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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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welche ein hinlänglich weites Gewissen hatten und die sich auf die "Be¬
deutung der Thatsachen" verstanden (S. 52). Die weitere "Engherzigkeit"
der Breslauer, welche sich die Jesuitenhochschule nicht gefallen lassen wollten,
ist schon oben gewürdigt worden, und daß endlich die Jesuiten hier nie etwas
in der Wissenschaft geleistet haben, dafür kann doch auch das arme Schlesien
nichts, die Patres waren doch durch keinen Kolowratschen Vertrag gebunden
und recrutirten sich aus der ganzen Welt. In Summa müssen wir bekennen,
daß der Verfasser seinem Buche unzweifelhaft geschadet hat, indem er allerlei
persönliche Erfahrungen zu allgemein historischen Momenten auszuspinnen ge¬
sucht hat, und eine bei einem Historiker am.Allerwenigsten zu rechtfertigende
Animosität an den Tag legt gegen die Bevölkerung, unter der und auf die
er wirken soll. Ueber die Verdienste des schlesischen Klerus mag der Herr
Verfasser denken wie er will, wenn er aber unbillig generalisirend einem gan¬
zen Volksstamm allerlei üble Eigenschaft andichtet und dem Schleficrvolke,
welches er als einen "nationalen Mischling" bezeichnet, sein DcutschthuM
"ungemischten Stammes" stolz gegenüberstellt, müssen wir ihm doch bemerken,
daß das Schlesiervolk hier an den Marken des Vaterlandes eine treue Grenz¬
wacht gehalten hat in unwandelbar deutscher Gesinnung vom zehnten Jahr¬
hundert bis jetzt und niemals mit ausländischen Sympathien coquettirt hat,
wie man das manchen Deutschen "ungemischten Stammes" nachsagt, und daß
Schlesien auf dem Gebiete der deutschen Kunst und Wissenschaft eine ehren¬
volle Stellung sich errungen hat, die zu verkennen wir Herrn Professor Rein-
kens für nicht "engherzig" genug halten wollen.

Charakteristisch ist dann noch der Schluß des Buches. Nachdem der
Verfasser die in der Leopoldina herrschende Einmüthigkeit gelobt, fährt er
fort: "es redete aus Allen derselbe Geist, und dies war der Vorzug der geiht"
lichen Societät, wenn sie nur sonst mit der Univcrsitäts-Corporation verträglich
gewesen wäre. Die Universität selbst mußte eine Societät der Geister sein-
Aber als wäre er hier schon zu weit gegangen, beeilt er sich eine Concession
an die Theologie zu machen, indem er hinzufügt: freilich -- man mag sag^
was man will -- die Wahreste edelste Einmüthigkeit wurzelt allein in dem,
der Alles vereint, was in dem Himmel und was aufMroen ist et. Nun,
wenn diese theologische Einheit unerläßlich ist, dann hatten ja die Jesuiten
Recht, und die ganze Opposition des Verfassers gegen dieselben war unmotivirt.
Wir wissen zwar sehr wohl, daß auch Goethe sagt:


Was ist das Heiligste? Das, was heut und ewig die Geister
Tiefer und tiefer gefühlt immer nur einiger macht.

Aber wir können uns doch auch der Ueberzeugung nicht verschließen,
daß wir von einem solchen idealen Standpunkte, wenn er überhaupt je
zu erreichen ist, noch sehr weit entfernt sind, und im Gegensatze zu dew


welche ein hinlänglich weites Gewissen hatten und die sich auf die „Be¬
deutung der Thatsachen" verstanden (S. 52). Die weitere „Engherzigkeit"
der Breslauer, welche sich die Jesuitenhochschule nicht gefallen lassen wollten,
ist schon oben gewürdigt worden, und daß endlich die Jesuiten hier nie etwas
in der Wissenschaft geleistet haben, dafür kann doch auch das arme Schlesien
nichts, die Patres waren doch durch keinen Kolowratschen Vertrag gebunden
und recrutirten sich aus der ganzen Welt. In Summa müssen wir bekennen,
daß der Verfasser seinem Buche unzweifelhaft geschadet hat, indem er allerlei
persönliche Erfahrungen zu allgemein historischen Momenten auszuspinnen ge¬
sucht hat, und eine bei einem Historiker am.Allerwenigsten zu rechtfertigende
Animosität an den Tag legt gegen die Bevölkerung, unter der und auf die
er wirken soll. Ueber die Verdienste des schlesischen Klerus mag der Herr
Verfasser denken wie er will, wenn er aber unbillig generalisirend einem gan¬
zen Volksstamm allerlei üble Eigenschaft andichtet und dem Schleficrvolke,
welches er als einen „nationalen Mischling" bezeichnet, sein DcutschthuM
„ungemischten Stammes" stolz gegenüberstellt, müssen wir ihm doch bemerken,
daß das Schlesiervolk hier an den Marken des Vaterlandes eine treue Grenz¬
wacht gehalten hat in unwandelbar deutscher Gesinnung vom zehnten Jahr¬
hundert bis jetzt und niemals mit ausländischen Sympathien coquettirt hat,
wie man das manchen Deutschen „ungemischten Stammes" nachsagt, und daß
Schlesien auf dem Gebiete der deutschen Kunst und Wissenschaft eine ehren¬
volle Stellung sich errungen hat, die zu verkennen wir Herrn Professor Rein-
kens für nicht „engherzig" genug halten wollen.

