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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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als körperlose Schemen, Marionetten, die am Nagel hängen. Gelingt auel
dem Einzelnen noch einmal ein frommer Aufschwung, im Ganzen ist dies
Reich zerstoben.

Nicht ganz so verhält es sich mit der antiken Sagenwelt. In ihr ist die
Idee ganz in die schöne Form aufgegangen, sie hat die Erscheinung gesättigt
und Gestalten geschaffen, mit denen die Phantasie sich wieder erfüllen kann,
auch ohne an sie zu glauben; denn sie machen keinen Anspruch auf eine inner-
liche, wider- oder übernatürliche Göttlichkeit, die aus.ihnen ahnungsvoll her-
vorleuchten soll und auf eine unendliche Tiefe zurückweist. Sie sind die nach'
eigen. aber wunderlosen Vertreter der Natur und Sitte. Das Innere hat
sich ganz in das Aeußere ergossen zu weltlichen Bildern des Schöne", welche
die Empfindung freilassen, die Götter und Heroen haben auf ihre göttliche
Verehrung verzichtet, und so mag sich die Phantasie hier und da in diese
vergangene Anschauung zurückversetzen. Aber fremd ist ihr im Grunde doch
auch diese Welt geworden, und ihre Neubelebung bleibt ein künstlicher
Proceß.

Der Maler steht nicht mehr auf dem Boden einer allgemeinen mit be>
stimmten Bildern und Gestalten bevölkerten Phantasie, an der sich die seinige
entzünden könnte und in die er nur hineinzugreifen hätte. Die Welt ist ihm
nicht mehr in einer zweiten menschlich empfundenen Form freundlich nahe,
sondern steht ihm in ihrer ganzen Härte und Festigkeit rauh gegenüber.

Er hat nun eine doppelte Arbeit, die er früher nicht hatte: er muß sich
mit seiner Phantasie in die Wirklichkeit einleben, diese in sich einbilden, sie
innerlich erwärmen und durchleuchten, damit er sie gestalten kann, und da""
die Phantasie des Beschauers, die ihm früher auf halbem Wege entgegen'
kam. für seine Anschauung erst gewinnen. So lange er sich an die gege"'
wärtige Erscheinung der Dinge, an die Natur und an einfache, allgemein
menschliche Zustände hält, hat er noch leichtes Spiel, ja hier zeigt sich vo"
vornherein der Ersatz, den er für den Verlust der Mythenwelt durch die Rea-
lität selber erhalten hat. Landschaft und Genre sind ihm in früher unge-
kannter Weite erschlossen. Indessen wird ihm schon hierin die nüchterne pha"'
tasielose Betrachtung, an der das Zeitalter leidet, zur gefährliche" Klippe; er
kann, statt die Wirklichkeit in den lichten Aether der innern Stimmung ein¬
zutauchen, in ihr hängen bleiben und ein mattes schweres Abbild geben. A"ab
für die Holländer und Niederländer war das Reich der Mythe entseelt und
abgeblaßt; aber sie fanden einen Ersatz in ihrem Sinn für die heitere, farben¬
reiche Erscheinung und für die gemüthlichen Beziehungen des Lebens, das w
einer behaglich beschränkten und sichern Existenz sich befriedigt fühlte. Alles
wurde ihnen anschaulich, der Mensch und die Dinge. Wo ihre Phantasie, §"
bequem, um tieferen Beziehungen nachzugehen, mehr bei dem äußern Sy>et


als körperlose Schemen, Marionetten, die am Nagel hängen. Gelingt auel
dem Einzelnen noch einmal ein frommer Aufschwung, im Ganzen ist dies
Reich zerstoben.

Nicht ganz so verhält es sich mit der antiken Sagenwelt. In ihr ist die
Idee ganz in die schöne Form aufgegangen, sie hat die Erscheinung gesättigt
und Gestalten geschaffen, mit denen die Phantasie sich wieder erfüllen kann,
auch ohne an sie zu glauben; denn sie machen keinen Anspruch auf eine inner-
liche, wider- oder übernatürliche Göttlichkeit, die aus.ihnen ahnungsvoll her-
vorleuchten soll und auf eine unendliche Tiefe zurückweist. Sie sind die nach'
eigen. aber wunderlosen Vertreter der Natur und Sitte. Das Innere hat
sich ganz in das Aeußere ergossen zu weltlichen Bildern des Schöne», welche
die Empfindung freilassen, die Götter und Heroen haben auf ihre göttliche
Verehrung verzichtet, und so mag sich die Phantasie hier und da in diese
vergangene Anschauung zurückversetzen. Aber fremd ist ihr im Grunde doch
auch diese Welt geworden, und ihre Neubelebung bleibt ein künstlicher
Proceß.

Der Maler steht nicht mehr auf dem Boden einer allgemeinen mit be>
stimmten Bildern und Gestalten bevölkerten Phantasie, an der sich die seinige
entzünden könnte und in die er nur hineinzugreifen hätte. Die Welt ist ihm
nicht mehr in einer zweiten menschlich empfundenen Form freundlich nahe,
sondern steht ihm in ihrer ganzen Härte und Festigkeit rauh gegenüber.

