Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Außen sich stellen würden, wenn das Nationalitätsprincip durchgeführt würde.
Wir würden gewinnen im Norden jedenfalls die größere Hälfte von Schles¬
wig und seine Inseln, im Westen den Elsaß, im Süden, falls eine Auflösung
der Schweiz einträte, den größten Theil derselben. Man verweise solche Er¬
wägungen nicht in das Gebiet eitler Hypothesen, wäre einmal Deutschland
in seinen jetzigen Bundesgrenzen ein Ganzes, so würde es auf die noch außer¬
halb liegenden Länder eine ganz andre Anziehungskraft üben: der Elsasser
kann sich schwerlich wünschen Badenser zu werden, noch weniger der Schweizer
Würtenberger zu sein; aber die Frage stellt sich ganz anders, wenn ein star-
ker natürlicher Staat an die Stelle des schwachen willkürlich gebildeten tritt,
die Anziehungskraft wächst im politischen Leben mit der Größe in geometri¬
scher Progression. Verlieren würden wir dagegen nur Welschtirol, nicht aber
Posen und Böhmen. Die Theilung Polens war ein Unrecht und hat den
nordischen Mächten wenig Segen gebracht, wir freuen uns, daß Preußen nur
einen verhältnißmäßig kleinen Theil behielt, und hätten gerne gesehen, wenn es
auf dem Wiener Congreß dafür anderweitig entschädigt wäre. Jetzt aber, wo
die deutsche Kolonisation das Großherzogthum schon fast zur Hälfte germani-
sirt hat, kann Deutschland dasselbe niemals wieder aufgeben, zumal kein Staat
da ist, an den es sich anschließen könnte, denn an die Wiederherstellung Polen"
glauben nur Schwärmer. Ebensowenig können wir die deutsche Bevölkerung
in Böhmen aufgeben, und die ezechische Nationalität wird es so wenig zu
einem Staatswesen neben Deutschland bringen, wie Wales neben England.
Die letzte Frage könnte in Betreff der istrischen Halbinsel aufgeworfen werden:
°s ist zuzugeben, daß sie ihrer Bevölkerung nach nicht deutsch ist, sie gehört
bekanntlich auch zu ihrem größern Theile nicht zum Bundesgebiet, aber sie ist
auch nicht italienisch und gehört nach ihrer territorialen Lage entschieden zu
uns. wir können Trieft nicht abtreten und brauchen Pola als Kriegshafen.
So wenig wir daran denken können die Ostseeprovinzen Rußland zu entreißen,
weil sie eine zahlreiche deutsche Bevölkerung haben, so wenig kann man uns
Istrien nehmen, auf das die Verkehrsadern des südöstlichen Deutschland hin.
laufen, weil es von einem Völkergemisch bewohnt wird, in dem das deutsche
Element nicht der Zahl nach das stärkste ist. Wir haben versucht die Be¬
deutung des Nationalitätsprincips in allgemeinen Zügen uns zu vergegen¬
wärtigen und können dem Leser die Frage zur Beantwortung überlassen, ob
D eutschland von ihm mehr zu hoffen oder zu fürchten hat.




44"

Außen sich stellen würden, wenn das Nationalitätsprincip durchgeführt würde.
Wir würden gewinnen im Norden jedenfalls die größere Hälfte von Schles¬
wig und seine Inseln, im Westen den Elsaß, im Süden, falls eine Auflösung
der Schweiz einträte, den größten Theil derselben. Man verweise solche Er¬
wägungen nicht in das Gebiet eitler Hypothesen, wäre einmal Deutschland
in seinen jetzigen Bundesgrenzen ein Ganzes, so würde es auf die noch außer¬
halb liegenden Länder eine ganz andre Anziehungskraft üben: der Elsasser
kann sich schwerlich wünschen Badenser zu werden, noch weniger der Schweizer
Würtenberger zu sein; aber die Frage stellt sich ganz anders, wenn ein star-
ker natürlicher Staat an die Stelle des schwachen willkürlich gebildeten tritt,
die Anziehungskraft wächst im politischen Leben mit der Größe in geometri¬
scher Progression. Verlieren würden wir dagegen nur Welschtirol, nicht aber
Posen und Böhmen. Die Theilung Polens war ein Unrecht und hat den
nordischen Mächten wenig Segen gebracht, wir freuen uns, daß Preußen nur
einen verhältnißmäßig kleinen Theil behielt, und hätten gerne gesehen, wenn es
auf dem Wiener Congreß dafür anderweitig entschädigt wäre. Jetzt aber, wo
die deutsche Kolonisation das Großherzogthum schon fast zur Hälfte germani-
sirt hat, kann Deutschland dasselbe niemals wieder aufgeben, zumal kein Staat
da ist, an den es sich anschließen könnte, denn an die Wiederherstellung Polen»
glauben nur Schwärmer. Ebensowenig können wir die deutsche Bevölkerung
in Böhmen aufgeben, und die ezechische Nationalität wird es so wenig zu
einem Staatswesen neben Deutschland bringen, wie Wales neben England.
