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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Kunst und Literatur, von einem Punkte auslaufend, geradezu auseinander¬
gehen. Diese holt ihre Stoffe aus dem Bereich der gegenwärtigen Cultur und
Sitte und nimmt zugleich die ausgebildeten Umgangsformen mit ans. Die
Malerei dagegen weiß mit dieser geschmückten Welt der Lüge, des Schwindels
und der conventionellen Erscheinungsweise nichts anzufangen und wendet sich
an die gemeine, aber unverholene Natur, welche sie in ihrer körperhaften Er¬
scheinung treu wiedergeben will. Wir haben dieses Extrem, zu dem jene
Richtung fortgegangen ist, absichtlich vorangestellt, weil es sich für das neuere
Knnstprincip ausgibt.

Neben diesem Platten Realismus, der -- immer nicht zu vergessen, mit
vielem Können -- das Gemeine und Alltägliche in Lebensgröße und ohne
Humor in die Kunst einführen will, tritt als anderer Nebenzweig eine Richtung
hervor, die zwar auch das von der Cultur noch nicht verkünstelte wirkliche
Leben zum Gegenstande nimmt, aber mit einem Anflug vou poetischer, künst¬
lerischer Auffassung. Sie setzt nämlich entweder ihre Menschen in eine gemüth¬
liche Situation, oder läßt aus ihnen eine tiefere Empfindung. eine Seele
scheinen oder sie breitet die ahnungsvolle Stimmung eines Licht- und Luft-Tons
über sie aus und bleibt dabei gewöhnlich in dem für das Genre besser passen¬
den kleinen Maßstab. Es kommt also dieser Richtung neben der Darstellung
der Wirklichkeit im ernsten Sinne zugleich auf den Ausdruck eines tieferen
geistigen Bezuges oder wenigstens auf den Reiz der malerischen Erscheinung
um. Ihre Stoffe entnimmt sie meistens dein gegenwärtigen Leben des Baue rü,
wobei sie im direkten Gegensatz zu der Schäferidylle des 18. Jahrhunderts steht.

Natürlich wird für diesen Realismus auch die Thierwelt ein ergiebiges
Feld. Besonders wird das dem Menschen vertraute, von ihm zu seinen Zwecken
benutzte Thier dargestellt, nicht in hervorragenden edlen Typen, oder >n strammer,
feuriger Bewegung, welche seine Formen zur Geltung bringt, sondern wie es
von der alltäglichen Noth und Anstrengung mitgenommen, in wirklicher Be¬
stimmtheit auf dem Felde und der Straße uns begegnet. Oft lebensgroß,
in Gruppen und gewohnten Situationen, manchmal auch in einzelnen Figuren,
wodurch der Ochse. Hund, Gaul u. s. f. die Prätention eines Porträts macht.
Daneben dann das Thier in der Landschaft als malerische Erscheinung, aber
ebenfalls wieder in der Bedingtheit des wirklichen Momentes und mit dem
Schein der vollen Naturwahrheit. Kommt endlich der Reiz einer besondern
Licht- und Luftstimmung und die Auffassung der frischen, tüchtigen, behaglichen
Seite des Landlebens hinzu: so entsteht auch hier ein Bild von mehr poetischer
Wirkung, das dann aus jenem beschränkten Realismus heraustritt. An dieses
schließt sich das Bild aus der spielenden, komischen Thierwelt. Doch ist es
immer noch auf ein täuschendes Heraustreten ans dem Rahmen abgesehen, aus
ein Wiedergeben der vereinzelten, bedingten Natur.


Kunst und Literatur, von einem Punkte auslaufend, geradezu auseinander¬
gehen. Diese holt ihre Stoffe aus dem Bereich der gegenwärtigen Cultur und
Sitte und nimmt zugleich die ausgebildeten Umgangsformen mit ans. Die
Malerei dagegen weiß mit dieser geschmückten Welt der Lüge, des Schwindels
und der conventionellen Erscheinungsweise nichts anzufangen und wendet sich
an die gemeine, aber unverholene Natur, welche sie in ihrer körperhaften Er¬
scheinung treu wiedergeben will. Wir haben dieses Extrem, zu dem jene
Richtung fortgegangen ist, absichtlich vorangestellt, weil es sich für das neuere
Knnstprincip ausgibt.

Neben diesem Platten Realismus, der — immer nicht zu vergessen, mit
vielem Können — das Gemeine und Alltägliche in Lebensgröße und ohne
Humor in die Kunst einführen will, tritt als anderer Nebenzweig eine Richtung
hervor, die zwar auch das von der Cultur noch nicht verkünstelte wirkliche
Leben zum Gegenstande nimmt, aber mit einem Anflug vou poetischer, künst¬
lerischer Auffassung. Sie setzt nämlich entweder ihre Menschen in eine gemüth¬
liche Situation, oder läßt aus ihnen eine tiefere Empfindung. eine Seele
scheinen oder sie breitet die ahnungsvolle Stimmung eines Licht- und Luft-Tons
über sie aus und bleibt dabei gewöhnlich in dem für das Genre besser passen¬
den kleinen Maßstab. Es kommt also dieser Richtung neben der Darstellung
der Wirklichkeit im ernsten Sinne zugleich auf den Ausdruck eines tieferen
geistigen Bezuges oder wenigstens auf den Reiz der malerischen Erscheinung
um. Ihre Stoffe entnimmt sie meistens dein gegenwärtigen Leben des Baue rü,
wobei sie im direkten Gegensatz zu der Schäferidylle des 18. Jahrhunderts steht.

