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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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lutherischen Ketzerei in die Arme werfen. Sind diese Widersprüche Herrn
Professor Reinkens nicht auch aufgefallen? Sollte da in jenen Kämpfen mit
Böhmen nicht noch ein andres Moment sehr bestimmend gewirkt haben als
das religiöse? Ganz unzweifelhaft ist in der hussitischen Bewegung das in
ihr so lebendig hervortretende czechische Element das, was den Schlesien
so antipathisch entgegentritt. Die hier auf ursprünglich slavischem Boden an¬
gesiedelten Deutsche" täuschen sich nicht über die Gefahren, welche ihnen von
einem Wiederaufleben des slavischen Elementes in dem benachbarten Böhmen
drohen, und ich zweifle gar nicht daran, daß die Breslauer Georg Podiebrad
die hussitische Ketzerei gar wohl verziehe" hätten, wäre nicht die nationale
Ketzerei des Czecheuthums so eng mit jener verbunden gewesen, und was nun
speciell die Absicht der Breslauer anbetrifft, in ihrer Stadt eine Hochschule zu
gründen, so wurzelte diese doch unzweifelhaft hauptsächlich in den damals
überall erwachenden humanistischen Bestrebungen, die ihrem Wesen nach nichts
gemein haben mit jenem Fanatismus, zu dem einst Capistrano die Breslauer
zu entflammen gesucht hat, und in vielen Stücken sogar der starren Orthodoxie
feindlich entgegentreten und der Reformation vorarbeiten. Dem Papste gegen¬
über mochten die Breslauer von einer Schutzwehr gegen die hussitische Ketzerei
sprechen, aber in Wahrheit hätten die Breslauer Kaufleute i. I. 1505 sich
schwerlich dazu verstanden, große Opfer zu bringen für die Erhaltung des
strengen Kirchenglaubens. Aber es war in der That nichts natürlicher, als
daß in einer Zeit, wo das Bedürfniß größerer Bildung allgemeiner zu wer¬
den anfing, eine Stadt von so gewaltiger Bedeutung, wie das damalige Bres-
lau war (man lese nur die Schilderungen in Gillets Krctto von Kraftheim
Bd. i), eine Hochschule in ihren Mauern haben wollte, um so mehr. da.
wie sie ausdrücklich geltend machen, "innerhalb vier Tagereisen von Breslau
nirgend keine Akademie sich befindet."

Es folgt in unserm Buche dann auf 36 Seiten eine ausführliche Schil¬
derung der Verhandlungen, welche am Ende des siebzehnten Jahrhunderts zu
der Gründung der als Universität bezeichneten Jesuitcnanstalt führten, trotz
des eifrigen Widerstandes der breslauer Deputaten, die vergebens große
Summen bei den verschiedenen Räthen aufwendeten. Das Klägliche der da¬
maligen Verhältnisse am Wiener Hofe tritt auch aus dieser Darstellung wenig
verhüllt hervor, die schamlose Bestechlichkeit der höchsten Regierungsbeamten,
die Willkür des von den Jesuiten beeinflußten Kaisers Leopold, die Allmacht
des Beichtvaters Wolf, und wenn der Verfasser Leopold gegen Wuttke zu
vertheidigen sucht, so kommt dabei nicht mehr heraus, als daß es fraglich
wird, ob der Kaiser im einzelnen Falle erst hat von seinem Beichtvater be¬
stimmt werden müssen, oder ob er von Jugend auf schon so gut erzogen war,
er auch aus eignem Antriebe die Wege der Jesuiten ging. Daß das


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lutherischen Ketzerei in die Arme werfen. Sind diese Widersprüche Herrn
Professor Reinkens nicht auch aufgefallen? Sollte da in jenen Kämpfen mit
Böhmen nicht noch ein andres Moment sehr bestimmend gewirkt haben als
das religiöse? Ganz unzweifelhaft ist in der hussitischen Bewegung das in
ihr so lebendig hervortretende czechische Element das, was den Schlesien
so antipathisch entgegentritt. Die hier auf ursprünglich slavischem Boden an¬
gesiedelten Deutsche» täuschen sich nicht über die Gefahren, welche ihnen von
einem Wiederaufleben des slavischen Elementes in dem benachbarten Böhmen
drohen, und ich zweifle gar nicht daran, daß die Breslauer Georg Podiebrad
die hussitische Ketzerei gar wohl verziehe» hätten, wäre nicht die nationale
Ketzerei des Czecheuthums so eng mit jener verbunden gewesen, und was nun
speciell die Absicht der Breslauer anbetrifft, in ihrer Stadt eine Hochschule zu
gründen, so wurzelte diese doch unzweifelhaft hauptsächlich in den damals
überall erwachenden humanistischen Bestrebungen, die ihrem Wesen nach nichts
gemein haben mit jenem Fanatismus, zu dem einst Capistrano die Breslauer
zu entflammen gesucht hat, und in vielen Stücken sogar der starren Orthodoxie
feindlich entgegentreten und der Reformation vorarbeiten. Dem Papste gegen¬
über mochten die Breslauer von einer Schutzwehr gegen die hussitische Ketzerei
sprechen, aber in Wahrheit hätten die Breslauer Kaufleute i. I. 1505 sich
schwerlich dazu verstanden, große Opfer zu bringen für die Erhaltung des
strengen Kirchenglaubens. Aber es war in der That nichts natürlicher, als
daß in einer Zeit, wo das Bedürfniß größerer Bildung allgemeiner zu wer¬
den anfing, eine Stadt von so gewaltiger Bedeutung, wie das damalige Bres-
lau war (man lese nur die Schilderungen in Gillets Krctto von Kraftheim
Bd. i), eine Hochschule in ihren Mauern haben wollte, um so mehr. da.
wie sie ausdrücklich geltend machen, „innerhalb vier Tagereisen von Breslau
nirgend keine Akademie sich befindet."

