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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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wenden, so wird sich zeigen, daß wir schwerlich etwas beim Nationalitätsprincip
zu verlieren und Großes zu gewinnen haben. Zuerst sind jene Vorbedingungen
des nationalen Staates in eminenten Grade bei unserm Vaterlande vorhanden.
Während sich andere Nationalitäten, wie die französische, englische, spanische,
italienische erst aus einem langen Mischungsproceß bildeten, treten die deutschen
Stämme sofort in der Geschichte als Theile eines großen Ganzen auf, Oberer.
Gallier und Britannier gingen in der Völkerwanderung in neue Bildungen
auf. die Germanen wurden durch ihre Züge und Ansiedelungen in den ver-
schiedenen Ländern Europas das belebende Element dieser Bildungen, aber
sie nahmen selbst keine fremden Stämme in sich aus. sie wurden im Lauf der
Geschichte von einzelnen Strichen verdrängt, sie vertrieben ihrerseits die Sla¬
ven aus dem Osten, aber sie verbanden sich niemals auf deutschem Gebiete
mit andersartigen Stämmen zu neuen Volksgebilden. Am frühesten von allen
europäischen Nationen kamen die Deutschen zu einer politischen Organisation,
unbestritten ward ihnen der Vorrang eingeräumt, und Niemand hätte unter.
Heinrich dem Ersten denken können, daß gegenüber den lockern Bestandtheilen
der Nachbarvölker sich die Stammesunterschiede der Deutschen in einer Weise
geltend machen könnten, welche ihre staatliche Einheit weiter hinausschieben
würden als die der Franzosen. Aber grade der unbestrittene Vorzug, der un¬
serm Volke so früh schon eingeräumt ward, wirkte dahin, daß seine Kaiser
über die nationalen Zwecke, welche ihnen nicht umfassend genug schienen,
hinausstrebten und kosmopolitische Ziele verfolgten, was, wie wir schmerzlich
erfahren haben, nur dazu dienen kann, das Weite nicht zu erreichen und das
Erreichbare zu verlieren. Aber umsonst war jener Streit der Kaiser mit der
päpstlichen Macht nicht, wir haben ihn für die ganze Welt ausgekämpft und
mit unserm Blute bezahlt, wir haben auch die Reformation, diese wahrhafte
Umgestaltung der Kirche an Haupt und Gliedern, auf unsere Kosten mit für
die andern Völker durchgeführt. Diese großen geistigen Kämpfe, die Deutsch¬
land aufopfernd durchgerungen, haben unserm eigenen nationalen Lebe" liefe
Kunden geschlagen und das Zusammenschließen der Stämme zur staatlichen
Einheit gehemmt, aber die Grundbedingungen derselben haben dadurch nicht
Zerstört werden können. Niemand hat selbst in den Zeiten der größten Zer-
"ssenheit unsers Volkes daran zweifeln dürfen, daß es Eine deutsche Sprache
g°ve. haben wir doch der Welt das bis dahin nicht erhörte Beispiel gezeigt,
daß ein Volk im Zeitpunkte der tiefsten politischen Erniedrigung es zu einer
wahrhaften Blüte der Literatur brachte. Einzelne Glieder sind der deutschen
Nation entrissen, aber die Continuität ihres Gebietes ist durch alle Kämpfe
hindurch gerettet, unsere Gesittung ist endlich, wie mannigfach sie auch durch
fremde Elemente getrübt sein mag. doch in ihrem Grunde eine einheitliche
geblieben und strebt von ihm aus immer mehr sich in ihrer vollen Reinheit


