Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

greifende Maßregeln für die Folge unmöglich gemacht, weil man sich des
guten Willens oder wenigstens des Stillschweigens dieser Leute, durch deren
Aussagen sast allein eine Entdeckung möglich ist, versichern muß. Gegen alle
andern Anklagen und die daraus entstehenden Untersuchungen war mau wenigstens
bisher vollkommen gewaffnet, und mißglückte Alles, so mußte endlich ein
Gewaltstreich retten. Einige "auf unbegreifliche Weise entstandene" Magazin¬
brände und mehrere "offenbar nur durch, von unbekannten Thätern verübte,
Diebstähle entstandene" Abgänge sind dieser Veranlassung beizumessen.

Vor einigen Jahren geschah es, daß der Verpflegsamtsvorstand einer
kleinen Garnison aus gewissen Gründen erklärte, aus einer bestimmten Quan¬
tität eines ihm gelieferten Mehles nicht die vorgeschriebene Anzahl von Brod¬
portionen erzeugen zu können. Mau schickte hierauf zur Untersuchung der
Sachlage eine Commission ab, welche mehrere Säcke abwägen und versiegeln
ließ. Am folgenden Tage wurden die Säcke in Gegenwart der Commission
eröffnet, und es sollte nun der Teig angemacht werden. Die fünf Offiziere,
aus welchen die Commission bestand, fingen bald an, sich zu langweilen und
hörten daher mit Vergnügen den lustigen Schwanken eines jungen, wie zu¬
fällig hinzugekommenen Verpflcgsbeamten zu, welcher endlich durch die Vor¬
zeigung mehrerer Carricaturen ihre Aufmerksamkeit für einige Augenblicke ganz
ablenkte. Da drehte sich der eine Offizier zufällig um und erblickte einen Obcr-
bäcker (Corporal), welcher -- rasch einige Schaufeln voll Mehl in das Feuer
des bereits geheizten Backofens warf. Der Thäter wurde allerdings für diese
von seinem Vorgesetzten mit großer Entrüstung desavonirte Handlung empfind¬
lich bestraft, ließ aber bald darauf eine werthvolle Uhr sehen, welche er als
Entschädigung für sein Mißgeschick von seinem Chef erhalten zu haben erzählte!

Beispiele ähnlicher Art könnten zu Dutzenden berichtet werden und sind in
allen Schichten der Armee ebenso bekannt, als überhaupt die große Korrup¬
tion der ganzen Branche ein öffentliches Geheimniß ist.

Man thut aber wenig oder nichts dagegen, weil man eben glaubt, daß
sich die Sache nicht ändern lasse, und weil auch in jenen Fällen, wo die Ber-
Pflegsartikel direct von den Privatproducenten geliefert wurden, Unterschleife
stattgefunden hätten. Man bedenkt aber nicht, daß, wenn der Betrug schon
wirklich unausrottbar sein sollte, es besser ist, das kleinere Uebel zu wäh¬
len, nämlich sich nur von dem Lieferanten übervortheilen zu lassen, statt zuerst
von diesem und dann noch von einer mächtigen Schaar besoldeter Beamten
und Diener geprellt zu werden. Man kann zur Entschuldigung der Beibehal¬
tung dieses Institutes nicht einmal das anführen. daß selbes im Kriege un¬
entbehrlich sei, und daß dann der Soldat, wenn auch kostspielig, so doch ge¬
nügend verpflegt werde. Der Krieg im Jahre 1859 hat das Gegentheil da¬
von sattsam bewiesen. Der Train der Armee und die Zahl der Nichteom-


greifende Maßregeln für die Folge unmöglich gemacht, weil man sich des
guten Willens oder wenigstens des Stillschweigens dieser Leute, durch deren
Aussagen sast allein eine Entdeckung möglich ist, versichern muß. Gegen alle
andern Anklagen und die daraus entstehenden Untersuchungen war mau wenigstens
bisher vollkommen gewaffnet, und mißglückte Alles, so mußte endlich ein
Gewaltstreich retten. Einige „auf unbegreifliche Weise entstandene" Magazin¬
brände und mehrere „offenbar nur durch, von unbekannten Thätern verübte,
Diebstähle entstandene" Abgänge sind dieser Veranlassung beizumessen.