Er hat nun eine doppelte Arbeit, die er früher nicht hatte: er muß sich
mit seiner Phantasie in die Wirklichkeit einleben, diese in sich einbilden, sie
innerlich erwärmen und durchleuchten, damit er sie gestalten kann, und da»"
die Phantasie des Beschauers, die ihm früher auf halbem Wege entgegen'
kam. für seine Anschauung erst gewinnen. So lange er sich an die gege»'
wärtige Erscheinung der Dinge, an die Natur und an einfache, allgemein
menschliche Zustände hält, hat er noch leichtes Spiel, ja hier zeigt sich vo»
vornherein der Ersatz, den er für den Verlust der Mythenwelt durch die Rea-
lität selber erhalten hat. Landschaft und Genre sind ihm in früher unge-
kannter Weite erschlossen. Indessen wird ihm schon hierin die nüchterne pha»'
tasielose Betrachtung, an der das Zeitalter leidet, zur gefährliche» Klippe; er
kann, statt die Wirklichkeit in den lichten Aether der innern Stimmung ein¬
zutauchen, in ihr hängen bleiben und ein mattes schweres Abbild geben. A»ab
für die Holländer und Niederländer war das Reich der Mythe entseelt und
abgeblaßt; aber sie fanden einen Ersatz in ihrem Sinn für die heitere, farben¬
reiche Erscheinung und für die gemüthlichen Beziehungen des Lebens, das w
einer behaglich beschränkten und sichern Existenz sich befriedigt fühlte. Alles
wurde ihnen anschaulich, der Mensch und die Dinge. Wo ihre Phantasie, §"
bequem, um tieferen Beziehungen nachzugehen, mehr bei dem äußern Sy>et


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[0384] als körperlose Schemen, Marionetten, die am Nagel hängen. Gelingt auel dem Einzelnen noch einmal ein frommer Aufschwung, im Ganzen ist dies Reich zerstoben. Nicht ganz so verhält es sich mit der antiken Sagenwelt. In ihr ist die Idee ganz in die schöne Form aufgegangen, sie hat die Erscheinung gesättigt und Gestalten geschaffen, mit denen die Phantasie sich wieder erfüllen kann, auch ohne an sie zu glauben; denn sie machen keinen Anspruch auf eine inner- liche, wider- oder übernatürliche Göttlichkeit, die aus.ihnen ahnungsvoll her- vorleuchten soll und auf eine unendliche Tiefe zurückweist. Sie sind die nach' eigen. aber wunderlosen Vertreter der Natur und Sitte. Das Innere hat sich ganz in das Aeußere ergossen zu weltlichen Bildern des Schöne», welche die Empfindung freilassen, die Götter und Heroen haben auf ihre göttliche Verehrung verzichtet, und so mag sich die Phantasie hier und da in diese vergangene Anschauung zurückversetzen. Aber fremd ist ihr im Grunde doch auch diese Welt geworden, und ihre Neubelebung bleibt ein künstlicher Proceß. Der Maler steht nicht mehr auf dem Boden einer allgemeinen mit be> stimmten Bildern und Gestalten bevölkerten Phantasie, an der sich die seinige entzünden könnte und in die er nur hineinzugreifen hätte. Die Welt ist ihm nicht mehr in einer zweiten menschlich empfundenen Form freundlich nahe, sondern steht ihm in ihrer ganzen Härte und Festigkeit rauh gegenüber. Er hat nun eine doppelte Arbeit, die er früher nicht hatte: er muß sich mit seiner Phantasie in die Wirklichkeit einleben, diese in sich einbilden, sie innerlich erwärmen und durchleuchten, damit er sie gestalten kann, und da»" die Phantasie des Beschauers, die ihm früher auf halbem Wege entgegen' kam. für seine Anschauung erst gewinnen. So lange er sich an die gege»' wärtige Erscheinung der Dinge, an die Natur und an einfache, allgemein menschliche Zustände hält, hat er noch leichtes Spiel, ja hier zeigt sich vo» vornherein der Ersatz, den er für den Verlust der Mythenwelt durch die Rea- lität selber erhalten hat. Landschaft und Genre sind ihm in früher unge- kannter Weite erschlossen. Indessen wird ihm schon hierin die nüchterne pha»' tasielose Betrachtung, an der das Zeitalter leidet, zur gefährliche» Klippe; er kann, statt die Wirklichkeit in den lichten Aether der innern Stimmung ein¬ zutauchen, in ihr hängen bleiben und ein mattes schweres Abbild geben. A»ab für die Holländer und Niederländer war das Reich der Mythe entseelt und abgeblaßt; aber sie fanden einen Ersatz in ihrem Sinn für die heitere, farben¬ reiche Erscheinung und für die gemüthlichen Beziehungen des Lebens, das w einer behaglich beschränkten und sichern Existenz sich befriedigt fühlte. Alles wurde ihnen anschaulich, der Mensch und die Dinge. Wo ihre Phantasie, §" bequem, um tieferen Beziehungen nachzugehen, mehr bei dem äußern Sy>et

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/384>, abgerufen am 26.08.2024.