Grenzboten III. 1861. 44

wenden, so wird sich zeigen, daß wir schwerlich etwas beim Nationalitätsprincip
zu verlieren und Großes zu gewinnen haben. Zuerst sind jene Vorbedingungen
des nationalen Staates in eminenten Grade bei unserm Vaterlande vorhanden.
Während sich andere Nationalitäten, wie die französische, englische, spanische,
italienische erst aus einem langen Mischungsproceß bildeten, treten die deutschen
Stämme sofort in der Geschichte als Theile eines großen Ganzen auf, Oberer.
Gallier und Britannier gingen in der Völkerwanderung in neue Bildungen
auf. die Germanen wurden durch ihre Züge und Ansiedelungen in den ver-
schiedenen Ländern Europas das belebende Element dieser Bildungen, aber
sie nahmen selbst keine fremden Stämme in sich aus. sie wurden im Lauf der
Geschichte von einzelnen Strichen verdrängt, sie vertrieben ihrerseits die Sla¬
ven aus dem Osten, aber sie verbanden sich niemals auf deutschem Gebiete
mit andersartigen Stämmen zu neuen Volksgebilden. Am frühesten von allen
europäischen Nationen kamen die Deutschen zu einer politischen Organisation,
unbestritten ward ihnen der Vorrang eingeräumt, und Niemand hätte unter.
Heinrich dem Ersten denken können, daß gegenüber den lockern Bestandtheilen
der Nachbarvölker sich die Stammesunterschiede der Deutschen in einer Weise
geltend machen könnten, welche ihre staatliche Einheit weiter hinausschieben
würden als die der Franzosen. Aber grade der unbestrittene Vorzug, der un¬
serm Volke so früh schon eingeräumt ward, wirkte dahin, daß seine Kaiser
über die nationalen Zwecke, welche ihnen nicht umfassend genug schienen,
hinausstrebten und kosmopolitische Ziele verfolgten, was, wie wir schmerzlich
erfahren haben, nur dazu dienen kann, das Weite nicht zu erreichen und das
Erreichbare zu verlieren. Aber umsonst war jener Streit der Kaiser mit der
päpstlichen Macht nicht, wir haben ihn für die ganze Welt ausgekämpft und
mit unserm Blute bezahlt, wir haben auch die Reformation, diese wahrhafte
Umgestaltung der Kirche an Haupt und Gliedern, auf unsere Kosten mit für
die andern Völker durchgeführt. Diese großen geistigen Kämpfe, die Deutsch¬
land aufopfernd durchgerungen, haben unserm eigenen nationalen Lebe» liefe
Kunden geschlagen und das Zusammenschließen der Stämme zur staatlichen
Einheit gehemmt, aber die Grundbedingungen derselben haben dadurch nicht
Zerstört werden können. Niemand hat selbst in den Zeiten der größten Zer-
"ssenheit unsers Volkes daran zweifeln dürfen, daß es Eine deutsche Sprache
g°ve. haben wir doch der Welt das bis dahin nicht erhörte Beispiel gezeigt,
daß ein Volk im Zeitpunkte der tiefsten politischen Erniedrigung es zu einer
wahrhaften Blüte der Literatur brachte. Einzelne Glieder sind der deutschen
Nation entrissen, aber die Continuität ihres Gebietes ist durch alle Kämpfe
hindurch gerettet, unsere Gesittung ist endlich, wie mannigfach sie auch durch
fremde Elemente getrübt sein mag. doch in ihrem Grunde eine einheitliche
geblieben und strebt von ihm aus immer mehr sich in ihrer vollen Reinheit


Grenzboten III. 1861. 44
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[0355] wenden, so wird sich zeigen, daß wir schwerlich etwas beim Nationalitätsprincip zu verlieren und Großes zu gewinnen haben. Zuerst sind jene Vorbedingungen des nationalen Staates in eminenten Grade bei unserm Vaterlande vorhanden. Während sich andere Nationalitäten, wie die französische, englische, spanische, italienische erst aus einem langen Mischungsproceß bildeten, treten die deutschen Stämme sofort in der Geschichte als Theile eines großen Ganzen auf, Oberer. Gallier und Britannier gingen in der Völkerwanderung in neue Bildungen auf. die Germanen wurden durch ihre Züge und Ansiedelungen in den ver- schiedenen Ländern Europas das belebende Element dieser Bildungen, aber sie nahmen selbst keine fremden Stämme in sich aus. sie wurden im Lauf der Geschichte von einzelnen Strichen verdrängt, sie vertrieben ihrerseits die Sla¬ ven aus dem Osten, aber sie verbanden sich niemals auf deutschem Gebiete mit andersartigen Stämmen zu neuen Volksgebilden. Am frühesten von allen europäischen Nationen kamen die Deutschen zu einer politischen Organisation, unbestritten ward ihnen der Vorrang eingeräumt, und Niemand hätte unter. Heinrich dem Ersten denken können, daß gegenüber den lockern Bestandtheilen der Nachbarvölker sich die Stammesunterschiede der Deutschen in einer Weise geltend machen könnten, welche ihre staatliche Einheit weiter hinausschieben würden als die der Franzosen. Aber grade der unbestrittene Vorzug, der un¬ serm Volke so früh schon eingeräumt ward, wirkte dahin, daß seine Kaiser über die nationalen Zwecke, welche ihnen nicht umfassend genug schienen, hinausstrebten und kosmopolitische Ziele verfolgten, was, wie wir schmerzlich erfahren haben, nur dazu dienen kann, das Weite nicht zu erreichen und das Erreichbare zu verlieren. Aber umsonst war jener Streit der Kaiser mit der päpstlichen Macht nicht, wir haben ihn für die ganze Welt ausgekämpft und mit unserm Blute bezahlt, wir haben auch die Reformation, diese wahrhafte Umgestaltung der Kirche an Haupt und Gliedern, auf unsere Kosten mit für die andern Völker durchgeführt. Diese großen geistigen Kämpfe, die Deutsch¬ land aufopfernd durchgerungen, haben unserm eigenen nationalen Lebe» liefe Kunden geschlagen und das Zusammenschließen der Stämme zur staatlichen Einheit gehemmt, aber die Grundbedingungen derselben haben dadurch nicht Zerstört werden können. Niemand hat selbst in den Zeiten der größten Zer- "ssenheit unsers Volkes daran zweifeln dürfen, daß es Eine deutsche Sprache g°ve. haben wir doch der Welt das bis dahin nicht erhörte Beispiel gezeigt, daß ein Volk im Zeitpunkte der tiefsten politischen Erniedrigung es zu einer wahrhaften Blüte der Literatur brachte. Einzelne Glieder sind der deutschen Nation entrissen, aber die Continuität ihres Gebietes ist durch alle Kämpfe hindurch gerettet, unsere Gesittung ist endlich, wie mannigfach sie auch durch fremde Elemente getrübt sein mag. doch in ihrem Grunde eine einheitliche geblieben und strebt von ihm aus immer mehr sich in ihrer vollen Reinheit Grenzboten III. 1861. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/355>, abgerufen am 22.07.2024.