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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Davidschen Schule: Bie non solet" (Tod von Palus und Arria).
Dubois. -- ein alter Schüler von Regnault -- der junge Cato am Hofe
Sulla's (nach Plutarch) und Mazerolles. Eponnia, die um das Leben ihres
Gatten bittet. Die beiden ersteren in der theatralischen akademischen Manier,
in welche die französische Auffassungsweise des Classischen so leicht verfällt;
das letztere zwar durch die Beachtung der Natur und durch die geistreiche
Art. mit welcher der moderne Geist in die antike Anschauungsweise einzu¬
dringen sucht, belebter, aber doch ohne jeden Eindruck; ein solches Motiv kann
nun einmal weder den Maler noch den Beschauer erwärmen, letzteres auch
dann nicht, wenn das Bild in der Ausführung vollendeter wäre. -

Allein sind diese Werke alle mehr oder minder unbedeutend und nur an¬
zuführen, weil sie die neueste historische Kunst kennzeichnen: so tritt dagegen
ein Gemälde von Paul Baudry, Charlotte Corday nach Marats Ermordung,
durch seine eindringliche Wirkung vor allen größeren Bildern hervor. Der
Maler ist aus seinem bisherigen Gebiete der Mythologie und der alten
Welt herausgetreten, um sich an der Bestimmtheit der modernen Geschichte
zu versuchen. Ueber die historische Bedeutsamkeit des Motivs läßt sich streiten,
wie über den malerischen Werth desselben. Auch hat der Künstler nicht den
Zug der leidenschaftlichen Größe, die in der politischen That liegt, zum Aus¬
druck bringen wollen, sondern die Empfindung des in seinem Innersten er¬
schütterten Weibes nach dem vollbrachten Werk im Gegensatz zu der Erschei¬
nung des Todes in dem gräßlich verzerrten Leichnam: das Bild zieht den
Gegenstand aus der Oeffentlichkeit in die Gemüthswelt. Und was der Maler
gewollt, ist ihm gelungen. Der Leichnam des häßlichen Marat in der Bade-
Wanne, in kühner Verkürzung mit dem Kopfe dem Beschauer zugekehrt, das
Messer in der Brust, ist in der krampfhaften Bewegung des Sterbens mit
furchtbarer Naturwahrheit festgehalten, der Arm. erstarrt aus der Wanne ragend,
scheint aus dem Bilde herauszugehen: das häßliche Bild des Todes eines
Nichtswürdigen. Am Fenster, in blassem othemlosem Schrecken zusammenge¬
rückt, steht bleich und entsetzt über die eigene That die jugendliche Corday;
in den starr bewegten Zügen und der straffen, eingezogenen Haltung des Kör¬
pers ist die Seclencingst vortrefflich ausgedrückt. Den engen Raum erleuchtet
°in kaltes, grelles Tageslicht mit einfallendem Sonnenstrahl; die That liegt
°ffm und unverhüllt vor den Augen der Welt, kein verhüllender Eindruck
schwächt sie ab. Das Beiwerk: ein Stuhl, auf den Fliesen verschüttetes
Wasser, einige Bücher, die Wanne, der Anzug des Mädchens u. s. f. ist mit
voller Naturtreue in seiner ganzen modernen Nüchternheit wiedergegeben, ohne
°em Eindruck des eigentlichen Vorgangs zu schaden; Alles, die Figuren wie
°>e Nebendinge, in scharfer Bestimmtheit und genauer, aber nicht kleinlicher
Ausführung, ja in fast zu deutlicher, durch die Farbe nicht gelockerter Form.


Davidschen Schule: Bie non solet" (Tod von Palus und Arria).
Dubois. — ein alter Schüler von Regnault — der junge Cato am Hofe
Sulla's (nach Plutarch) und Mazerolles. Eponnia, die um das Leben ihres
Gatten bittet. Die beiden ersteren in der theatralischen akademischen Manier,
in welche die französische Auffassungsweise des Classischen so leicht verfällt;
das letztere zwar durch die Beachtung der Natur und durch die geistreiche
Art. mit welcher der moderne Geist in die antike Anschauungsweise einzu¬
dringen sucht, belebter, aber doch ohne jeden Eindruck; ein solches Motiv kann
nun einmal weder den Maler noch den Beschauer erwärmen, letzteres auch
dann nicht, wenn das Bild in der Ausführung vollendeter wäre. -