Charakteristisch ist dann noch der Schluß des Buches. Nachdem der
Verfasser die in der Leopoldina herrschende Einmüthigkeit gelobt, fährt er
fort: „es redete aus Allen derselbe Geist, und dies war der Vorzug der geiht"
lichen Societät, wenn sie nur sonst mit der Univcrsitäts-Corporation verträglich
gewesen wäre. Die Universität selbst mußte eine Societät der Geister sein-
Aber als wäre er hier schon zu weit gegangen, beeilt er sich eine Concession
an die Theologie zu machen, indem er hinzufügt: freilich — man mag sag^
was man will — die Wahreste edelste Einmüthigkeit wurzelt allein in dem,
der Alles vereint, was in dem Himmel und was aufMroen ist et. Nun,
wenn diese theologische Einheit unerläßlich ist, dann hatten ja die Jesuiten
Recht, und die ganze Opposition des Verfassers gegen dieselben war unmotivirt.
Wir wissen zwar sehr wohl, daß auch Goethe sagt:


Was ist das Heiligste? Das, was heut und ewig die Geister
Tiefer und tiefer gefühlt immer nur einiger macht.

Aber wir können uns doch auch der Ueberzeugung nicht verschließen,
daß wir von einem solchen idealen Standpunkte, wenn er überhaupt je
zu erreichen ist, noch sehr weit entfernt sind, und im Gegensatze zu dew


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[0458] welche ein hinlänglich weites Gewissen hatten und die sich auf die „Be¬ deutung der Thatsachen" verstanden (S. 52). Die weitere „Engherzigkeit" der Breslauer, welche sich die Jesuitenhochschule nicht gefallen lassen wollten, ist schon oben gewürdigt worden, und daß endlich die Jesuiten hier nie etwas in der Wissenschaft geleistet haben, dafür kann doch auch das arme Schlesien nichts, die Patres waren doch durch keinen Kolowratschen Vertrag gebunden und recrutirten sich aus der ganzen Welt. In Summa müssen wir bekennen, daß der Verfasser seinem Buche unzweifelhaft geschadet hat, indem er allerlei persönliche Erfahrungen zu allgemein historischen Momenten auszuspinnen ge¬ sucht hat, und eine bei einem Historiker am.Allerwenigsten zu rechtfertigende Animosität an den Tag legt gegen die Bevölkerung, unter der und auf die er wirken soll. Ueber die Verdienste des schlesischen Klerus mag der Herr Verfasser denken wie er will, wenn er aber unbillig generalisirend einem gan¬ zen Volksstamm allerlei üble Eigenschaft andichtet und dem Schleficrvolke, welches er als einen „nationalen Mischling" bezeichnet, sein DcutschthuM „ungemischten Stammes" stolz gegenüberstellt, müssen wir ihm doch bemerken, daß das Schlesiervolk hier an den Marken des Vaterlandes eine treue Grenz¬ wacht gehalten hat in unwandelbar deutscher Gesinnung vom zehnten Jahr¬ hundert bis jetzt und niemals mit ausländischen Sympathien coquettirt hat, wie man das manchen Deutschen „ungemischten Stammes" nachsagt, und daß Schlesien auf dem Gebiete der deutschen Kunst und Wissenschaft eine ehren¬ volle Stellung sich errungen hat, die zu verkennen wir Herrn Professor Rein- kens für nicht „engherzig" genug halten wollen. Charakteristisch ist dann noch der Schluß des Buches. Nachdem der Verfasser die in der Leopoldina herrschende Einmüthigkeit gelobt, fährt er fort: „es redete aus Allen derselbe Geist, und dies war der Vorzug der geiht" lichen Societät, wenn sie nur sonst mit der Univcrsitäts-Corporation verträglich gewesen wäre. Die Universität selbst mußte eine Societät der Geister sein- Aber als wäre er hier schon zu weit gegangen, beeilt er sich eine Concession an die Theologie zu machen, indem er hinzufügt: freilich — man mag sag^ was man will — die Wahreste edelste Einmüthigkeit wurzelt allein in dem, der Alles vereint, was in dem Himmel und was aufMroen ist et. Nun, wenn diese theologische Einheit unerläßlich ist, dann hatten ja die Jesuiten Recht, und die ganze Opposition des Verfassers gegen dieselben war unmotivirt. Wir wissen zwar sehr wohl, daß auch Goethe sagt: Was ist das Heiligste? Das, was heut und ewig die Geister Tiefer und tiefer gefühlt immer nur einiger macht. Aber wir können uns doch auch der Ueberzeugung nicht verschließen, daß wir von einem solchen idealen Standpunkte, wenn er überhaupt je zu erreichen ist, noch sehr weit entfernt sind, und im Gegensatze zu dew

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/458>, abgerufen am 22.07.2024.