Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir wollen nun die Aeußerungen des Königs von Würtemberg in's Auge
fassen, natürlich nur in der officiellen Version des Staatsanzeigers.

"Se. Maj. haben niemals Anstand genommen, die Ansicht anzusprechen,
daß es ein ganz ungerechtfertigtes, politisch höchst unkluges Vorgehen der
Mittelstaaten constatiren würde, wenn dieselben im Hinblick auf etwaige von
Westen her drohende Kriegsgefahren sich herbei ließen, zu den vom National¬
verein vorgeschlagnen Mitteln zu greifen, deren praktische Durchführung erstere
unfehlbar in preußische Provinzialstaaten verwandeln muß."

Se. Mnj, sind ferner'der Ansicht, "daß ein nach den Maximen des
Nationalvereins organisirtes Preußen mehr geeignet wäre, den deut¬
schen Mittelstaaten ernstliche Besorgniß einzuflößen, als das französische
Kaiserthum."

"Dem französischen Kaiserthum würde, wie sich auch die Zukunft
gestalte" möge, das Nationalgefühl niemals gestatten sich auf deutschem
Boden festzusetzen, oder die politische und factische Existenz irgend eines
Staats, und sei es des kleinsten, auf die Dauer zu gefährden."

Der erste dieser Sätze ist klar, und dürste nur noch dahin ausgedehnt
werden, daß nicht bloß die Ansprüche des Nationalvcreins, sondern auch die
der preußischen Regierung gemeint sind. Der Nationalverein geht zwar wei¬
ter als Preußen, er verlangt nicht bloß die militärische, sondern auch die
diplomatische Leitung, aber das Erstere ist doch wol die Hauptsache. Die mi¬
litärische Oberleitung Preußens bedroht die Souveränetät der Mittelstaaten;
>le kann also nicht zugestanden werden, sollte sie auch -- was allerdings ent¬
schieden in Abrede gestellt wird -- die Integrität des deutschen Gebietes in
Gefahr setzen. Die volle Souveränetät der Mittelstaaten steht in erster Linie;
danach gruppiren sich die andern Fragen. Die bekannte Aeußerung des Gra¬
fen Borries gibt den weiteren Kommentar.

Nicht ganz so verständlich sind die beiden folgenden Absätze. Was heißt
"ein nach den Maximen des Nativnalvercins organisirtes" Preuße"? Uns
wenigstens ist nicht bekannt, daß der Nationalverein für Preußen eine andere
Organisation in Aussicht gestellt hätte als die gegenwärtige. Wir können nur
zweierlei darunter verstehen: entweder meint der Staatsanzeiger ein von den
"Freunden des Nationalvereins" regiertes Preußen, und will damit andeute",
daß eine Veränderung des Ministeriums in Preußen die Besorgnisse der Mit¬
telstaaten vermindern würde. Allein wir haben schon früher auseinanderge¬
setzt, daß es in dieser Beziehung ganz gleichgültig ist, wer in Preußen regiert:
Preußen bedroht nicht durch den Willen dieses oder jenes Mannes, sondern
durch seine unfertige Lage die Existenz derjenigen Staaten, die ihn fortwährend
an seine Unfertigkeit erinnern, wie z. B. jetzt Hannover. Außerdem ist über-


Wir wollen nun die Aeußerungen des Königs von Würtemberg in's Auge
fassen, natürlich nur in der officiellen Version des Staatsanzeigers.

„Se. Maj. haben niemals Anstand genommen, die Ansicht anzusprechen,
daß es ein ganz ungerechtfertigtes, politisch höchst unkluges Vorgehen der
Mittelstaaten constatiren würde, wenn dieselben im Hinblick auf etwaige von
Westen her drohende Kriegsgefahren sich herbei ließen, zu den vom National¬
verein vorgeschlagnen Mitteln zu greifen, deren praktische Durchführung erstere
unfehlbar in preußische Provinzialstaaten verwandeln muß."

Se. Mnj, sind ferner'der Ansicht, „daß ein nach den Maximen des
Nationalvereins organisirtes Preußen mehr geeignet wäre, den deut¬
schen Mittelstaaten ernstliche Besorgniß einzuflößen, als das französische
Kaiserthum."

„Dem französischen Kaiserthum würde, wie sich auch die Zukunft
gestalte» möge, das Nationalgefühl niemals gestatten sich auf deutschem
Boden festzusetzen, oder die politische und factische Existenz irgend eines
Staats, und sei es des kleinsten, auf die Dauer zu gefährden."

