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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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leben erheben, wie z. B. die Kelten, und andrerseits politische Organismen,
welche die Idee des Staates bis in ihre weitesten Konsequenzen durchgebildet
haben, ohne aus dem Grunde einer gemeinsamen Nationalität zu ruhen. Wir
wollen hier nun auszuführen suchen, daß nach den Bedingungen der Gegen¬
wart nur solche Staaten Aussicht auf eine große Zukunft haben, welche auf
der Basis einer lebenskräftigen Nationalität ruhen.

Der Ursprung aller Nationalität ist Gemeinsamkeit der Abstammung. Die
Blutsverwandtschaft der Familie erweitert sich zum Geschlechtsverband, dieser
entwickelt sich nach und nach zu dem des Stammes und aus den Stämmen
oder Völkerschaften baut sich das Volk oder die Nation auf.

Dies ist die naturgemäße Gliederung, welche der Gang der Geschichte
überall aufweist. Aber im Fortgang der Entwickelung bleibt nicht immer das
gleichwesentlich, was es ursprünglich war, die Gemeinsamkeit der Abstam¬
mung wird später überwogen durch die des Charakters, welcher das einheit¬
liche Band des wciterentwickelten Organismus bildet. Je kraftvoller derselbe
emporwächst, desto mehr vermag er auch an sich fremde Elemente heranzu¬
ziehen und sich anzueignen, eine starke Nation ist im Stande, sich Menschen
der verschiedenartigsten Abstammung einzuverleiben, wenn diese sich vollständig
an dieselbe hingeben. In wie weit dies möglich, hängt natürlich von der
Beschaffenheit und Masse der Ankömmlinge wie der Aufnehmenden ab. In
je höherm Grade die erstem Züge ihres alten Volkscharakters beibehalten und
je zahlreicher sie sind, desto mehr wird durch ihre Ausnahme auch in dem Volks-
thum, dem sie sich anschließen, eine Veränderung sich geltend machen, und
wo die Aufgenommenen an Zahl oder Naturkraft die Vorgefundenen über¬
treffen, da bildet sich eine Mischung, die eine ganz neue Nation werden
kann. Die ganze Entwicklung dieses Hergangs vollzieht sich bald durch ein¬
zelne Stöße und plötzliche Zuflüsse, bald durch das stille Wirken der verschiede¬
nen Elemente auf einander, das man wol die Chemie des Völkerlebens nennen
könnte; es ist damit wie mit der Mischung der Erze, die oft das überra¬
schendste Ergebniß zeigen, oft müssen sich die fremdartigsten Elemente verbinden,
um lebensvolle Nationen zu schaffen, wie sich das Strenge mit dem Zarten
paaren muß, damit die Glocke den reinsten Klang gebe. Aus solcher
schung ist das römische, ist das englische Volk erwachsen.¬

Tritt also im Fortgang der Geschichte oft die Wichtigkeit der gemeinsa
men Abstammung zurück, so wird es für uns hauptsächlich darauf ankommen,
welches jene Kennzeichen des gemeinsamen Charakters sind, der die Voraus¬
setzung nationalen Zusammengehöre"^ ist. Es sind folgende: Sprache.
sittung und Ansiedlung; die Menschen, die sich darin eins wissen, bilden eine
Nation. Das wesentlichste Band der Volksgenossen ist die Sprache, ohne N
ist nicht nur materiell kein sociales Zusammenleben denkbar, sondern auch ke>


leben erheben, wie z. B. die Kelten, und andrerseits politische Organismen,
welche die Idee des Staates bis in ihre weitesten Konsequenzen durchgebildet
haben, ohne aus dem Grunde einer gemeinsamen Nationalität zu ruhen. Wir
wollen hier nun auszuführen suchen, daß nach den Bedingungen der Gegen¬
wart nur solche Staaten Aussicht auf eine große Zukunft haben, welche auf
der Basis einer lebenskräftigen Nationalität ruhen.

Der Ursprung aller Nationalität ist Gemeinsamkeit der Abstammung. Die
Blutsverwandtschaft der Familie erweitert sich zum Geschlechtsverband, dieser
entwickelt sich nach und nach zu dem des Stammes und aus den Stämmen
oder Völkerschaften baut sich das Volk oder die Nation auf.

