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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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lichen Europas beherrschte. Am Besten und Genauesten wissen es die Be¬
wohner von Bremen und Hamburg selbst, und kein öffentliches Gastmahl ver¬
geht in diesen Städten, bei welchem nicht die Enkel die Schatten einer großen
Vergangenheit herbeirufen, um von der Macht des deutschen Handelsstandes
und der deutschen Handelsstädte Zeugniß abzulegen.

Es ist vielleicht gut. "die Städte" daran zu erinnern, daß das Jahr 1861
die Feier der halbtausendjährigen Gründung der hansischen Seemacht in
sich trägt. Man scheint das in jenen Städten vergessen zu haben. Und die
Enkel könnten von dem, was man im Jahre 1361 that, dasjenige lernen, was
man im Jahre 1861 zu thun haben wird. Die fünshundertjährige Wieder¬
kehr der Erinnerung an die Gründung der größten Seemacht des Mittelalters
wird die Rechtfertigung dafür bilden, daß wir weit entlegene Geschichten dein
Auge einer Gegenwart vorführen, die sich auf den Höhen der Zeiten dünkt.
Wir werden von dieser Abschweifung zu unserer Zeit zurückkehren, damit sie
in diesem Spiegel eine Vergleichung anstelle.

Im Jahre 1361 war Karl der Vierte deutscher Kaiser; Deutschland war
damals schon in ähnlicher Weise wie gegenwärtig im Innern zerfallen. "aä>
Außen ohnmächtig. Die Fürsten, Grafen und Herrn regierten selbständig >"
dem Territorium. Die von ihnen ganz oder zum Theil unabhängigen Städte
des nördlichen Deutschlands und vor Allem die Seestädte hatten Niemand,
der ihre Interessen vertrat. Sie hatten sich aber schon seit lange selbst ge'
holsen. Sie wußten sich des Feudaladels zu erwehren, der die Verkehrsstraße"
durch Räubereien unsicher machte, und hatten dadurch dem Handel, den su'
zwischen dem Osten und Westen Europas vermittelten, eine feste Grundlage
gegeben.

Der deutsche Seehandel bestand damals wesentlich in dem Austausch der
Producte Rußlands und der Ostküsten gegen die Producte der westlichen und
südlichen Länder Europas. Der Handel Dänemarks, Schwedens und Nor>
wegens lag damals ganz und ausschließlich in den Händen der deutsche"
Ostseeküste. Als.Entrepot für die sämmtlichen russischen Waaren, vor Allem
Pelzwerk, diente die nominell auf schwedischen Boden belegene Hauptstadt der
Insel Gothland, Wisby. eine damals überwiegend von deutschen Kaufleute"
bewohnte, im Wesentlichen unabhängige Stadt.

Bis zum Jahre 1361 waren die deutschen Seestädte noch niemals ver¬
anlaßt worden, an bewaffnetenSchutz ihrer Handelsschisffahrt als durch die übliche
Bewaffnung der Mannschaften der Kauffahrer zu denken. Ein Zerwürfn'ß
mit Norwegen wurde durch eine kurze Handelssperre erledigt. Aus demselben
Grunde bestand zwischen der norddeutschen Sceküste nur eine lockere Handels'
Verbindung. Das Jahr 1361 schuf aus der Handelsmacht des deutschen Not'
dans eine Seemacht.


lichen Europas beherrschte. Am Besten und Genauesten wissen es die Be¬
wohner von Bremen und Hamburg selbst, und kein öffentliches Gastmahl ver¬
geht in diesen Städten, bei welchem nicht die Enkel die Schatten einer großen
Vergangenheit herbeirufen, um von der Macht des deutschen Handelsstandes
und der deutschen Handelsstädte Zeugniß abzulegen.

Es ist vielleicht gut. „die Städte" daran zu erinnern, daß das Jahr 1861
die Feier der halbtausendjährigen Gründung der hansischen Seemacht in
sich trägt. Man scheint das in jenen Städten vergessen zu haben. Und die
Enkel könnten von dem, was man im Jahre 1361 that, dasjenige lernen, was
man im Jahre 1861 zu thun haben wird. Die fünshundertjährige Wieder¬
kehr der Erinnerung an die Gründung der größten Seemacht des Mittelalters
wird die Rechtfertigung dafür bilden, daß wir weit entlegene Geschichten dein
Auge einer Gegenwart vorführen, die sich auf den Höhen der Zeiten dünkt.
Wir werden von dieser Abschweifung zu unserer Zeit zurückkehren, damit sie
in diesem Spiegel eine Vergleichung anstelle.