Der erste dieser Sätze ist klar, und dürste nur noch dahin ausgedehnt
werden, daß nicht bloß die Ansprüche des Nationalvcreins, sondern auch die
der preußischen Regierung gemeint sind. Der Nationalverein geht zwar wei¬
ter als Preußen, er verlangt nicht bloß die militärische, sondern auch die
diplomatische Leitung, aber das Erstere ist doch wol die Hauptsache. Die mi¬
litärische Oberleitung Preußens bedroht die Souveränetät der Mittelstaaten;
>le kann also nicht zugestanden werden, sollte sie auch — was allerdings ent¬
schieden in Abrede gestellt wird — die Integrität des deutschen Gebietes in
Gefahr setzen. Die volle Souveränetät der Mittelstaaten steht in erster Linie;
danach gruppiren sich die andern Fragen. Die bekannte Aeußerung des Gra¬
fen Borries gibt den weiteren Kommentar.

Nicht ganz so verständlich sind die beiden folgenden Absätze. Was heißt
„ein nach den Maximen des Nativnalvercins organisirtes" Preuße»? Uns
wenigstens ist nicht bekannt, daß der Nationalverein für Preußen eine andere
Organisation in Aussicht gestellt hätte als die gegenwärtige. Wir können nur
zweierlei darunter verstehen: entweder meint der Staatsanzeiger ein von den
„Freunden des Nationalvereins" regiertes Preußen, und will damit andeute»,
daß eine Veränderung des Ministeriums in Preußen die Besorgnisse der Mit¬
telstaaten vermindern würde. Allein wir haben schon früher auseinanderge¬
setzt, daß es in dieser Beziehung ganz gleichgültig ist, wer in Preußen regiert:
Preußen bedroht nicht durch den Willen dieses oder jenes Mannes, sondern
durch seine unfertige Lage die Existenz derjenigen Staaten, die ihn fortwährend
an seine Unfertigkeit erinnern, wie z. B. jetzt Hannover. Außerdem ist über-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112017"/>
          <p xml:id="ID_187"> Wir wollen nun die Aeußerungen des Königs von Würtemberg in's Auge<lb/>
fassen, natürlich nur in der officiellen Version des Staatsanzeigers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_188"> &#x201E;Se. Maj. haben niemals Anstand genommen, die Ansicht anzusprechen,<lb/>
daß es ein ganz ungerechtfertigtes, politisch höchst unkluges Vorgehen der<lb/>
Mittelstaaten constatiren würde, wenn dieselben im Hinblick auf etwaige von<lb/>
Westen her drohende Kriegsgefahren sich herbei ließen, zu den vom National¬<lb/>
verein vorgeschlagnen Mitteln zu greifen, deren praktische Durchführung erstere<lb/>
unfehlbar in preußische Provinzialstaaten verwandeln muß."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_189"> Se. Mnj, sind ferner'der Ansicht, &#x201E;daß ein nach den Maximen des<lb/>
Nationalvereins organisirtes Preußen mehr geeignet wäre, den deut¬<lb/>
schen Mittelstaaten ernstliche Besorgniß einzuflößen, als das französische<lb/>
Kaiserthum."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_190"> &#x201E;Dem französischen Kaiserthum würde, wie sich auch die Zukunft<lb/>
gestalte» möge, das Nationalgefühl niemals gestatten sich auf deutschem<lb/>
Boden festzusetzen, oder die politische und factische Existenz irgend eines<lb/>
Staats, und sei es des kleinsten, auf die Dauer zu gefährden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_191"> Der erste dieser Sätze ist klar, und dürste nur noch dahin ausgedehnt<lb/>
werden, daß nicht bloß die Ansprüche des Nationalvcreins, sondern auch die<lb/>
der preußischen Regierung gemeint sind. Der Nationalverein geht zwar wei¬<lb/>
ter als Preußen, er verlangt nicht bloß die militärische, sondern auch die<lb/>
diplomatische Leitung, aber das Erstere ist doch wol die Hauptsache. Die mi¬<lb/>
litärische Oberleitung Preußens bedroht die Souveränetät der Mittelstaaten;<lb/>
&gt;le kann also nicht zugestanden werden, sollte sie auch &#x2014; was allerdings ent¬<lb/>
schieden in Abrede gestellt wird &#x2014; die Integrität des deutschen Gebietes in<lb/>
Gefahr setzen. Die volle Souveränetät der Mittelstaaten steht in erster Linie;<lb/>
danach gruppiren sich die andern Fragen. Die bekannte Aeußerung des Gra¬<lb/>