Die letzte Frage könnte in Betreff der istrischen Halbinsel aufgeworfen werden:
°s ist zuzugeben, daß sie ihrer Bevölkerung nach nicht deutsch ist, sie gehört
bekanntlich auch zu ihrem größern Theile nicht zum Bundesgebiet, aber sie ist
auch nicht italienisch und gehört nach ihrer territorialen Lage entschieden zu
uns. wir können Trieft nicht abtreten und brauchen Pola als Kriegshafen.
So wenig wir daran denken können die Ostseeprovinzen Rußland zu entreißen,
weil sie eine zahlreiche deutsche Bevölkerung haben, so wenig kann man uns
Istrien nehmen, auf das die Verkehrsadern des südöstlichen Deutschland hin.
laufen, weil es von einem Völkergemisch bewohnt wird, in dem das deutsche
Element nicht der Zahl nach das stärkste ist. Wir haben versucht die Be¬
deutung des Nationalitätsprincips in allgemeinen Zügen uns zu vergegen¬
wärtigen und können dem Leser die Frage zur Beantwortung überlassen, ob
D eutschland von ihm mehr zu hoffen oder zu fürchten hat.




44»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112327"/>
          <p xml:id="ID_1136" prev="#ID_1135"> Außen sich stellen würden, wenn das Nationalitätsprincip durchgeführt würde.<lb/>
Wir würden gewinnen im Norden jedenfalls die größere Hälfte von Schles¬<lb/>
wig und seine Inseln, im Westen den Elsaß, im Süden, falls eine Auflösung<lb/>
der Schweiz einträte, den größten Theil derselben. Man verweise solche Er¬<lb/>
wägungen nicht in das Gebiet eitler Hypothesen, wäre einmal Deutschland<lb/>
in seinen jetzigen Bundesgrenzen ein Ganzes, so würde es auf die noch außer¬<lb/>
halb liegenden Länder eine ganz andre Anziehungskraft üben: der Elsasser<lb/>
kann sich schwerlich wünschen Badenser zu werden, noch weniger der Schweizer<lb/>
Würtenberger zu sein; aber die Frage stellt sich ganz anders, wenn ein star-<lb/>
ker natürlicher Staat an die Stelle des schwachen willkürlich gebildeten tritt,<lb/>
die Anziehungskraft wächst im politischen Leben mit der Größe in geometri¬<lb/>
scher Progression. Verlieren würden wir dagegen nur Welschtirol, nicht aber<lb/>
Posen und Böhmen. Die Theilung Polens war ein Unrecht und hat den<lb/>
nordischen Mächten wenig Segen gebracht, wir freuen uns, daß Preußen nur<lb/>
einen verhältnißmäßig kleinen Theil behielt, und hätten gerne gesehen, wenn es<lb/>
auf dem Wiener Congreß dafür anderweitig entschädigt wäre. Jetzt aber, wo<lb/>
die deutsche Kolonisation das Großherzogthum schon fast zur Hälfte germani-<lb/>
sirt hat, kann Deutschland dasselbe niemals wieder aufgeben, zumal kein Staat<lb/>
da ist, an den es sich anschließen könnte, denn an die Wiederherstellung Polen»<lb/>
glauben nur Schwärmer. Ebensowenig können wir die deutsche Bevölkerung<lb/>
in Böhmen aufgeben, und die ezechische Nationalität wird es so wenig zu<lb/>
einem Staatswesen neben Deutschland bringen, wie Wales neben England.<lb/>
Die letzte Frage könnte in Betreff der istrischen Halbinsel aufgeworfen werden:<lb/>
°s ist zuzugeben, daß sie ihrer Bevölkerung nach nicht deutsch ist, sie gehört<lb/>
bekanntlich auch zu ihrem größern Theile nicht zum Bundesgebiet, aber sie ist<lb/>
auch nicht italienisch und gehört nach ihrer territorialen Lage entschieden zu<lb/>
uns. wir können Trieft nicht abtreten und brauchen Pola als Kriegshafen.<lb/>
So wenig wir daran denken können die Ostseeprovinzen Rußland zu entreißen,<lb/>
weil sie eine zahlreiche deutsche Bevölkerung haben, so wenig kann man uns<lb/>