Natürlich wird für diesen Realismus auch die Thierwelt ein ergiebiges
Feld. Besonders wird das dem Menschen vertraute, von ihm zu seinen Zwecken
benutzte Thier dargestellt, nicht in hervorragenden edlen Typen, oder >n strammer,
feuriger Bewegung, welche seine Formen zur Geltung bringt, sondern wie es
von der alltäglichen Noth und Anstrengung mitgenommen, in wirklicher Be¬
stimmtheit auf dem Felde und der Straße uns begegnet. Oft lebensgroß,
in Gruppen und gewohnten Situationen, manchmal auch in einzelnen Figuren,
wodurch der Ochse. Hund, Gaul u. s. f. die Prätention eines Porträts macht.
Daneben dann das Thier in der Landschaft als malerische Erscheinung, aber
ebenfalls wieder in der Bedingtheit des wirklichen Momentes und mit dem
Schein der vollen Naturwahrheit. Kommt endlich der Reiz einer besondern
Licht- und Luftstimmung und die Auffassung der frischen, tüchtigen, behaglichen
Seite des Landlebens hinzu: so entsteht auch hier ein Bild von mehr poetischer
Wirkung, das dann aus jenem beschränkten Realismus heraustritt. An dieses
schließt sich das Bild aus der spielenden, komischen Thierwelt. Doch ist es
immer noch auf ein täuschendes Heraustreten ans dem Rahmen abgesehen, aus
ein Wiedergeben der vereinzelten, bedingten Natur.


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[0473] Kunst und Literatur, von einem Punkte auslaufend, geradezu auseinander¬ gehen. Diese holt ihre Stoffe aus dem Bereich der gegenwärtigen Cultur und Sitte und nimmt zugleich die ausgebildeten Umgangsformen mit ans. Die Malerei dagegen weiß mit dieser geschmückten Welt der Lüge, des Schwindels und der conventionellen Erscheinungsweise nichts anzufangen und wendet sich an die gemeine, aber unverholene Natur, welche sie in ihrer körperhaften Er¬ scheinung treu wiedergeben will. Wir haben dieses Extrem, zu dem jene Richtung fortgegangen ist, absichtlich vorangestellt, weil es sich für das neuere Knnstprincip ausgibt. Neben diesem Platten Realismus, der — immer nicht zu vergessen, mit vielem Können — das Gemeine und Alltägliche in Lebensgröße und ohne Humor in die Kunst einführen will, tritt als anderer Nebenzweig eine Richtung hervor, die zwar auch das von der Cultur noch nicht verkünstelte wirkliche Leben zum Gegenstande nimmt, aber mit einem Anflug vou poetischer, künst¬ lerischer Auffassung. Sie setzt nämlich entweder ihre Menschen in eine gemüth¬ liche Situation, oder läßt aus ihnen eine tiefere Empfindung. eine Seele scheinen oder sie breitet die ahnungsvolle Stimmung eines Licht- und Luft-Tons über sie aus und bleibt dabei gewöhnlich in dem für das Genre besser passen¬ den kleinen Maßstab. Es kommt also dieser Richtung neben der Darstellung der Wirklichkeit im ernsten Sinne zugleich auf den Ausdruck eines tieferen geistigen Bezuges oder wenigstens auf den Reiz der malerischen Erscheinung um. Ihre Stoffe entnimmt sie meistens dein gegenwärtigen Leben des Baue rü, wobei sie im direkten Gegensatz zu der Schäferidylle des 18. Jahrhunderts steht. Natürlich wird für diesen Realismus auch die Thierwelt ein ergiebiges Feld. Besonders wird das dem Menschen vertraute, von ihm zu seinen Zwecken benutzte Thier dargestellt, nicht in hervorragenden edlen Typen, oder >n strammer, feuriger Bewegung, welche seine Formen zur Geltung bringt, sondern wie es von der alltäglichen Noth und Anstrengung mitgenommen, in wirklicher Be¬ stimmtheit auf dem Felde und der Straße uns begegnet. Oft lebensgroß, in Gruppen und gewohnten Situationen, manchmal auch in einzelnen Figuren, wodurch der Ochse. Hund, Gaul u. s. f. die Prätention eines Porträts macht. Daneben dann das Thier in der Landschaft als malerische Erscheinung, aber ebenfalls wieder in der Bedingtheit des wirklichen Momentes und mit dem Schein der vollen Naturwahrheit. Kommt endlich der Reiz einer besondern Licht- und Luftstimmung und die Auffassung der frischen, tüchtigen, behaglichen Seite des Landlebens hinzu: so entsteht auch hier ein Bild von mehr poetischer Wirkung, das dann aus jenem beschränkten Realismus heraustritt. An dieses schließt sich das Bild aus der spielenden, komischen Thierwelt. Doch ist es immer noch auf ein täuschendes Heraustreten ans dem Rahmen abgesehen, aus ein Wiedergeben der vereinzelten, bedingten Natur.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/473>, abgerufen am 23.12.2024.