fen Borries gibt den weiteren Kommentar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_192" next="#ID_193"> Nicht ganz so verständlich sind die beiden folgenden Absätze. Was heißt<lb/>
&#x201E;ein nach den Maximen des Nativnalvercins organisirtes" Preuße»? Uns<lb/>
wenigstens ist nicht bekannt, daß der Nationalverein für Preußen eine andere<lb/>
Organisation in Aussicht gestellt hätte als die gegenwärtige. Wir können nur<lb/>
zweierlei darunter verstehen: entweder meint der Staatsanzeiger ein von den<lb/>
&#x201E;Freunden des Nationalvereins" regiertes Preußen, und will damit andeute»,<lb/>
daß eine Veränderung des Ministeriums in Preußen die Besorgnisse der Mit¬<lb/>
telstaaten vermindern würde. Allein wir haben schon früher auseinanderge¬<lb/>
setzt, daß es in dieser Beziehung ganz gleichgültig ist, wer in Preußen regiert:<lb/>
Preußen bedroht nicht durch den Willen dieses oder jenes Mannes, sondern<lb/>
durch seine unfertige Lage die Existenz derjenigen Staaten, die ihn fortwährend<lb/>
an seine Unfertigkeit erinnern, wie z. B. jetzt Hannover.  Außerdem ist über-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Wir wollen nun die Aeußerungen des Königs von Würtemberg in's Auge fassen, natürlich nur in der officiellen Version des Staatsanzeigers. „Se. Maj. haben niemals Anstand genommen, die Ansicht anzusprechen, daß es ein ganz ungerechtfertigtes, politisch höchst unkluges Vorgehen der Mittelstaaten constatiren würde, wenn dieselben im Hinblick auf etwaige von Westen her drohende Kriegsgefahren sich herbei ließen, zu den vom National¬ verein vorgeschlagnen Mitteln zu greifen, deren praktische Durchführung erstere unfehlbar in preußische Provinzialstaaten verwandeln muß." Se. Mnj, sind ferner'der Ansicht, „daß ein nach den Maximen des Nationalvereins organisirtes Preußen mehr geeignet wäre, den deut¬ schen Mittelstaaten ernstliche Besorgniß einzuflößen, als das französische Kaiserthum." „Dem französischen Kaiserthum würde, wie sich auch die Zukunft gestalte» möge, das Nationalgefühl niemals gestatten sich auf deutschem Boden festzusetzen, oder die politische und factische Existenz irgend eines Staats, und sei es des kleinsten, auf die Dauer zu gefährden." Der erste dieser Sätze ist klar, und dürste nur noch dahin ausgedehnt werden, daß nicht bloß die Ansprüche des Nationalvcreins, sondern auch die der preußischen Regierung gemeint sind. Der Nationalverein geht zwar wei¬ ter als Preußen, er verlangt nicht bloß die militärische, sondern auch die diplomatische Leitung, aber das Erstere ist doch wol die Hauptsache. Die mi¬ litärische Oberleitung Preußens bedroht die Souveränetät der Mittelstaaten; >le kann also nicht zugestanden werden, sollte sie auch — was allerdings ent¬ schieden in Abrede gestellt wird — die Integrität des deutschen Gebietes in Gefahr setzen. Die volle Souveränetät der Mittelstaaten steht in erster Linie; danach gruppiren sich die andern Fragen. Die bekannte Aeußerung des Gra¬ fen Borries gibt den weiteren Kommentar. Nicht ganz so verständlich sind die beiden folgenden Absätze. Was heißt „ein nach den Maximen des Nativnalvercins organisirtes" Preuße»? Uns wenigstens ist nicht bekannt, daß der Nationalverein für Preußen eine andere Organisation in Aussicht gestellt hätte als die gegenwärtige. Wir können nur zweierlei darunter verstehen: entweder meint der Staatsanzeiger ein von den „Freunden des Nationalvereins" regiertes Preußen, und will damit andeute», daß eine Veränderung des Ministeriums in Preußen die Besorgnisse der Mit¬ telstaaten vermindern würde. Allein wir haben schon früher auseinanderge¬ setzt, daß es in dieser Beziehung ganz gleichgültig ist, wer in Preußen regiert: Preußen bedroht nicht durch den Willen dieses oder jenes Mannes, sondern durch seine unfertige Lage die Existenz derjenigen Staaten, die ihn fortwährend an seine Unfertigkeit erinnern, wie z. B. jetzt Hannover. Außerdem ist über-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/47
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/47>, abgerufen am 23.12.2024.