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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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lehrten, haben für wissenschaftliche Thätigkeit keine Muße gefunden, keins der
zahlreichen schlesischen Klöster bewahrt nennenswerthe chronikalische Aufzeichnungen
aus alter Zeit. Um so mehr Interesse erregen jene Verse, welche der Heraus¬
geber dem Anfang des 14. Jahrhunderts zuschreibt, und welche uns einen
Blick thun lassen auf die mühseligen Anfänge solcher deutscher religiöser Ge¬
nossenschaft in dem barbarischen Lande. Zweimal, schreibt der Chronist, seien
die Brüder, deren Beschützer Boleslaus zeitweise aus seinem Lande vertrieben
war. nach ihrer Heimat zurückgewandert aus Mangel an Subsistenzmitteln in
der öden Ferne, bis der inzwischen wieder heimgekehrte Herzog sie zurückzu¬
führen und für die Dauer in Leubus anzusiedeln vermochte, und wie elend
fanden sie das Land, größteuihcils unbebaut, von Wäldern erfüllt. Das
arme, zu angestrengter Thätigkeit schwer sich entschließende Volk lebte kümmer¬
lich von Viehzucht, nur hier und da ritzte es mit' dein von Kühen gezogenen
hölzernen Hakenpflnge leicht den sandigen Boden. Erbärmlich gekleidet, bar¬
fuß schritten die Menschen einher. Der Gebrauch des Eisens, überhaupt der
Metalle, der Münzen, ja selbst das Salz war ihnen fremd. Weit und breit
gab es keine Stadt, nur hier und da eine Burg mitten im uncultimrten
Bruchlande und wol auch eine kirre Kapelle, vor der die Märkte abgehalten
wurden. So lebhaft hatte sich noch mehr als ein Jahrhundert nach jener
Zeit dre Ueberlieferung jener traurigen Zustände erhalten. Freilich muß es
dabei immer fraglich bleiben, ob dieselben in dieser Schilderung nicht doch
etwas übertrieben erscheinen. Ganz verschieden hiervon ist nun das zweite
Bild" welches uns ein andres Gedicht aus der zweiten Hälfte des 14. Jahr¬
hunderts zeigt. Da ist die Existenz des Stiftes fest gegründet, ja es ist so¬
gar der Wohlstand dort eingekehrt, das Land umher ist cultivirt und gibt rei¬
chen Ertrag, doch andre Sorgen quälen jetzt die Mönche, Ein übermüthiger
und gewaltthätiger Mök--^wahrscheinlich Wenzel von Liegnitz -j- 1364) mit
seinem rohen ihm nacheifernden Gefolge bedrängt das Kloster unablässig.
So war die Zeit. Höchstens in den umfriedeten Mauern der Städte fanden
Recht und Gesetz eme Glätte, draußen aber herrschte die brutale Gewalt,
und die immer geldbedürftigen Fürsten respectirten nicht im Mindesten die
Heiligkeit des Klosters, und fanden noch eine Art von Sühne darin, wenn
dem einen Stifte einen Theil von dem schenkten, was sie dem andern geraubt
"der abgepreßt; und wie der Herr, so natürlich auch die Knechte -- das war
die Frömmigkeit jener gepriesenen glaubensfreudigen und glaubensinnigen Zeit.
Doch lassen wir unsern Chronisten selbst erzählen, der hier S. 31 in leoni-
Uischen Hexametern das Leid des Leubuser Abtes klagt, den sein Ordenskleid
"icht vor ahlreichen ungebetenen Gästen schütze, welche bald befehlend, bald


Grenzboten III. 1861. ^

lehrten, haben für wissenschaftliche Thätigkeit keine Muße gefunden, keins der
zahlreichen schlesischen Klöster bewahrt nennenswerthe chronikalische Aufzeichnungen
aus alter Zeit. Um so mehr Interesse erregen jene Verse, welche der Heraus¬
geber dem Anfang des 14. Jahrhunderts zuschreibt, und welche uns einen
Blick thun lassen auf die mühseligen Anfänge solcher deutscher religiöser Ge¬
nossenschaft in dem barbarischen Lande. Zweimal, schreibt der Chronist, seien
die Brüder, deren Beschützer Boleslaus zeitweise aus seinem Lande vertrieben
war. nach ihrer Heimat zurückgewandert aus Mangel an Subsistenzmitteln in
der öden Ferne, bis der inzwischen wieder heimgekehrte Herzog sie zurückzu¬
führen und für die Dauer in Leubus anzusiedeln vermochte, und wie elend
fanden sie das Land, größteuihcils unbebaut, von Wäldern erfüllt. Das
arme, zu angestrengter Thätigkeit schwer sich entschließende Volk lebte kümmer¬
lich von Viehzucht, nur hier und da ritzte es mit' dein von Kühen gezogenen
hölzernen Hakenpflnge leicht den sandigen Boden. Erbärmlich gekleidet, bar¬
fuß schritten die Menschen einher. Der Gebrauch des Eisens, überhaupt der
Metalle, der Münzen, ja selbst das Salz war ihnen fremd. Weit und breit
gab es keine Stadt, nur hier und da eine Burg mitten im uncultimrten
Bruchlande und wol auch eine kirre Kapelle, vor der die Märkte abgehalten
wurden. So lebhaft hatte sich noch mehr als ein Jahrhundert nach jener
Zeit dre Ueberlieferung jener traurigen Zustände erhalten. Freilich muß es
dabei immer fraglich bleiben, ob dieselben in dieser Schilderung nicht doch
etwas übertrieben erscheinen. Ganz verschieden hiervon ist nun das zweite
Bild» welches uns ein andres Gedicht aus der zweiten Hälfte des 14. Jahr¬
hunderts zeigt. Da ist die Existenz des Stiftes fest gegründet, ja es ist so¬
gar der Wohlstand dort eingekehrt, das Land umher ist cultivirt und gibt rei¬
chen Ertrag, doch andre Sorgen quälen jetzt die Mönche, Ein übermüthiger
und gewaltthätiger Mök--^wahrscheinlich Wenzel von Liegnitz -j- 1364) mit
seinem rohen ihm nacheifernden Gefolge bedrängt das Kloster unablässig.
So war die Zeit. Höchstens in den umfriedeten Mauern der Städte fanden
Recht und Gesetz eme Glätte, draußen aber herrschte die brutale Gewalt,
und die immer geldbedürftigen Fürsten respectirten nicht im Mindesten die
Heiligkeit des Klosters, und fanden noch eine Art von Sühne darin, wenn
dem einen Stifte einen Theil von dem schenkten, was sie dem andern geraubt
"der abgepreßt; und wie der Herr, so natürlich auch die Knechte — das war
die Frömmigkeit jener gepriesenen glaubensfreudigen und glaubensinnigen Zeit.
Doch lassen wir unsern Chronisten selbst erzählen, der hier S. 31 in leoni-
Uischen Hexametern das Leid des Leubuser Abtes klagt, den sein Ordenskleid
"icht vor ahlreichen ungebetenen Gästen schütze, welche bald befehlend, bald


