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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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malerischen Reichthum früherer Zeiten nur schwer ein, auch dieser will in sei¬
ner Phantasie nicht recht wieder aufleben, So wird der Maler nur zu leicht
in Aeußerlichkeiten und im Detail stecken bleiben, seine Gestalten werden Kleider-
stbcke. behängte Gliedcrmänner ohne Charakter und Leben; oder kommt es
ihm mehr auf den Gehalt, die Idee an. so wird diese leicht unverarbeitet,
unkünstlerisch aus dem Rahmen herausspringen, sie hat die Gestalten nicht durch¬
drungen und diese haben das Aussehen von declamirenden Theaterhelden,
denen der fremdartige Putz wohl oder übel steht. Wie soll da in das Werk
des Malers ein volles bewegtes Leben kommen, das in Form und Farbe ganz
gesättigt und doch von einer geistigen Strömung durchfluthet ist. welche dem
Bild den Zug und Schwung der Phantasie, der Seele zur Seele gibt! --

Unter diesen Verhältnissen ist es kein Wunder, wenn der Künstler andrer¬
seits nach Stoffen sucht, die den ästhetischen Weg durch die Phantasie schon
einmal gemacht haben und in der Vorstellung wieder aufleben können, oder
auch nach einer Wirklichkeit greift, die zwar von den großen Interessen des
Zeitalters nicht bewegt ist. aber den Reiz der malerischen Erscheinung hat.
Daher wendet er sich einerseits an die Märchenwelt, die Dichter, an die Kunst¬
geschichte, an die Mythe, soweit ihre Gestalten auch für das heutige Bewußtsein
noch möglich sind und nicht an einem Ueberschuß von Unendlichkeit leiden. Andrer¬
seits wandert er mit Skizzenbuch und Mappe zu den Stämmen des warmen,
farbigen Südens, zu den von der Cultur noch unzerfressenen Völkern und Ge¬
genden des Abendlandes, die sich die Unruhe des Werdens wenig anfechten
lassen, sondern in beschaulicher Zuständlichkeit verharren. Wir werden beide
Richtungen in der französischen Kunst reichlich vertreten finden, und auch h>^
wird sich zeigen, daß die Kunst, was sie auf der einen Seite gewinnt, "Ah
der andern verliert.

Oder es tritt ein anderer im gewissen Sinn entgegengesetzter Fall ein.
Der Maler, von dem Gefühl durchdrungen, daß in der Malerei vor Allem
das Leben der Gegenwart pulsiren soll, verzichtet auf die ideale Ferne und
Vergangenheit. Aber mit dem. was die Zeit Großes und Eigenthümliches
hat. weiß er nichts anzufangen; denn es zieht sich in die Innerlichkeit der
geistigen Arbeit zurück. Er hält sich daher im Rückschlag gegen alle klmsi'
lichen Neubelebungsversuche der Phantasie an die platte Wirklichkeit, die "lM
Rest in die gewöhnliche Erscheinung aufgeht, und sucht die Kunst in der M-
schicklichkeit, mit der er die Wahrheit der Oberflüche wiedergibt, das Leben
in der'täuschenden Treue der bloß natürlichen Gestalt und Bewegung. Diele
Richtung, welche un bewußten Gegensatz zum Idealismus, der den Boden
unter den Füßen verloren hat, und zu der Sitte, welche von der Natur su'l)
geradezu abwendet, das Gemeine und Alltägliche in seiner ganzen Erdenschwere
für das Wahre erklärt und in die Kunst aufnimmt, dieser Realismus neueste"


malerischen Reichthum früherer Zeiten nur schwer ein, auch dieser will in sei¬
ner Phantasie nicht recht wieder aufleben, So wird der Maler nur zu leicht
in Aeußerlichkeiten und im Detail stecken bleiben, seine Gestalten werden Kleider-
stbcke. behängte Gliedcrmänner ohne Charakter und Leben; oder kommt es
ihm mehr auf den Gehalt, die Idee an. so wird diese leicht unverarbeitet,
unkünstlerisch aus dem Rahmen herausspringen, sie hat die Gestalten nicht durch¬
drungen und diese haben das Aussehen von declamirenden Theaterhelden,
denen der fremdartige Putz wohl oder übel steht. Wie soll da in das Werk
des Malers ein volles bewegtes Leben kommen, das in Form und Farbe ganz
gesättigt und doch von einer geistigen Strömung durchfluthet ist. welche dem
Bild den Zug und Schwung der Phantasie, der Seele zur Seele gibt! —

Unter diesen Verhältnissen ist es kein Wunder, wenn der Künstler andrer¬
seits nach Stoffen sucht, die den ästhetischen Weg durch die Phantasie schon
einmal gemacht haben und in der Vorstellung wieder aufleben können, oder
auch nach einer Wirklichkeit greift, die zwar von den großen Interessen des
Zeitalters nicht bewegt ist. aber den Reiz der malerischen Erscheinung hat.
Daher wendet er sich einerseits an die Märchenwelt, die Dichter, an die Kunst¬
geschichte, an die Mythe, soweit ihre Gestalten auch für das heutige Bewußtsein
noch möglich sind und nicht an einem Ueberschuß von Unendlichkeit leiden. Andrer¬
seits wandert er mit Skizzenbuch und Mappe zu den Stämmen des warmen,
farbigen Südens, zu den von der Cultur noch unzerfressenen Völkern und Ge¬
genden des Abendlandes, die sich die Unruhe des Werdens wenig anfechten
lassen, sondern in beschaulicher Zuständlichkeit verharren. Wir werden beide
Richtungen in der französischen Kunst reichlich vertreten finden, und auch h>^
wird sich zeigen, daß die Kunst, was sie auf der einen Seite gewinnt, "Ah
der andern verliert.

