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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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und Gützlaff, die politischen Beamten Dr. Bowring und Robert Rienäcker)
uns berichtet, sondern auch in seiner Heimath München ein wahrhaft colossales
Material zur Geschichte der ostasiatischen Reiche aus chinesischen Büchern. Pro¬
klamationen und geheimen Denkschriften, die bei verschiedenen Veranlassungen
während der Kriege den Europäern in die Hände gefallen sind, aus den
englischen und amerikanischen Zeitungen, aus den Blaubüchern des britischen
Parlaments und den Congreßschriften von Washington, aus politischen
Flugschriften und gelehrten Zeitschriften aufgestapelt hat. der von diesen seinen
Schätzen nicht erdrückt, sondern sie mit freiem Geiste beherrschend uns ein
frisches, lebenswarmes Gemälde von dem entwirft, was sich dort theils be¬
geben hat. theils vorbereitet; der uns, wie der Zusammenhang es mit sich
bringt, nach Canton und Hongkong, nach Peking und Nangasaki. nach Cali-
fornien und Washington wie in die Parlamentshäuser zu London führt, und
auch dem. der aufmerksam und mit Interesse, aber eben auf die in Deutsch'
land Jedem zugänglichen Quellen beschränkt, den Gang jener Ereignisse zu
verfolgen bestrebt war, an hundert Stellen erst das rechte Verständniß eröffnet.
Das Verdienst der Form aber wird erst Derjenige recht würdigen, der sich
durch die trostlosen Sandwüsten von Gützlaff's chinesischer Geschichte durchge¬
arbeitet hat, ein Buch, das durch die sonstige vielseitige Thätigkeit des
deutschen Missionärs entschuldigt werden mag, das aber doch niemals hätte
geschrieben werden sollen.

Den Standpunkt des Verfassers müssen wir als den human - liberalen
bezeichnen; was die Entwicklung des menschlichen Geschlechtes fördert, das
Reich des Lichtes, der Wahrheit, der Freiheit ausbreitet, was den Samen
der wahren europäischen Civilisation nach Gegenden, die ihr bisher ver¬
schlossen waren, zu tragen und hier zum Keimen zu bringen geeignet ist. das
begrüßt er mit Freuden; was der Freiheit Zwang anthut, die Bildung nie¬
derhält, das Recht dem Eigennutz opfert, das tadelt er mit unverholenem
Abscheu. "Was liegt daran, wenn in Bochara oder Neapel, in H'lassa oder in
Rom dieser Despot und Zauberer stirbt, wenn jener Despot und Zauberer
ihn ersetzt? (p. 190.) Das Klima Kamtschatka's ist vortrefflich. Die Halbinsel
erzeugt eine Menge der trefflichsten Producte. und könnte unter einer huma¬
nen Regierung leicht zu einem blühenden Staate herangebildet werden. Aber
die Russen verderben Alles. Sie entwürdigen moralisch und physisch die aut-
müthigen Landesbewohner" (x. 242). "Die Geldnoth ist in China nicht
minder als in anderen orientalischen oder nach orientalischer Weise regierten
Staaten" (v. 363). Wenn Frankreich im Frieden zu Tientsin die Erlaubniß
zur Kuli-Ausfuhr stipulirt, so ist ihm dies nichts als ein neuer Sklavenhandel
und die Clausel. daß "Bürgschaften der Moralität und Gerechtigkeit dabei die
Grundlage bilden sollen" bezeichnet er mit Recht als gleisnerische Worte


und Gützlaff, die politischen Beamten Dr. Bowring und Robert Rienäcker)
uns berichtet, sondern auch in seiner Heimath München ein wahrhaft colossales
Material zur Geschichte der ostasiatischen Reiche aus chinesischen Büchern. Pro¬
klamationen und geheimen Denkschriften, die bei verschiedenen Veranlassungen
während der Kriege den Europäern in die Hände gefallen sind, aus den
englischen und amerikanischen Zeitungen, aus den Blaubüchern des britischen
Parlaments und den Congreßschriften von Washington, aus politischen
Flugschriften und gelehrten Zeitschriften aufgestapelt hat. der von diesen seinen
Schätzen nicht erdrückt, sondern sie mit freiem Geiste beherrschend uns ein
frisches, lebenswarmes Gemälde von dem entwirft, was sich dort theils be¬
geben hat. theils vorbereitet; der uns, wie der Zusammenhang es mit sich
bringt, nach Canton und Hongkong, nach Peking und Nangasaki. nach Cali-
fornien und Washington wie in die Parlamentshäuser zu London führt, und
auch dem. der aufmerksam und mit Interesse, aber eben auf die in Deutsch'
land Jedem zugänglichen Quellen beschränkt, den Gang jener Ereignisse zu
verfolgen bestrebt war, an hundert Stellen erst das rechte Verständniß eröffnet.
Das Verdienst der Form aber wird erst Derjenige recht würdigen, der sich
durch die trostlosen Sandwüsten von Gützlaff's chinesischer Geschichte durchge¬
arbeitet hat, ein Buch, das durch die sonstige vielseitige Thätigkeit des
deutschen Missionärs entschuldigt werden mag, das aber doch niemals hätte
geschrieben werden sollen.

Den Standpunkt des Verfassers müssen wir als den human - liberalen
bezeichnen; was die Entwicklung des menschlichen Geschlechtes fördert, das
Reich des Lichtes, der Wahrheit, der Freiheit ausbreitet, was den Samen
der wahren europäischen Civilisation nach Gegenden, die ihr bisher ver¬
schlossen waren, zu tragen und hier zum Keimen zu bringen geeignet ist. das
begrüßt er mit Freuden; was der Freiheit Zwang anthut, die Bildung nie¬
derhält, das Recht dem Eigennutz opfert, das tadelt er mit unverholenem
Abscheu. „Was liegt daran, wenn in Bochara oder Neapel, in H'lassa oder in
Rom dieser Despot und Zauberer stirbt, wenn jener Despot und Zauberer
ihn ersetzt? (p. 190.) Das Klima Kamtschatka's ist vortrefflich. Die Halbinsel
erzeugt eine Menge der trefflichsten Producte. und könnte unter einer huma¬
nen Regierung leicht zu einem blühenden Staate herangebildet werden. Aber
die Russen verderben Alles. Sie entwürdigen moralisch und physisch die aut-
müthigen Landesbewohner" (x. 242). „Die Geldnoth ist in China nicht
minder als in anderen orientalischen oder nach orientalischer Weise regierten
Staaten" (v. 363). Wenn Frankreich im Frieden zu Tientsin die Erlaubniß
zur Kuli-Ausfuhr stipulirt, so ist ihm dies nichts als ein neuer Sklavenhandel
und die Clausel. daß „Bürgschaften der Moralität und Gerechtigkeit dabei die
Grundlage bilden sollen" bezeichnet er mit Recht als gleisnerische Worte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/340>, abgerufen am 23.12.2024.