Grenzboten III. 1861. ^
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[0443] lehrten, haben für wissenschaftliche Thätigkeit keine Muße gefunden, keins der zahlreichen schlesischen Klöster bewahrt nennenswerthe chronikalische Aufzeichnungen aus alter Zeit. Um so mehr Interesse erregen jene Verse, welche der Heraus¬ geber dem Anfang des 14. Jahrhunderts zuschreibt, und welche uns einen Blick thun lassen auf die mühseligen Anfänge solcher deutscher religiöser Ge¬ nossenschaft in dem barbarischen Lande. Zweimal, schreibt der Chronist, seien die Brüder, deren Beschützer Boleslaus zeitweise aus seinem Lande vertrieben war. nach ihrer Heimat zurückgewandert aus Mangel an Subsistenzmitteln in der öden Ferne, bis der inzwischen wieder heimgekehrte Herzog sie zurückzu¬ führen und für die Dauer in Leubus anzusiedeln vermochte, und wie elend fanden sie das Land, größteuihcils unbebaut, von Wäldern erfüllt. Das arme, zu angestrengter Thätigkeit schwer sich entschließende Volk lebte kümmer¬ lich von Viehzucht, nur hier und da ritzte es mit' dein von Kühen gezogenen hölzernen Hakenpflnge leicht den sandigen Boden. Erbärmlich gekleidet, bar¬ fuß schritten die Menschen einher. Der Gebrauch des Eisens, überhaupt der Metalle, der Münzen, ja selbst das Salz war ihnen fremd. Weit und breit gab es keine Stadt, nur hier und da eine Burg mitten im uncultimrten Bruchlande und wol auch eine kirre Kapelle, vor der die Märkte abgehalten wurden. So lebhaft hatte sich noch mehr als ein Jahrhundert nach jener Zeit dre Ueberlieferung jener traurigen Zustände erhalten. Freilich muß es dabei immer fraglich bleiben, ob dieselben in dieser Schilderung nicht doch etwas übertrieben erscheinen. Ganz verschieden hiervon ist nun das zweite Bild» welches uns ein andres Gedicht aus der zweiten Hälfte des 14. Jahr¬ hunderts zeigt. Da ist die Existenz des Stiftes fest gegründet, ja es ist so¬ gar der Wohlstand dort eingekehrt, das Land umher ist cultivirt und gibt rei¬ chen Ertrag, doch andre Sorgen quälen jetzt die Mönche, Ein übermüthiger und gewaltthätiger Mök--^wahrscheinlich Wenzel von Liegnitz -j- 1364) mit seinem rohen ihm nacheifernden Gefolge bedrängt das Kloster unablässig. So war die Zeit. Höchstens in den umfriedeten Mauern der Städte fanden Recht und Gesetz eme Glätte, draußen aber herrschte die brutale Gewalt, und die immer geldbedürftigen Fürsten respectirten nicht im Mindesten die Heiligkeit des Klosters, und fanden noch eine Art von Sühne darin, wenn dem einen Stifte einen Theil von dem schenkten, was sie dem andern geraubt "der abgepreßt; und wie der Herr, so natürlich auch die Knechte — das war die Frömmigkeit jener gepriesenen glaubensfreudigen und glaubensinnigen Zeit. Doch lassen wir unsern Chronisten selbst erzählen, der hier S. 31 in leoni- Uischen Hexametern das Leid des Leubuser Abtes klagt, den sein Ordenskleid "icht vor ahlreichen ungebetenen Gästen schütze, welche bald befehlend, bald Grenzboten III. 1861. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/443>, abgerufen am 23.12.2024.