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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Ungeachtet dieser Kundgebung richteten sie nichts aus. Der Proceß ging durch
alle zuständigen Gerichtsbehörden und endigte mit einer Appellation an den
obersten Gerichtshof in Paris, der zu Gunsten des Müllers Etienne Arnauld
und gegen den Baskischen Aberglauben entschied.

Natürlicherweise waren die Bewohner von Biarritz über diese Niederlage
und den Eingriff in ihre vermeintlichen Rechte im höchsten Grade ausgebracht,
und so kam es denn, daß wenige Jahre später ein Zimmermann. Miguel
Legaret, der. Cagotischer Abkunft verdächtig, sich unter die anderen Leute ge¬
setzt hatte, vom Abb6 und zwei Schoppen des Kirchspiels aus der Kirche ge¬
worfen wurde. Legaret, der sich bei dieser Gelegenheit tapfer mit einem
Messer vertheidigte, wandte sich um Schutz an die Gesetze. In Folge dessen
ward der Abb6 und seine beiden Helfershelfer dazu verurtheilt, an der Kirch¬
thür knieend nach der Messe ein Bekenntniß der Reue vorzulesen. Gegen
dieses Erkenntniß appellirten sie an das Parlament von Bordeaux, doch mit
keinem besseren Erfolg, als weiland die Gegner des Müllers Etienne Arnauld.
Legaret erhielt die Erlaubniß, sich in der Kirche hinzusetzen, wo es ihm beliebte.
Diese Vorfälle zeigten den Einwohnern von Biarritz. daß einem lebenden
Cagot sonach gleiche Rechte wie den andern Menschen zugestanden seien, doch
Mit einem todten Cagot war es ihrer Meinung nach eine andere Sache.
Deshalb gaben sie sich lange Zeit die größte Mühe, ihren Begräbnißplatz
wenigstens von Cagots frei zu erhalten. Allein ebenso beharrlich versuchten
die Cagots den Begräbnißplatz zu einem gemeinschaftlichen zu machen. Die
reine Reine nahm als Beweis das alte Testament zu Hilfe und bezog sich
auf den König Asia (2. B. der Chronik 26. Kap. 23. Vers), der als Aus¬
sätziger auf dem zur Grabstätte der Könige gehörigen Felde, nicht in dieser
selbst beerdigt worden sei. Auf die Gegenbehauptung der Cagots. daß sie
gesund und rüstig und nichts weniger als aussätzig seien, führte man das
schon früher erwähnte Argument an. daß der Aussatz doppelter Natur sei.
wahrnehmbar und nicht. Lieder die Cagots an der letzten Art, wer konnte
dann behaupten, ob sie wieder davon befreit seien? Trotz dieser Beweise blie¬
ben die Cagots hartnäckig bei ihrer Forderung eines gemeinschaftlichen Be-
"räbnißplatzes stehen. Eine Cagotfamilie. Belone mit Namen, sing deshalb
einen Proceß an. der nicht länger als zweiundvierzig Jahre dauerte. Obschon
endlich der Bescheid dahin lautete, daß der Pfarrer von Biarritz für jeden
Eagot. der nicht auf dem allgemeinen Begräbnißplatze beerdigt werde, eine
Strafe von hundert Livres zu erlegen habe, so half dies doch nicht viel;
denn die Einwohner entschädigten den Pfarrer für diese Geldbuße.

Monsieur de Nomagne. Bischof von Tarbes (Departement Hautes-Pyre-
""es), der 1768 starb, bot ihnen die beste Gelegenheit sich in Staatsbürger-


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Ungeachtet dieser Kundgebung richteten sie nichts aus. Der Proceß ging durch
alle zuständigen Gerichtsbehörden und endigte mit einer Appellation an den
obersten Gerichtshof in Paris, der zu Gunsten des Müllers Etienne Arnauld
und gegen den Baskischen Aberglauben entschied.

Natürlicherweise waren die Bewohner von Biarritz über diese Niederlage
und den Eingriff in ihre vermeintlichen Rechte im höchsten Grade ausgebracht,
und so kam es denn, daß wenige Jahre später ein Zimmermann. Miguel
Legaret, der. Cagotischer Abkunft verdächtig, sich unter die anderen Leute ge¬
setzt hatte, vom Abb6 und zwei Schoppen des Kirchspiels aus der Kirche ge¬
worfen wurde. Legaret, der sich bei dieser Gelegenheit tapfer mit einem
Messer vertheidigte, wandte sich um Schutz an die Gesetze. In Folge dessen
ward der Abb6 und seine beiden Helfershelfer dazu verurtheilt, an der Kirch¬
thür knieend nach der Messe ein Bekenntniß der Reue vorzulesen. Gegen
dieses Erkenntniß appellirten sie an das Parlament von Bordeaux, doch mit
keinem besseren Erfolg, als weiland die Gegner des Müllers Etienne Arnauld.
Legaret erhielt die Erlaubniß, sich in der Kirche hinzusetzen, wo es ihm beliebte.
Diese Vorfälle zeigten den Einwohnern von Biarritz. daß einem lebenden
Cagot sonach gleiche Rechte wie den andern Menschen zugestanden seien, doch
Mit einem todten Cagot war es ihrer Meinung nach eine andere Sache.
Deshalb gaben sie sich lange Zeit die größte Mühe, ihren Begräbnißplatz
wenigstens von Cagots frei zu erhalten. Allein ebenso beharrlich versuchten
die Cagots den Begräbnißplatz zu einem gemeinschaftlichen zu machen. Die
reine Reine nahm als Beweis das alte Testament zu Hilfe und bezog sich
auf den König Asia (2. B. der Chronik 26. Kap. 23. Vers), der als Aus¬
sätziger auf dem zur Grabstätte der Könige gehörigen Felde, nicht in dieser
selbst beerdigt worden sei. Auf die Gegenbehauptung der Cagots. daß sie
gesund und rüstig und nichts weniger als aussätzig seien, führte man das
schon früher erwähnte Argument an. daß der Aussatz doppelter Natur sei.
wahrnehmbar und nicht. Lieder die Cagots an der letzten Art, wer konnte
dann behaupten, ob sie wieder davon befreit seien? Trotz dieser Beweise blie¬
ben die Cagots hartnäckig bei ihrer Forderung eines gemeinschaftlichen Be-
«räbnißplatzes stehen. Eine Cagotfamilie. Belone mit Namen, sing deshalb
einen Proceß an. der nicht länger als zweiundvierzig Jahre dauerte. Obschon
endlich der Bescheid dahin lautete, daß der Pfarrer von Biarritz für jeden
Eagot. der nicht auf dem allgemeinen Begräbnißplatze beerdigt werde, eine
Strafe von hundert Livres zu erlegen habe, so half dies doch nicht viel;
denn die Einwohner entschädigten den Pfarrer für diese Geldbuße.

Monsieur de Nomagne. Bischof von Tarbes (Departement Hautes-Pyre-
"«es), der 1768 starb, bot ihnen die beste Gelegenheit sich in Staatsbürger-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/437>, abgerufen am 22.07.2024.