Oder es tritt ein anderer im gewissen Sinn entgegengesetzter Fall ein.
Der Maler, von dem Gefühl durchdrungen, daß in der Malerei vor Allem
das Leben der Gegenwart pulsiren soll, verzichtet auf die ideale Ferne und
Vergangenheit. Aber mit dem. was die Zeit Großes und Eigenthümliches
hat. weiß er nichts anzufangen; denn es zieht sich in die Innerlichkeit der
geistigen Arbeit zurück. Er hält sich daher im Rückschlag gegen alle klmsi'
lichen Neubelebungsversuche der Phantasie an die platte Wirklichkeit, die "lM
Rest in die gewöhnliche Erscheinung aufgeht, und sucht die Kunst in der M-
schicklichkeit, mit der er die Wahrheit der Oberflüche wiedergibt, das Leben
in der'täuschenden Treue der bloß natürlichen Gestalt und Bewegung. Diele
Richtung, welche un bewußten Gegensatz zum Idealismus, der den Boden
unter den Füßen verloren hat, und zu der Sitte, welche von der Natur su'l)
geradezu abwendet, das Gemeine und Alltägliche in seiner ganzen Erdenschwere
für das Wahre erklärt und in die Kunst aufnimmt, dieser Realismus neueste»


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[0386] malerischen Reichthum früherer Zeiten nur schwer ein, auch dieser will in sei¬ ner Phantasie nicht recht wieder aufleben, So wird der Maler nur zu leicht in Aeußerlichkeiten und im Detail stecken bleiben, seine Gestalten werden Kleider- stbcke. behängte Gliedcrmänner ohne Charakter und Leben; oder kommt es ihm mehr auf den Gehalt, die Idee an. so wird diese leicht unverarbeitet, unkünstlerisch aus dem Rahmen herausspringen, sie hat die Gestalten nicht durch¬ drungen und diese haben das Aussehen von declamirenden Theaterhelden, denen der fremdartige Putz wohl oder übel steht. Wie soll da in das Werk des Malers ein volles bewegtes Leben kommen, das in Form und Farbe ganz gesättigt und doch von einer geistigen Strömung durchfluthet ist. welche dem Bild den Zug und Schwung der Phantasie, der Seele zur Seele gibt! — Unter diesen Verhältnissen ist es kein Wunder, wenn der Künstler andrer¬ seits nach Stoffen sucht, die den ästhetischen Weg durch die Phantasie schon einmal gemacht haben und in der Vorstellung wieder aufleben können, oder auch nach einer Wirklichkeit greift, die zwar von den großen Interessen des Zeitalters nicht bewegt ist. aber den Reiz der malerischen Erscheinung hat. Daher wendet er sich einerseits an die Märchenwelt, die Dichter, an die Kunst¬ geschichte, an die Mythe, soweit ihre Gestalten auch für das heutige Bewußtsein noch möglich sind und nicht an einem Ueberschuß von Unendlichkeit leiden. Andrer¬ seits wandert er mit Skizzenbuch und Mappe zu den Stämmen des warmen, farbigen Südens, zu den von der Cultur noch unzerfressenen Völkern und Ge¬ genden des Abendlandes, die sich die Unruhe des Werdens wenig anfechten lassen, sondern in beschaulicher Zuständlichkeit verharren. Wir werden beide Richtungen in der französischen Kunst reichlich vertreten finden, und auch h>^ wird sich zeigen, daß die Kunst, was sie auf der einen Seite gewinnt, "Ah der andern verliert. Oder es tritt ein anderer im gewissen Sinn entgegengesetzter Fall ein. Der Maler, von dem Gefühl durchdrungen, daß in der Malerei vor Allem das Leben der Gegenwart pulsiren soll, verzichtet auf die ideale Ferne und Vergangenheit. Aber mit dem. was die Zeit Großes und Eigenthümliches hat. weiß er nichts anzufangen; denn es zieht sich in die Innerlichkeit der geistigen Arbeit zurück. Er hält sich daher im Rückschlag gegen alle klmsi' lichen Neubelebungsversuche der Phantasie an die platte Wirklichkeit, die "lM Rest in die gewöhnliche Erscheinung aufgeht, und sucht die Kunst in der M- schicklichkeit, mit der er die Wahrheit der Oberflüche wiedergibt, das Leben in der'täuschenden Treue der bloß natürlichen Gestalt und Bewegung. Diele Richtung, welche un bewußten Gegensatz zum Idealismus, der den Boden unter den Füßen verloren hat, und zu der Sitte, welche von der Natur su'l) geradezu abwendet, das Gemeine und Alltägliche in seiner ganzen Erdenschwere für das Wahre erklärt und in die Kunst aufnimmt, dieser Realismus neueste»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/386>, abgerufen am 23.07.2024.