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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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als Nahrung für den Winter dienen, die Wolle der Schafe ihnen Kleidung
gewähren. Einen andern Nutzen von den Schafe" hatten sie nicht, denn die
Lämmer, die sie von ihnen erhielten, zu esse" war ihnen gleichfalls untersagt. Die
cinz igcVergünstigrmg, die sie genossen, bestand darin, daß sie von ihren Lämmern
anstatt der alten Schafe die besten zur Zucht auslesen durften. Um die Befolgung
dieser Verordnung zu conttoliren, ginge" zu Martini jedes Jahres die Ortsbehörde"
herum und überzählten den Viehstand eines jeden Cagots. Besaß er mehr als
die bestimmte Anzahl, so wurden ihm die überzähligen Thiere weggenomme".
Die eine Hälfte erhielt die Gemeinde, die andere der Gemeindevorsteher. Doch
nicht auf die Menschen allein, auch auf die Thiere erstreckte sich dieser Druck
und diese Beschränkung. Während d>e Heerden der Dorfbewohner die Gemeinde¬
weiden unbeschränkt benutzen und sich das Beste auswählen konnten, war d.'ii
Thieren der Cagots nur ein beschränkter, jedoch durch keine Einfriedigung ab¬
geschlossener. Raum zur Weide angewiesen. Ueberschntt nun eins ihrer Thiere
die Grenzlinie, so war jedermann berechtigt es zu todten. Von dem Fleische
erhielt dann der Eigenthümer nur einen geringen Theil. Der Schaden, de"
ein Cagotsschaf angerichtet, ward abgeschätzt und war von seinem Herrn zu
tragen.

In Städten durften sie nie ihre Wohnung haben. Strenge Gesetze geboten
jedem Cagot, der fast nur seines Gewerbes wegen die Stadt betrat, allen
Begegnenden gehörig auszuweichen. Durch jede Verordnung wurden sie a"
ihre armselige Lage erinnert. In allen Städten des Distrikts, den sie diesseits
und jenseits der Pyrenäen. -- in den französischen und spanischen Theilen ^
bewohnten, war es ihnen untersagt etwas Eßbares zu kaufen oder zu ver¬
kaufen; ebenso durften sie nicht in der Mitte der Straßen gehen. Vor So"ne"-
aufgang eine Stadt zu betreten, sowie nach Sonnenuntergang sich noch
deren Mauern aufzuhalten, war ihnen ebenfalls nicht gestattet.

Obschon allerdings die Cagots von Natur gewisse Kennzeichen ihrer Ab¬
kunft an sich trugen, so wurden sie doch, um sie jedem Begegnenden saso^
kenntlich zu machen, gezwungen, auch gewisse auffallende Kennzeichen an ihrer
Kleidung zu tragen. In den meisten Städten war daher die Bestimmung
getroffen worden, daß jeder Cagot aus der vorderen Seite seines Kleides el"
Stück rothen Zeuges tragen sollte; in anderen Städten bestand dieses Zeiche"
in einer Eierschaale oder einem Enten- resp. Gänsefüße über der linken Schuld'
Statt dessen wählte man später ein in Gestalt eines Entensußes ausgeseh"^
jenes Stück gelben Tuches. Ward ein Cagot in Stadt oder Dorf ohne
Zeichen angetroffen, so hatte er eine Strafe von etwa 5 Sou's zu erlegen "n
verlor seine Kleider. Es ist wahrhaft empörend, wie weit die Grausamkeit u"
Bedrückung gegen diesen bemitleidenswerthen Stamm ging. Arbeitete c">
Cagot in einer Stadt, so hatte er kein Mittel seine" Durst zu stille"; denn


als Nahrung für den Winter dienen, die Wolle der Schafe ihnen Kleidung
gewähren. Einen andern Nutzen von den Schafe» hatten sie nicht, denn die
Lämmer, die sie von ihnen erhielten, zu esse» war ihnen gleichfalls untersagt. Die
cinz igcVergünstigrmg, die sie genossen, bestand darin, daß sie von ihren Lämmern
anstatt der alten Schafe die besten zur Zucht auslesen durften. Um die Befolgung
dieser Verordnung zu conttoliren, ginge» zu Martini jedes Jahres die Ortsbehörde»
herum und überzählten den Viehstand eines jeden Cagots. Besaß er mehr als
die bestimmte Anzahl, so wurden ihm die überzähligen Thiere weggenomme».
Die eine Hälfte erhielt die Gemeinde, die andere der Gemeindevorsteher. Doch
nicht auf die Menschen allein, auch auf die Thiere erstreckte sich dieser Druck
und diese Beschränkung. Während d>e Heerden der Dorfbewohner die Gemeinde¬
weiden unbeschränkt benutzen und sich das Beste auswählen konnten, war d.'ii
Thieren der Cagots nur ein beschränkter, jedoch durch keine Einfriedigung ab¬
geschlossener. Raum zur Weide angewiesen. Ueberschntt nun eins ihrer Thiere
die Grenzlinie, so war jedermann berechtigt es zu todten. Von dem Fleische
erhielt dann der Eigenthümer nur einen geringen Theil. Der Schaden, de»
ein Cagotsschaf angerichtet, ward abgeschätzt und war von seinem Herrn zu
tragen.

In Städten durften sie nie ihre Wohnung haben. Strenge Gesetze geboten
jedem Cagot, der fast nur seines Gewerbes wegen die Stadt betrat, allen
Begegnenden gehörig auszuweichen. Durch jede Verordnung wurden sie a"
ihre armselige Lage erinnert. In allen Städten des Distrikts, den sie diesseits
und jenseits der Pyrenäen. — in den französischen und spanischen Theilen ^
bewohnten, war es ihnen untersagt etwas Eßbares zu kaufen oder zu ver¬
kaufen; ebenso durften sie nicht in der Mitte der Straßen gehen. Vor So»ne»-
aufgang eine Stadt zu betreten, sowie nach Sonnenuntergang sich noch
deren Mauern aufzuhalten, war ihnen ebenfalls nicht gestattet.

Obschon allerdings die Cagots von Natur gewisse Kennzeichen ihrer Ab¬
kunft an sich trugen, so wurden sie doch, um sie jedem Begegnenden saso^
kenntlich zu machen, gezwungen, auch gewisse auffallende Kennzeichen an ihrer
Kleidung zu tragen. In den meisten Städten war daher die Bestimmung
getroffen worden, daß jeder Cagot aus der vorderen Seite seines Kleides el»
Stück rothen Zeuges tragen sollte; in anderen Städten bestand dieses Zeiche"
in einer Eierschaale oder einem Enten- resp. Gänsefüße über der linken Schuld'
Statt dessen wählte man später ein in Gestalt eines Entensußes ausgeseh"^
jenes Stück gelben Tuches. Ward ein Cagot in Stadt oder Dorf ohne
Zeichen angetroffen, so hatte er eine Strafe von etwa 5 Sou's zu erlegen »n
verlor seine Kleider. Es ist wahrhaft empörend, wie weit die Grausamkeit u»
Bedrückung gegen diesen bemitleidenswerthen Stamm ging. Arbeitete c»>
Cagot in einer Stadt, so hatte er kein Mittel seine» Durst zu stille»; denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/404>, abgerufen am 23.12.2024.