Istrien nehmen, auf das die Verkehrsadern des südöstlichen Deutschland hin.<lb/>
laufen, weil es von einem Völkergemisch bewohnt wird, in dem das deutsche<lb/>
Element nicht der Zahl nach das stärkste ist. Wir haben versucht die Be¬<lb/>
deutung des Nationalitätsprincips in allgemeinen Zügen uns zu vergegen¬<lb/>
wärtigen und können dem Leser die Frage zur Beantwortung überlassen, ob<lb/>
D<note type="byline"/> eutschland von ihm mehr zu hoffen oder zu fürchten hat.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 44»</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0357] Außen sich stellen würden, wenn das Nationalitätsprincip durchgeführt würde. Wir würden gewinnen im Norden jedenfalls die größere Hälfte von Schles¬ wig und seine Inseln, im Westen den Elsaß, im Süden, falls eine Auflösung der Schweiz einträte, den größten Theil derselben. Man verweise solche Er¬ wägungen nicht in das Gebiet eitler Hypothesen, wäre einmal Deutschland in seinen jetzigen Bundesgrenzen ein Ganzes, so würde es auf die noch außer¬ halb liegenden Länder eine ganz andre Anziehungskraft üben: der Elsasser kann sich schwerlich wünschen Badenser zu werden, noch weniger der Schweizer Würtenberger zu sein; aber die Frage stellt sich ganz anders, wenn ein star- ker natürlicher Staat an die Stelle des schwachen willkürlich gebildeten tritt, die Anziehungskraft wächst im politischen Leben mit der Größe in geometri¬ scher Progression. Verlieren würden wir dagegen nur Welschtirol, nicht aber Posen und Böhmen. Die Theilung Polens war ein Unrecht und hat den nordischen Mächten wenig Segen gebracht, wir freuen uns, daß Preußen nur einen verhältnißmäßig kleinen Theil behielt, und hätten gerne gesehen, wenn es auf dem Wiener Congreß dafür anderweitig entschädigt wäre. Jetzt aber, wo die deutsche Kolonisation das Großherzogthum schon fast zur Hälfte germani- sirt hat, kann Deutschland dasselbe niemals wieder aufgeben, zumal kein Staat da ist, an den es sich anschließen könnte, denn an die Wiederherstellung Polen» glauben nur Schwärmer. Ebensowenig können wir die deutsche Bevölkerung in Böhmen aufgeben, und die ezechische Nationalität wird es so wenig zu einem Staatswesen neben Deutschland bringen, wie Wales neben England. Die letzte Frage könnte in Betreff der istrischen Halbinsel aufgeworfen werden: °s ist zuzugeben, daß sie ihrer Bevölkerung nach nicht deutsch ist, sie gehört bekanntlich auch zu ihrem größern Theile nicht zum Bundesgebiet, aber sie ist auch nicht italienisch und gehört nach ihrer territorialen Lage entschieden zu uns. wir können Trieft nicht abtreten und brauchen Pola als Kriegshafen. So wenig wir daran denken können die Ostseeprovinzen Rußland zu entreißen, weil sie eine zahlreiche deutsche Bevölkerung haben, so wenig kann man uns Istrien nehmen, auf das die Verkehrsadern des südöstlichen Deutschland hin. laufen, weil es von einem Völkergemisch bewohnt wird, in dem das deutsche Element nicht der Zahl nach das stärkste ist. Wir haben versucht die Be¬ deutung des Nationalitätsprincips in allgemeinen Zügen uns zu vergegen¬ wärtigen und können dem Leser die Frage zur Beantwortung überlassen, ob D eutschland von ihm mehr zu hoffen oder zu fürchten hat. 44»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/357
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/357>, abgerufen am 23.12.2024.