Allein sind diese Werke alle mehr oder minder unbedeutend und nur an¬
zuführen, weil sie die neueste historische Kunst kennzeichnen: so tritt dagegen
ein Gemälde von Paul Baudry, Charlotte Corday nach Marats Ermordung,
durch seine eindringliche Wirkung vor allen größeren Bildern hervor. Der
Maler ist aus seinem bisherigen Gebiete der Mythologie und der alten
Welt herausgetreten, um sich an der Bestimmtheit der modernen Geschichte
zu versuchen. Ueber die historische Bedeutsamkeit des Motivs läßt sich streiten,
wie über den malerischen Werth desselben. Auch hat der Künstler nicht den
Zug der leidenschaftlichen Größe, die in der politischen That liegt, zum Aus¬
druck bringen wollen, sondern die Empfindung des in seinem Innersten er¬
schütterten Weibes nach dem vollbrachten Werk im Gegensatz zu der Erschei¬
nung des Todes in dem gräßlich verzerrten Leichnam: das Bild zieht den
Gegenstand aus der Oeffentlichkeit in die Gemüthswelt. Und was der Maler
gewollt, ist ihm gelungen. Der Leichnam des häßlichen Marat in der Bade-
Wanne, in kühner Verkürzung mit dem Kopfe dem Beschauer zugekehrt, das
Messer in der Brust, ist in der krampfhaften Bewegung des Sterbens mit
furchtbarer Naturwahrheit festgehalten, der Arm. erstarrt aus der Wanne ragend,
scheint aus dem Bilde herauszugehen: das häßliche Bild des Todes eines
Nichtswürdigen. Am Fenster, in blassem othemlosem Schrecken zusammenge¬
rückt, steht bleich und entsetzt über die eigene That die jugendliche Corday;
in den starr bewegten Zügen und der straffen, eingezogenen Haltung des Kör¬
pers ist die Seclencingst vortrefflich ausgedrückt. Den engen Raum erleuchtet
°in kaltes, grelles Tageslicht mit einfallendem Sonnenstrahl; die That liegt
°ffm und unverhüllt vor den Augen der Welt, kein verhüllender Eindruck
schwächt sie ab. Das Beiwerk: ein Stuhl, auf den Fliesen verschüttetes
Wasser, einige Bücher, die Wanne, der Anzug des Mädchens u. s. f. ist mit
voller Naturtreue in seiner ganzen modernen Nüchternheit wiedergegeben, ohne
°em Eindruck des eigentlichen Vorgangs zu schaden; Alles, die Figuren wie
°>e Nebendinge, in scharfer Bestimmtheit und genauer, aber nicht kleinlicher
Ausführung, ja in fast zu deutlicher, durch die Farbe nicht gelockerter Form.


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[0463] Davidschen Schule: Bie non solet" (Tod von Palus und Arria). Dubois. — ein alter Schüler von Regnault — der junge Cato am Hofe Sulla's (nach Plutarch) und Mazerolles. Eponnia, die um das Leben ihres Gatten bittet. Die beiden ersteren in der theatralischen akademischen Manier, in welche die französische Auffassungsweise des Classischen so leicht verfällt; das letztere zwar durch die Beachtung der Natur und durch die geistreiche Art. mit welcher der moderne Geist in die antike Anschauungsweise einzu¬ dringen sucht, belebter, aber doch ohne jeden Eindruck; ein solches Motiv kann nun einmal weder den Maler noch den Beschauer erwärmen, letzteres auch dann nicht, wenn das Bild in der Ausführung vollendeter wäre. - Allein sind diese Werke alle mehr oder minder unbedeutend und nur an¬ zuführen, weil sie die neueste historische Kunst kennzeichnen: so tritt dagegen ein Gemälde von Paul Baudry, Charlotte Corday nach Marats Ermordung, durch seine eindringliche Wirkung vor allen größeren Bildern hervor. Der Maler ist aus seinem bisherigen Gebiete der Mythologie und der alten Welt herausgetreten, um sich an der Bestimmtheit der modernen Geschichte zu versuchen. Ueber die historische Bedeutsamkeit des Motivs läßt sich streiten, wie über den malerischen Werth desselben. Auch hat der Künstler nicht den Zug der leidenschaftlichen Größe, die in der politischen That liegt, zum Aus¬ druck bringen wollen, sondern die Empfindung des in seinem Innersten er¬ schütterten Weibes nach dem vollbrachten Werk im Gegensatz zu der Erschei¬ nung des Todes in dem gräßlich verzerrten Leichnam: das Bild zieht den Gegenstand aus der Oeffentlichkeit in die Gemüthswelt. Und was der Maler gewollt, ist ihm gelungen. Der Leichnam des häßlichen Marat in der Bade- Wanne, in kühner Verkürzung mit dem Kopfe dem Beschauer zugekehrt, das Messer in der Brust, ist in der krampfhaften Bewegung des Sterbens mit furchtbarer Naturwahrheit festgehalten, der Arm. erstarrt aus der Wanne ragend, scheint aus dem Bilde herauszugehen: das häßliche Bild des Todes eines Nichtswürdigen. Am Fenster, in blassem othemlosem Schrecken zusammenge¬ rückt, steht bleich und entsetzt über die eigene That die jugendliche Corday; in den starr bewegten Zügen und der straffen, eingezogenen Haltung des Kör¬ pers ist die Seclencingst vortrefflich ausgedrückt. Den engen Raum erleuchtet °in kaltes, grelles Tageslicht mit einfallendem Sonnenstrahl; die That liegt °ffm und unverhüllt vor den Augen der Welt, kein verhüllender Eindruck schwächt sie ab. Das Beiwerk: ein Stuhl, auf den Fliesen verschüttetes Wasser, einige Bücher, die Wanne, der Anzug des Mädchens u. s. f. ist mit voller Naturtreue in seiner ganzen modernen Nüchternheit wiedergegeben, ohne °em Eindruck des eigentlichen Vorgangs zu schaden; Alles, die Figuren wie °>e Nebendinge, in scharfer Bestimmtheit und genauer, aber nicht kleinlicher Ausführung, ja in fast zu deutlicher, durch die Farbe nicht gelockerter Form.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/463>, abgerufen am 22.07.2024.