus schlägt gerade in sein Gegentheil, in freie Phantasie um, während seine Darstellungsweise in gewissem Sinne dieselbe bleibt. Es bildet sich also neben dem treuen Abbild des ersten besten Acker¬ feldes eine eigentliche Stimmungslandschaft aus, die mit der realistischen nur noch die Behandlung gemein hat. So ist hier die reiche Mannigfaltigkeit einer eigenthümlichen Entwicklung in einem Maße, wie sie keiner der übrigen Kunstzweige hat; ja. dem geschichtlichen Verlaufe nach geht die neue realistische Richtung von der Landschaft aus. Natürlich ist hier auch dem französischen „Schick", der Gewandtheit der Mache, der es nur auf bestechende äußere Wirkung ankommt, Thor und Thür geöffnet. Den Gegensatz bildet die classische Land¬ schaft der alten historischen Schule. — Dieser ganzen Richtung, welche sich von der Vergangenheit der Kunst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/474>, abgerufen am 23.12.2024.