Dies ist die naturgemäße Gliederung, welche der Gang der Geschichte
überall aufweist. Aber im Fortgang der Entwickelung bleibt nicht immer das
gleichwesentlich, was es ursprünglich war, die Gemeinsamkeit der Abstam¬
mung wird später überwogen durch die des Charakters, welcher das einheit¬
liche Band des wciterentwickelten Organismus bildet. Je kraftvoller derselbe
emporwächst, desto mehr vermag er auch an sich fremde Elemente heranzu¬
ziehen und sich anzueignen, eine starke Nation ist im Stande, sich Menschen
der verschiedenartigsten Abstammung einzuverleiben, wenn diese sich vollständig
an dieselbe hingeben. In wie weit dies möglich, hängt natürlich von der
Beschaffenheit und Masse der Ankömmlinge wie der Aufnehmenden ab. In
je höherm Grade die erstem Züge ihres alten Volkscharakters beibehalten und
je zahlreicher sie sind, desto mehr wird durch ihre Ausnahme auch in dem Volks-
thum, dem sie sich anschließen, eine Veränderung sich geltend machen, und
wo die Aufgenommenen an Zahl oder Naturkraft die Vorgefundenen über¬
treffen, da bildet sich eine Mischung, die eine ganz neue Nation werden
kann. Die ganze Entwicklung dieses Hergangs vollzieht sich bald durch ein¬
zelne Stöße und plötzliche Zuflüsse, bald durch das stille Wirken der verschiede¬
nen Elemente auf einander, das man wol die Chemie des Völkerlebens nennen
könnte; es ist damit wie mit der Mischung der Erze, die oft das überra¬
schendste Ergebniß zeigen, oft müssen sich die fremdartigsten Elemente verbinden,
um lebensvolle Nationen zu schaffen, wie sich das Strenge mit dem Zarten
paaren muß, damit die Glocke den reinsten Klang gebe. Aus solcher
schung ist das römische, ist das englische Volk erwachsen.¬

Tritt also im Fortgang der Geschichte oft die Wichtigkeit der gemeinsa
men Abstammung zurück, so wird es für uns hauptsächlich darauf ankommen,
welches jene Kennzeichen des gemeinsamen Charakters sind, der die Voraus¬
setzung nationalen Zusammengehöre»^ ist. Es sind folgende: Sprache.
sittung und Ansiedlung; die Menschen, die sich darin eins wissen, bilden eine
Nation. Das wesentlichste Band der Volksgenossen ist die Sprache, ohne N
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[0352] leben erheben, wie z. B. die Kelten, und andrerseits politische Organismen, welche die Idee des Staates bis in ihre weitesten Konsequenzen durchgebildet haben, ohne aus dem Grunde einer gemeinsamen Nationalität zu ruhen. Wir wollen hier nun auszuführen suchen, daß nach den Bedingungen der Gegen¬ wart nur solche Staaten Aussicht auf eine große Zukunft haben, welche auf der Basis einer lebenskräftigen Nationalität ruhen. Der Ursprung aller Nationalität ist Gemeinsamkeit der Abstammung. Die Blutsverwandtschaft der Familie erweitert sich zum Geschlechtsverband, dieser entwickelt sich nach und nach zu dem des Stammes und aus den Stämmen oder Völkerschaften baut sich das Volk oder die Nation auf. Dies ist die naturgemäße Gliederung, welche der Gang der Geschichte überall aufweist. Aber im Fortgang der Entwickelung bleibt nicht immer das gleichwesentlich, was es ursprünglich war, die Gemeinsamkeit der Abstam¬ mung wird später überwogen durch die des Charakters, welcher das einheit¬ liche Band des wciterentwickelten Organismus bildet. Je kraftvoller derselbe emporwächst, desto mehr vermag er auch an sich fremde Elemente heranzu¬ ziehen und sich anzueignen, eine starke Nation ist im Stande, sich Menschen der verschiedenartigsten Abstammung einzuverleiben, wenn diese sich vollständig an dieselbe hingeben. In wie weit dies möglich, hängt natürlich von der Beschaffenheit und Masse der Ankömmlinge wie der Aufnehmenden ab. In je höherm Grade die erstem Züge ihres alten Volkscharakters beibehalten und je zahlreicher sie sind, desto mehr wird durch ihre Ausnahme auch in dem Volks- thum, dem sie sich anschließen, eine Veränderung sich geltend machen, und wo die Aufgenommenen an Zahl oder Naturkraft die Vorgefundenen über¬ treffen, da bildet sich eine Mischung, die eine ganz neue Nation werden kann. Die ganze Entwicklung dieses Hergangs vollzieht sich bald durch ein¬ zelne Stöße und plötzliche Zuflüsse, bald durch das stille Wirken der verschiede¬ nen Elemente auf einander, das man wol die Chemie des Völkerlebens nennen könnte; es ist damit wie mit der Mischung der Erze, die oft das überra¬ schendste Ergebniß zeigen, oft müssen sich die fremdartigsten Elemente verbinden, um lebensvolle Nationen zu schaffen, wie sich das Strenge mit dem Zarten paaren muß, damit die Glocke den reinsten Klang gebe. Aus solcher schung ist das römische, ist das englische Volk erwachsen.¬ Tritt also im Fortgang der Geschichte oft die Wichtigkeit der gemeinsa men Abstammung zurück, so wird es für uns hauptsächlich darauf ankommen, welches jene Kennzeichen des gemeinsamen Charakters sind, der die Voraus¬ setzung nationalen Zusammengehöre»^ ist. Es sind folgende: Sprache. sittung und Ansiedlung; die Menschen, die sich darin eins wissen, bilden eine Nation. Das wesentlichste Band der Volksgenossen ist die Sprache, ohne N ist nicht nur materiell kein sociales Zusammenleben denkbar, sondern auch ke>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/352>, abgerufen am 22.07.2024.