Es folgt in unserm Buche dann auf 36 Seiten eine ausführliche Schil¬
derung der Verhandlungen, welche am Ende des siebzehnten Jahrhunderts zu
der Gründung der als Universität bezeichneten Jesuitcnanstalt führten, trotz
des eifrigen Widerstandes der breslauer Deputaten, die vergebens große
Summen bei den verschiedenen Räthen aufwendeten. Das Klägliche der da¬
maligen Verhältnisse am Wiener Hofe tritt auch aus dieser Darstellung wenig
verhüllt hervor, die schamlose Bestechlichkeit der höchsten Regierungsbeamten,
die Willkür des von den Jesuiten beeinflußten Kaisers Leopold, die Allmacht
des Beichtvaters Wolf, und wenn der Verfasser Leopold gegen Wuttke zu
vertheidigen sucht, so kommt dabei nicht mehr heraus, als daß es fraglich
wird, ob der Kaiser im einzelnen Falle erst hat von seinem Beichtvater be¬
stimmt werden müssen, oder ob er von Jugend auf schon so gut erzogen war,
er auch aus eignem Antriebe die Wege der Jesuiten ging. Daß das


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[0453] lutherischen Ketzerei in die Arme werfen. Sind diese Widersprüche Herrn Professor Reinkens nicht auch aufgefallen? Sollte da in jenen Kämpfen mit Böhmen nicht noch ein andres Moment sehr bestimmend gewirkt haben als das religiöse? Ganz unzweifelhaft ist in der hussitischen Bewegung das in ihr so lebendig hervortretende czechische Element das, was den Schlesien so antipathisch entgegentritt. Die hier auf ursprünglich slavischem Boden an¬ gesiedelten Deutsche» täuschen sich nicht über die Gefahren, welche ihnen von einem Wiederaufleben des slavischen Elementes in dem benachbarten Böhmen drohen, und ich zweifle gar nicht daran, daß die Breslauer Georg Podiebrad die hussitische Ketzerei gar wohl verziehe» hätten, wäre nicht die nationale Ketzerei des Czecheuthums so eng mit jener verbunden gewesen, und was nun speciell die Absicht der Breslauer anbetrifft, in ihrer Stadt eine Hochschule zu gründen, so wurzelte diese doch unzweifelhaft hauptsächlich in den damals überall erwachenden humanistischen Bestrebungen, die ihrem Wesen nach nichts gemein haben mit jenem Fanatismus, zu dem einst Capistrano die Breslauer zu entflammen gesucht hat, und in vielen Stücken sogar der starren Orthodoxie feindlich entgegentreten und der Reformation vorarbeiten. Dem Papste gegen¬ über mochten die Breslauer von einer Schutzwehr gegen die hussitische Ketzerei sprechen, aber in Wahrheit hätten die Breslauer Kaufleute i. I. 1505 sich schwerlich dazu verstanden, große Opfer zu bringen für die Erhaltung des strengen Kirchenglaubens. Aber es war in der That nichts natürlicher, als daß in einer Zeit, wo das Bedürfniß größerer Bildung allgemeiner zu wer¬ den anfing, eine Stadt von so gewaltiger Bedeutung, wie das damalige Bres- lau war (man lese nur die Schilderungen in Gillets Krctto von Kraftheim Bd. i), eine Hochschule in ihren Mauern haben wollte, um so mehr. da. wie sie ausdrücklich geltend machen, „innerhalb vier Tagereisen von Breslau nirgend keine Akademie sich befindet." Es folgt in unserm Buche dann auf 36 Seiten eine ausführliche Schil¬ derung der Verhandlungen, welche am Ende des siebzehnten Jahrhunderts zu der Gründung der als Universität bezeichneten Jesuitcnanstalt führten, trotz des eifrigen Widerstandes der breslauer Deputaten, die vergebens große Summen bei den verschiedenen Räthen aufwendeten. Das Klägliche der da¬ maligen Verhältnisse am Wiener Hofe tritt auch aus dieser Darstellung wenig verhüllt hervor, die schamlose Bestechlichkeit der höchsten Regierungsbeamten, die Willkür des von den Jesuiten beeinflußten Kaisers Leopold, die Allmacht des Beichtvaters Wolf, und wenn der Verfasser Leopold gegen Wuttke zu vertheidigen sucht, so kommt dabei nicht mehr heraus, als daß es fraglich wird, ob der Kaiser im einzelnen Falle erst hat von seinem Beichtvater be¬ stimmt werden müssen, oder ob er von Jugend auf schon so gut erzogen war, er auch aus eignem Antriebe die Wege der Jesuiten ging. Daß das 56*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/453>, abgerufen am 22.07.2024.