Im Jahre 1361 war Karl der Vierte deutscher Kaiser; Deutschland war
damals schon in ähnlicher Weise wie gegenwärtig im Innern zerfallen. »aä>
Außen ohnmächtig. Die Fürsten, Grafen und Herrn regierten selbständig >»
dem Territorium. Die von ihnen ganz oder zum Theil unabhängigen Städte
des nördlichen Deutschlands und vor Allem die Seestädte hatten Niemand,
der ihre Interessen vertrat. Sie hatten sich aber schon seit lange selbst ge'
holsen. Sie wußten sich des Feudaladels zu erwehren, der die Verkehrsstraße»
durch Räubereien unsicher machte, und hatten dadurch dem Handel, den su'
zwischen dem Osten und Westen Europas vermittelten, eine feste Grundlage
gegeben.

Der deutsche Seehandel bestand damals wesentlich in dem Austausch der
Producte Rußlands und der Ostküsten gegen die Producte der westlichen und
südlichen Länder Europas. Der Handel Dänemarks, Schwedens und Nor>
wegens lag damals ganz und ausschließlich in den Händen der deutsche»
Ostseeküste. Als.Entrepot für die sämmtlichen russischen Waaren, vor Allem
Pelzwerk, diente die nominell auf schwedischen Boden belegene Hauptstadt der
Insel Gothland, Wisby. eine damals überwiegend von deutschen Kaufleute»
bewohnte, im Wesentlichen unabhängige Stadt.

Bis zum Jahre 1361 waren die deutschen Seestädte noch niemals ver¬
anlaßt worden, an bewaffnetenSchutz ihrer Handelsschisffahrt als durch die übliche
Bewaffnung der Mannschaften der Kauffahrer zu denken. Ein Zerwürfn'ß
mit Norwegen wurde durch eine kurze Handelssperre erledigt. Aus demselben
Grunde bestand zwischen der norddeutschen Sceküste nur eine lockere Handels'
Verbindung. Das Jahr 1361 schuf aus der Handelsmacht des deutschen Not'
dans eine Seemacht.


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[0372] lichen Europas beherrschte. Am Besten und Genauesten wissen es die Be¬ wohner von Bremen und Hamburg selbst, und kein öffentliches Gastmahl ver¬ geht in diesen Städten, bei welchem nicht die Enkel die Schatten einer großen Vergangenheit herbeirufen, um von der Macht des deutschen Handelsstandes und der deutschen Handelsstädte Zeugniß abzulegen. Es ist vielleicht gut. „die Städte" daran zu erinnern, daß das Jahr 1861 die Feier der halbtausendjährigen Gründung der hansischen Seemacht in sich trägt. Man scheint das in jenen Städten vergessen zu haben. Und die Enkel könnten von dem, was man im Jahre 1361 that, dasjenige lernen, was man im Jahre 1861 zu thun haben wird. Die fünshundertjährige Wieder¬ kehr der Erinnerung an die Gründung der größten Seemacht des Mittelalters wird die Rechtfertigung dafür bilden, daß wir weit entlegene Geschichten dein Auge einer Gegenwart vorführen, die sich auf den Höhen der Zeiten dünkt. Wir werden von dieser Abschweifung zu unserer Zeit zurückkehren, damit sie in diesem Spiegel eine Vergleichung anstelle. Im Jahre 1361 war Karl der Vierte deutscher Kaiser; Deutschland war damals schon in ähnlicher Weise wie gegenwärtig im Innern zerfallen. »aä> Außen ohnmächtig. Die Fürsten, Grafen und Herrn regierten selbständig >» dem Territorium. Die von ihnen ganz oder zum Theil unabhängigen Städte des nördlichen Deutschlands und vor Allem die Seestädte hatten Niemand, der ihre Interessen vertrat. Sie hatten sich aber schon seit lange selbst ge' holsen. Sie wußten sich des Feudaladels zu erwehren, der die Verkehrsstraße» durch Räubereien unsicher machte, und hatten dadurch dem Handel, den su' zwischen dem Osten und Westen Europas vermittelten, eine feste Grundlage gegeben. Der deutsche Seehandel bestand damals wesentlich in dem Austausch der Producte Rußlands und der Ostküsten gegen die Producte der westlichen und südlichen Länder Europas. Der Handel Dänemarks, Schwedens und Nor> wegens lag damals ganz und ausschließlich in den Händen der deutsche» Ostseeküste. Als.Entrepot für die sämmtlichen russischen Waaren, vor Allem Pelzwerk, diente die nominell auf schwedischen Boden belegene Hauptstadt der Insel Gothland, Wisby. eine damals überwiegend von deutschen Kaufleute» bewohnte, im Wesentlichen unabhängige Stadt. Bis zum Jahre 1361 waren die deutschen Seestädte noch niemals ver¬ anlaßt worden, an bewaffnetenSchutz ihrer Handelsschisffahrt als durch die übliche Bewaffnung der Mannschaften der Kauffahrer zu denken. Ein Zerwürfn'ß mit Norwegen wurde durch eine kurze Handelssperre erledigt. Aus demselben Grunde bestand zwischen der norddeutschen Sceküste nur eine lockere Handels' Verbindung. Das Jahr 1361 schuf aus der Handelsmacht des deutschen Not' dans eine Seemacht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/372>, abgerufen am 23.12.2024.