Vor einigen Jahren geschah es, daß der Verpflegsamtsvorstand einer
kleinen Garnison aus gewissen Gründen erklärte, aus einer bestimmten Quan¬
tität eines ihm gelieferten Mehles nicht die vorgeschriebene Anzahl von Brod¬
portionen erzeugen zu können. Mau schickte hierauf zur Untersuchung der
Sachlage eine Commission ab, welche mehrere Säcke abwägen und versiegeln
ließ. Am folgenden Tage wurden die Säcke in Gegenwart der Commission
eröffnet, und es sollte nun der Teig angemacht werden. Die fünf Offiziere,
aus welchen die Commission bestand, fingen bald an, sich zu langweilen und
hörten daher mit Vergnügen den lustigen Schwanken eines jungen, wie zu¬
fällig hinzugekommenen Verpflcgsbeamten zu, welcher endlich durch die Vor¬
zeigung mehrerer Carricaturen ihre Aufmerksamkeit für einige Augenblicke ganz
ablenkte. Da drehte sich der eine Offizier zufällig um und erblickte einen Obcr-
bäcker (Corporal), welcher — rasch einige Schaufeln voll Mehl in das Feuer
des bereits geheizten Backofens warf. Der Thäter wurde allerdings für diese
von seinem Vorgesetzten mit großer Entrüstung desavonirte Handlung empfind¬
lich bestraft, ließ aber bald darauf eine werthvolle Uhr sehen, welche er als
Entschädigung für sein Mißgeschick von seinem Chef erhalten zu haben erzählte!

Beispiele ähnlicher Art könnten zu Dutzenden berichtet werden und sind in
allen Schichten der Armee ebenso bekannt, als überhaupt die große Korrup¬
tion der ganzen Branche ein öffentliches Geheimniß ist.

