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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Anstalt geäußert, es sei "eine Lumperei mit allen Jesuiten-Universitäten, die
sie allein innehalten", und in ähnlicher Weise hatte sich ein anderer hoher
Beamter ans der Umgebung des Kaisers, Herr von Pein, vernehmen lassen.
Und an diese Aeußerungen knüpft nun direct der Verfasser S. 99 bei seiner
Besprechung der Entwicklung der Leopoldina an. Er weist zunächst auf das
Überzeugendste nach, daß dieselbe nie im eigentlichen Sinne des Wortes eine
Universität gewesen sei, daß die ursprünglich nur mit zwei Facultäten (theol.
und philos.) gegründete Anstalt nie vermocht habe, sich die zwei andern
(Medicin und Jurisprudenz) zu schaffen, und daß auch in der viel umfassenden
philos. Facultät nur wenige Disciplinen (die historische und Naturwissenschaft
so gut wie gar nicht) und auch diese nur verstümmelt vorgetragen worden,
daß endlich die wissenschaftlichen Leistungen der Professoren gleich Null ge¬
wesen seien. Und er findet den Hauptgrund jener Mangelhaftigkeit sehr riesig
in dem Umstände, daß jene sogenannte Universität eben in den Händen der
Jesuiten gelegen habe, daß an die Stelle einer in cvrporativer Freiheit für
sich bestehenden Genossenschaft, deren Ziel allein die Wissenschaft sein sollte,
sich hier Glieder einer auf ganz anderm Boden als dem der Wissenschaft
wurzelnden religiösen Gesellschaft befanden, die. zu unbedingtem Gehorsam
verpflichtet, Zwecken dienen mußten, welche ganz außerhalb des Universitäts¬
kreises lagen, und daß die starre Uniformität, in welcher der Orden seine
Stärke hat, dem freien Streben der Wissenschaft schlechthin feindlich entgegen¬
stehe. Wenn der Verfasser neben diesem Hauptgründe noch andere anführt,
so sind diese in Wahrheit von verschwindend geringer Bedeutung, denn der
Streit um die Universitätsapothcke und die Druckerei hätte sicherlich die An¬
stalt nicht in ihrer Entwicklung gehemmt, und wenn gleich die Bürgerschaft
nicht müde ward, jede weitere Ausdehnung der Baulichkeiten der Anstalt am
Hofe protestirend zu bestreiten, so war das ganz gleichgültig, da die Jesuiten
bei Hose allmächtig waren und, wie der Versasser sich früher einmal aus¬
drückt, "die Bedeutung der Thatsachen" verstanden, das heißt es verstanden,
vor der vollendeten Thatsache auch den berechtigtsten Einspruch verstummen
Zu machen.

In der That, man kann kaum schärfer das Irrationale einer Jesuitenschule
nachweisen, als es hier geschehen ist, und wir wünschen aufrichtigst dem Buche
recht viele Leser, namentlich in Oestreich. -- Aber mit Staunen müssen wir
sogen: eine so geartete, auf solchen Principien gegründete "Pflanzstätte der
Wissenschaft" hätten die Breslauer bereitwilligst aufnehmen sollen? Dem
Verfasser hat es als "engherziger Eigennutz" erscheinen können, daß die Bür¬
gerschaft unablässig protestirt hat? Nach seiner in dem letzteren Theile aus¬
gesprochenen Ansicht sollte man meinen, er müßte eingestehen, daß, selbst wenn
die Bürgerschaft Breslau's nicht, wie sie es in Wahrheit war, protestantisch,


Anstalt geäußert, es sei „eine Lumperei mit allen Jesuiten-Universitäten, die
sie allein innehalten", und in ähnlicher Weise hatte sich ein anderer hoher
Beamter ans der Umgebung des Kaisers, Herr von Pein, vernehmen lassen.
Und an diese Aeußerungen knüpft nun direct der Verfasser S. 99 bei seiner
Besprechung der Entwicklung der Leopoldina an. Er weist zunächst auf das
Überzeugendste nach, daß dieselbe nie im eigentlichen Sinne des Wortes eine
Universität gewesen sei, daß die ursprünglich nur mit zwei Facultäten (theol.
und philos.) gegründete Anstalt nie vermocht habe, sich die zwei andern
(Medicin und Jurisprudenz) zu schaffen, und daß auch in der viel umfassenden
philos. Facultät nur wenige Disciplinen (die historische und Naturwissenschaft
so gut wie gar nicht) und auch diese nur verstümmelt vorgetragen worden,
daß endlich die wissenschaftlichen Leistungen der Professoren gleich Null ge¬
wesen seien. Und er findet den Hauptgrund jener Mangelhaftigkeit sehr riesig
in dem Umstände, daß jene sogenannte Universität eben in den Händen der
Jesuiten gelegen habe, daß an die Stelle einer in cvrporativer Freiheit für
sich bestehenden Genossenschaft, deren Ziel allein die Wissenschaft sein sollte,
sich hier Glieder einer auf ganz anderm Boden als dem der Wissenschaft
wurzelnden religiösen Gesellschaft befanden, die. zu unbedingtem Gehorsam
verpflichtet, Zwecken dienen mußten, welche ganz außerhalb des Universitäts¬
kreises lagen, und daß die starre Uniformität, in welcher der Orden seine
Stärke hat, dem freien Streben der Wissenschaft schlechthin feindlich entgegen¬
stehe. Wenn der Verfasser neben diesem Hauptgründe noch andere anführt,
so sind diese in Wahrheit von verschwindend geringer Bedeutung, denn der
Streit um die Universitätsapothcke und die Druckerei hätte sicherlich die An¬
stalt nicht in ihrer Entwicklung gehemmt, und wenn gleich die Bürgerschaft
nicht müde ward, jede weitere Ausdehnung der Baulichkeiten der Anstalt am
Hofe protestirend zu bestreiten, so war das ganz gleichgültig, da die Jesuiten
bei Hose allmächtig waren und, wie der Versasser sich früher einmal aus¬
drückt, „die Bedeutung der Thatsachen" verstanden, das heißt es verstanden,
vor der vollendeten Thatsache auch den berechtigtsten Einspruch verstummen
Zu machen.

In der That, man kann kaum schärfer das Irrationale einer Jesuitenschule
nachweisen, als es hier geschehen ist, und wir wünschen aufrichtigst dem Buche
recht viele Leser, namentlich in Oestreich. — Aber mit Staunen müssen wir
sogen: eine so geartete, auf solchen Principien gegründete „Pflanzstätte der
Wissenschaft" hätten die Breslauer bereitwilligst aufnehmen sollen? Dem
Verfasser hat es als „engherziger Eigennutz" erscheinen können, daß die Bür¬
gerschaft unablässig protestirt hat? Nach seiner in dem letzteren Theile aus¬
gesprochenen Ansicht sollte man meinen, er müßte eingestehen, daß, selbst wenn
die Bürgerschaft Breslau's nicht, wie sie es in Wahrheit war, protestantisch,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/455>, abgerufen am 22.07.2024.