Man thut aber wenig oder nichts dagegen, weil man eben glaubt, daß
sich die Sache nicht ändern lasse, und weil auch in jenen Fällen, wo die Ber-
Pflegsartikel direct von den Privatproducenten geliefert wurden, Unterschleife
stattgefunden hätten. Man bedenkt aber nicht, daß, wenn der Betrug schon
wirklich unausrottbar sein sollte, es besser ist, das kleinere Uebel zu wäh¬
len, nämlich sich nur von dem Lieferanten übervortheilen zu lassen, statt zuerst
von diesem und dann noch von einer mächtigen Schaar besoldeter Beamten
und Diener geprellt zu werden. Man kann zur Entschuldigung der Beibehal¬
tung dieses Institutes nicht einmal das anführen. daß selbes im Kriege un¬
entbehrlich sei, und daß dann der Soldat, wenn auch kostspielig, so doch ge¬
nügend verpflegt werde. Der Krieg im Jahre 1859 hat das Gegentheil da¬
von sattsam bewiesen. Der Train der Armee und die Zahl der Nichteom-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112385"/>
          <p xml:id="ID_1345" prev="#ID_1344"> greifende Maßregeln für die Folge unmöglich gemacht, weil man sich des<lb/>
guten Willens oder wenigstens des Stillschweigens dieser Leute, durch deren<lb/>
Aussagen sast allein eine Entdeckung möglich ist, versichern muß. Gegen alle<lb/>
andern Anklagen und die daraus entstehenden Untersuchungen war mau wenigstens<lb/>
bisher vollkommen gewaffnet, und mißglückte Alles, so mußte endlich ein<lb/>
Gewaltstreich retten. Einige &#x201E;auf unbegreifliche Weise entstandene" Magazin¬<lb/>
brände und mehrere &#x201E;offenbar nur durch, von unbekannten Thätern verübte,<lb/>
Diebstähle entstandene" Abgänge sind dieser Veranlassung beizumessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1346"> Vor einigen Jahren geschah es, daß der Verpflegsamtsvorstand einer<lb/>
kleinen Garnison aus gewissen Gründen erklärte, aus einer bestimmten Quan¬<lb/>
tität eines ihm gelieferten Mehles nicht die vorgeschriebene Anzahl von Brod¬<lb/>
portionen erzeugen zu können. Mau schickte hierauf zur Untersuchung der<lb/>
Sachlage eine Commission ab, welche mehrere Säcke abwägen und versiegeln<lb/>
ließ. Am folgenden Tage wurden die Säcke in Gegenwart der Commission<lb/>
eröffnet, und es sollte nun der Teig angemacht werden. Die fünf Offiziere,<lb/>
aus welchen die Commission bestand, fingen bald an, sich zu langweilen und<lb/>
hörten daher mit Vergnügen den lustigen Schwanken eines jungen, wie zu¬<lb/>
fällig hinzugekommenen Verpflcgsbeamten zu, welcher endlich durch die Vor¬<lb/>
zeigung mehrerer Carricaturen ihre Aufmerksamkeit für einige Augenblicke ganz<lb/>
ablenkte. Da drehte sich der eine Offizier zufällig um und erblickte einen Obcr-<lb/>
bäcker (Corporal), welcher &#x2014; rasch einige Schaufeln voll Mehl in das Feuer<lb/>
des bereits geheizten Backofens warf. Der Thäter wurde allerdings für diese<lb/>
von seinem Vorgesetzten mit großer Entrüstung desavonirte Handlung empfind¬<lb/>
lich bestraft, ließ aber bald darauf eine werthvolle Uhr sehen, welche er als<lb/>
Entschädigung für sein Mißgeschick von seinem Chef erhalten zu haben erzählte!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1347"> Beispiele ähnlicher Art könnten zu Dutzenden berichtet werden und sind in<lb/>
allen Schichten der Armee ebenso bekannt, als überhaupt die große Korrup¬<lb/>
tion der ganzen Branche ein öffentliches Geheimniß ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1348" next="#ID_1349"> Man thut aber wenig oder nichts dagegen, weil man eben glaubt, daß<lb/>
sich die Sache nicht ändern lasse, und weil auch in jenen Fällen, wo die Ber-<lb/>
Pflegsartikel direct von den Privatproducenten geliefert wurden, Unterschleife<lb/>
stattgefunden hätten. Man bedenkt aber nicht, daß, wenn der Betrug schon<lb/>
wirklich unausrottbar sein sollte, es besser ist, das kleinere Uebel zu wäh¬<lb/>
len, nämlich sich nur von dem Lieferanten übervortheilen zu lassen, statt zuerst<lb/>
von diesem und dann noch von einer mächtigen Schaar besoldeter Beamten<lb/>
und Diener geprellt zu werden. Man kann zur Entschuldigung der Beibehal¬<lb/>
tung dieses Institutes nicht einmal das anführen. daß selbes im Kriege un¬<lb/>
entbehrlich sei, und daß dann der Soldat, wenn auch kostspielig, so doch ge¬<lb/>
nügend verpflegt werde. Der Krieg im Jahre 1859 hat das Gegentheil da¬<lb/>
von sattsam bewiesen.  Der Train der Armee und die Zahl der Nichteom-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0415] greifende Maßregeln für die Folge unmöglich gemacht, weil man sich des guten Willens oder wenigstens des Stillschweigens dieser Leute, durch deren Aussagen sast allein eine Entdeckung möglich ist, versichern muß. Gegen alle andern Anklagen und die daraus entstehenden Untersuchungen war mau wenigstens bisher vollkommen gewaffnet, und mißglückte Alles, so mußte endlich ein Gewaltstreich retten. Einige „auf unbegreifliche Weise entstandene" Magazin¬ brände und mehrere „offenbar nur durch, von unbekannten Thätern verübte, Diebstähle entstandene" Abgänge sind dieser Veranlassung beizumessen. Vor einigen Jahren geschah es, daß der Verpflegsamtsvorstand einer kleinen Garnison aus gewissen Gründen erklärte, aus einer bestimmten Quan¬ tität eines ihm gelieferten Mehles nicht die vorgeschriebene Anzahl von Brod¬ portionen erzeugen zu können. Mau schickte hierauf zur Untersuchung der Sachlage eine Commission ab, welche mehrere Säcke abwägen und versiegeln ließ. Am folgenden Tage wurden die Säcke in Gegenwart der Commission eröffnet, und es sollte nun der Teig angemacht werden. Die fünf Offiziere, aus welchen die Commission bestand, fingen bald an, sich zu langweilen und hörten daher mit Vergnügen den lustigen Schwanken eines jungen, wie zu¬ fällig hinzugekommenen Verpflcgsbeamten zu, welcher endlich durch die Vor¬ zeigung mehrerer Carricaturen ihre Aufmerksamkeit für einige Augenblicke ganz ablenkte. Da drehte sich der eine Offizier zufällig um und erblickte einen Obcr- bäcker (Corporal), welcher — rasch einige Schaufeln voll Mehl in das Feuer des bereits geheizten Backofens warf. Der Thäter wurde allerdings für diese von seinem Vorgesetzten mit großer Entrüstung desavonirte Handlung empfind¬ lich bestraft, ließ aber bald darauf eine werthvolle Uhr sehen, welche er als Entschädigung für sein Mißgeschick von seinem Chef erhalten zu haben erzählte! Beispiele ähnlicher Art könnten zu Dutzenden berichtet werden und sind in allen Schichten der Armee ebenso bekannt, als überhaupt die große Korrup¬ tion der ganzen Branche ein öffentliches Geheimniß ist. Man thut aber wenig oder nichts dagegen, weil man eben glaubt, daß sich die Sache nicht ändern lasse, und weil auch in jenen Fällen, wo die Ber- Pflegsartikel direct von den Privatproducenten geliefert wurden, Unterschleife stattgefunden hätten. Man bedenkt aber nicht, daß, wenn der Betrug schon wirklich unausrottbar sein sollte, es besser ist, das kleinere Uebel zu wäh¬ len, nämlich sich nur von dem Lieferanten übervortheilen zu lassen, statt zuerst von diesem und dann noch von einer mächtigen Schaar besoldeter Beamten und Diener geprellt zu werden. Man kann zur Entschuldigung der Beibehal¬ tung dieses Institutes nicht einmal das anführen. daß selbes im Kriege un¬ entbehrlich sei, und daß dann der Soldat, wenn auch kostspielig, so doch ge¬ nügend verpflegt werde. Der Krieg im Jahre 1859 hat das Gegentheil da¬ von sattsam bewiesen. Der Train der Armee und die Zahl der Nichteom-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/415
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/415>, abgerufen am 23.12.2024.